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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 4. 2016 - 16:53

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 12-04-16.

Der Fall Böhmermann. Nach der journalistischen Analyse übernimmt Satire jetzt auch die Agenden politischer Ethik.

#wasdarfsatire #demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Dass der Fall Böhmermann so tief und direkt in die Schwachstelle des Merkel-Plans (also des Deals der EU mit der Türkei in punkto Flüchtlingsabschirmung) hineintrifft ist kein Zufall, sondern kalkuliert.

Nachdem im deutschsprachigen Raum Satire großräumig für Analyse und vergleichende/relativierende Investigation zuständig geworden ist und sich als angesichts eines mäßig gut funktionierenden Journalismus bedeutendere mediale/öffentliche Instanz etabliert hat, eben weil sie nicht jeden PR-Schas hirnlos übernimmt, zündet jetzt Stufe 2: Satire macht sich auf, ethisch-politische Denkfehler offenzulegen, Schiefgelaufenes gerade zu rücken. Auch wieder durch Analyse, Investigation, die Grundidee, nicht alles hinnehmen zu wollen, ohne deshalb in rechtspopulistische Inhaltsleer-Starre zu verfallen.

Satire, die Journalismus intendiert, aufklärt und investigiert

Jan Böhmermann, besser: das Neo Magazin Royal des ZDF, nahm in diesen Unterfangen schon vor dem Schmähgedicht-Skandal eine Ausnahmestellung ein. Es ist das ambivalente, zwischen Verquatschung und Radikalisierung schwebende Grundgefühl des klassenkaspernden Strebers, der nach dem Erreichen von Schritt 1 (zu den Großen dazuzugehören, Distinktionsgewinn, sozialer Aufstieg, ironisches Anzugtragen, das irgendwann barneystinsonesk wird) ansatzlos in Schritt 2 (die anarchische Dekonstruktion von letztlich allem) kippt; das Böhmermann'sche eben.

Das trifft im Neo Magazin Royal auf die anderen zentralen Strömungen junger deutschsprachiger Satire, der eigentlich Journalismus intendiert: die klassisch-ironischen "Erträglichmacher" (Typus: heute-show, extra3, von denen maschek heute im Standard sprechen, die dreisten Lehrstück-Dokumentaristen (Typus: Staatskünstler oder Die Anstalt) und die einen Dreh durchgeknalltere Hipster/Vice-Fraktion, die auch auf Schockelemente setzt.

Im Neo Magazin Royal treffen Vertreter aller Richtungen mit Böhmermann zusammen - und diese Mischung ermöglicht das Entstehen einer neuen Gattung, die sich zu herkömmlicher Satire so verhält wie die neuen epischen Fernseh-Serien zu ihren noch deutlich einfacher gestrickten Vorgängern. Und deren Output jetzt schon die europäische Politik vor sich her treibt.

Einschub/persönliches Geständnis: Mir graust vor Böhmermann...

... schon seit Harald-Schmidt-Sidekick-Zeiten. Es gibt nichts Schlimmeres als den aufgebrezelten Schnösel, der seine Legitimation als Oberschichts-/Erbberechtigungs-Abgesicherter über Scherze auf Kosten anderer erreichen will; außer dem Aufsteiger, der sich damit in diese Kreise reinschleichen will, dem Masterplan-Checklisten-Hakerlmacher, der's einfach nie gut sein lassen kann, immer noch einen draufsetzen muss. Im Privatleben ist das jemand, dessen Bekanntschaft man schleunigst absetzen muss. Die Funktion einer öffentlichen Figur mit diesem Portefeuille ist hingegen nicht mit Gold aufzuwiegen. Auch weil sie einfach keine Hemmschwelle kennt und alle Grenzen auslotet.

Der Ekel vor Böhmermann hat auch mit seiner eindeutigen Distinktions- und Klassenpolitik zu tun, die die Autorin Antonia Baum hier in der FAZ gut auf den Punkt gebracht hat. Und mit dem unverhohlenen Sexismus, der im konservativen Feuilleton-Denken natürlich keinen Platz bekommt.

Mit dem, was man eigentlich nicht sagen darf, Debatte lostreten

All das hat in der Bewertung des aktuellen Falls und in der Entwicklung neuer deutschsprachiger Satire aber keinen Platz, zumindest keinen wichtigen. Denn nach im Schnitt jeweils zwei widerlich-danebenen und zwei öffentlichkeitswirksam-lustigen Streichen gelingt dem Böhmermann-Team jedes 5. Vorhaben zum entweder genre- oder realitätsverändernden Streich. Denn neben dem stilprägenden Varoufakis-Stinkefinger-Fake - zuletzt völlig zurecht grimmepreisgewürdigt - fallen da (kaum bemerkt von einem Journalismus, der drauf stolz ist, sich nicht mit den Satire-Shows zu beschäftigen) immer wieder Perlen ab: Etwa diese grandiose Aufarbeitung der Rolle von adidas im FIFA-Korruptionsskandal. Auch da arbeitet Team Böhmermann schon mit der Umkehrung des "Was man eigentlich nicht sagen darf".

Jetzt nach dem bewusst als "so dürfte man nicht" eingeleiteten Schmähgedicht (hier in einer Coverversion beschäftigt die politische Satire nicht mehr nur die Branche und Teile des aufgeschlossenen Journalismus. Und zwar: mit Absicht und mit Recht. Nach der Einbestellung des deutschen Botschafters wegen des vergleichsweise harmlosen extra 3-Songs war klar, dass die türkischen Überreaktoren schärfere Geschütze auffahren würde, ebenso wie die wankelmütige Reaktion der deutschen Regierung, die ja aktuell von Erdogans Goodwill abhängig ist, vorhersehbar war. Weshalb die Debatte "wie weit darf politische Satire gehen?" im politischen Mainstream ankommt und dort die Zusatzdebatte "Wie geht Erdogan mit Kritik und Medien im eigenen Land um?" und "Wie erpressbar ist die deutsche Regierung" bzw. (um da auch den österreichischen Aspekt reinzubringen) die EU?

Die Bedeutung widerständischer Satire überragt Medien und Politik

Unter normalen Umständen hätten fahrlässige Medien die Regierungs-Maßnahmen und die Auswirkungen wie immer nur unkritisch begleitet. So kommt die Tragweite des Deals ans Tageslicht - und der umfasst letztlich auch den Ausverkauf demokratischer Grundwerte für den potentiellen EU-Beitreter Türkei. Dass sich jetzt nicht nur Kollegen, sondern auch hochprominente Medien-Manager mit Böhmermann solidarisieren, ohne dessen Schaffen einordnen zu können, schwächt die Wirkungsmacht des Scoops keineswegs: Die (eher zugeschriebene als reale) Macht von politischer Satire, vor allem der weitere Userkreis wird sich drastisch erhöhen. Erdogan hat die Bedeutung von widerständischer Satire erkannt, und tritt ihr mit den gewohnten Mitteln entgegen, die in Deutschland nicht funktionieren werden können, juristische Spitzfindigkeiten hin oder her.

Böhmermann wird nicht in den Knast gehen, muss sich nicht in eine virtuelle TV-Welt flüchten, genauso wenig wie Merkel über den kleinen Sturm stürzen. In der deutschsprachigen Satire wird es aber eine Zeitrechnung vor und eine nach dem Schmähkritik-Fall geben. Team Böhmermann wird für das Zünden einer neuen Stufe von Satire jenseits der (eh schon fabelhaften) Erträglichmachung, der widerständischen Analyse und der vergleichenden Recherche zuständig sein, und dabei auch wieder vier von fünfmal ins Klo greifen, was bürgerliche Distinktions-Gewinnlerei, Sexismus/Rassismus betrifft. Die Mainstream-Medien werden sich (ebenso wie platte Bandwagon-Künstler) wieder nur an etwas dranhängen, ohne die Substanz begriffen zu haben und die nationale Politik wird wieder einen Bereich, den sie früher allein bestritten hat, an andere abgeben. Es sei denn, Frau Merkel fällt noch eine sehr sehr gute Lösung ein, die ihr und ihresgleichen die Würde zurückgibt und die politische Ethik behalten lässt.