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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

12. 4. 2016 - 11:48

Zauber und Abstumpfung

"The Huntsman: Winter's War", "Hardcore Henry" & "Midnight Special": Über drei höchst unterschiedliche Kinostarts aus dem Bereich des Fantastischen Films.

Es war einmal eine Schneewittchen-Verfilmung, sehr frei nach Vorlagen der Brüder Grimm, die zwar einige dramaturgische Durchhänger hatte, aber auch mit toller Besetzung und dunkler Schönheit betörte. Weil "Snow White and the Huntsman" an den Kinokassen ziemlich erfolgreich war, wurde natürlich schon bald eine Fortsetzung in Auftrag gegeben. Blöd nur, dass die böse Schwiegermutter, köstlich von Charlize Theron gespielt, am Ende natürlich abtreten musste und Schneewittchen Kristen Stewart sich lieber in Richtung Arthouse-Kino verabschiedete.

Huntsman: Winter's War

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"The Huntsman: Winter's War"

Märchenhafter Mashup

Spieglein, Spieglein an der Wand, fragten also die Produzenten, wer hat die cleversten Drehbuchideen in Hollywood-Land? "The Huntsman: Winter's War", bei uns "The Huntsman & The Ice Queen" umgetitelt, entpuppt sich nun tatsächlich als Prequel zur klassischen Schneewittchen-Story. Mit Emily Blunt als Schwester der finsteren Stiefmutter, Chris Hemsworth erneut als muskelbepacktem Jäger und Jessica Chastain als dessen Jugendliebe steht ein außergewöhnliches Darsteller-Trio im Mittelpunkt, das über den Abgang von Kristen Stewart hinwegtrösten soll.

Das Zusammentreffen der sympathischen Superstars erweist sich aber leider als eher schnarchige Angelegenheit. Jessica Chastain würde ich auch beim Vorlesen ihrer Einkaufsliste zusehen, erst recht beim Schwertkampf. Charlize Theron outriert in ihren wenigen Auftritten wieder so herrlich, dass man sich einen schwiegermütterlichen Spinoff wünscht. Aber zu offensichtlich will Debütregisseur Cedric Nicolas-Troyan am Fantasyboom mitnaschen und versucht mit einschlägigen Szenarien, Kreaturen und Looks den letzten Hobbit-Fan abzuholen.

Funktioniert schon das Mashup aus den grimmigen Brüdern und Tolkien-Putzigkeit nicht so richtig, versagt der aus dem Special-Effects-Bereich kommende Filmemacher in Sachen Dramaturgie gänzlich, auch die Schauspieler, die sicher Spaß am Set hatten, wirken vor der Green Screen alleine gelassen. Fazit: Während der Vorgängerfilm als finster-verwunschenes Gothic-Märchen faszinierte, zieht sich dieses Prequel wie ein computeranimierter Kaugummi.

The Huntsman: Winter's War

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"The Huntsman: Winter's War"

Todesgrüße aus Moskau

Wenn "The Huntsman: Winter’s War" für die belesene kleine Schwester konzipiert ist, die von Märchenbüchern auf Young-Adult-Literatur umgestiegen ist, dann ist "Hardcore Henry" ein Film für den pubertierenden Bruder, der sich mit seiner Games-Sammlung im verdunkelten Zimmer einsperrt. So ungefähr stelle ich mir auch die Kindheit des russischen Regisseurs Ilya Naishuller vor, ebenfalls ein Regiedebütant, der bislang mit einem wahnwitzigen Musikvideo für Aufsehen sorgte.

Sein POV-Clip "Bad Motherfucker" für die eigene Band Biting Elbows ging 2013 online und sammelte seit damals dank maximaler Splatterhärte 33 Millionen Views auf YouTube. Timur Bekmambetov, Russlands erfolgreichster Regie-Hooligan in Hollywood ("Wanted"), kontaktierte den jungen Naishuller via Facebook und bot ihm an, einen Film im selben First-Person-Stil zu produzieren. "Hardcore", wie der brachiale Actionkracher nun bei uns verkürzt heißt, hält exakt, was der Trailer verspricht: Willkommen zu einer Egoshooter-Experience, bei der man selber keine Finger rühren muss. Und es gibt sogar eine Story, zumindest Ansätze davon.

Wir verfolgen die Nonstop-Verfolgungsjagd aus dem Blickwinkel von Henry, einem Cyborg ohne Gedächtnis, der mit Hilfe eines geklonten Wissenschaftlers (Sharlto Copley in mehreren mächtig überdrehten Rollen) seine Identität herausfinden will. Nebenbei versucht er auch noch seine Frau aus der Gefangenschaft eines platinblonden Supermutanten zu retten und wird von Söldner-Heerscharen durch Moskau gehetzt.

Hardcore Henry

Polyfilm

"Hardcore Henry"

Totalbombardement der Sinne

Also stürzen wir Zuseher brutal Treppen (mit-)runter, springen durch Fenster, rasen aus allen greifbaren Waffen ballernd durch das Verkehrschaos der russischen Metropole, stolpern durch russische Rotlichtbars, mit Angreifern hinter jeden erdenklichen Ecke. Ununterbrochen brechen Knochen, zerfetzt es Arterien, spritzt Kunstblut auf das Objektiv der auf den Kopf geschnallten GoPro-Kamera.

Ilya Naishuller wollte offensichtlich den ultimativen Film machen, um sensible, kulturpessimistische Eltern zu verstören. Das funktioniert eine Weile durchaus, weil viele der Stunts in "Hardcore" wirklich atemberaubend sind. Aber wie bei jedem Totalbombardement der Sinne setzt die Abstumpfung unvermeidlich ein. Dann die Langeweile und die Genervtheit. Wem schon bei Found-Footage-Gewackel schlecht wird, der verabschiedet sich wohl bereits früher aus dem Film.

Am Ende hinterließen die Abenteuer von "Hardcore Henry" zumindest bei mir ein unbefriedigendes Gefühl der Zerissenheit. Die knochenbrecherischen Aktionen, unter weitgehendem Verzicht von CGI, ringen einem zweifellos Respekt ab. Trotz der Point of View-Perspektive stand ich dem Geschehen aber teilnahmslos gegenüber, fühlte mich nie involviert. Es ist, meinte ein befreundeter Kritiker, als ob man jemand anderem bei einem Egoshooter-Spiel zuschaut und dabei ermüdet. Die Chance, das Actionkino wirklich zu revolutionieren, wie zuvor "The Raid 2", die hat Ilya Naishuller jedenfalls verschenkt.

Hardcore Henry

Polyfilm

"Hardcore Henry"

Roadtrip to nowhere

Zirka das diametrale Gegenstück zu "Hardcore Henry" ist ein anderes Chase-Movie mit fantastischen Ansätzen. "Midnight Special" rollt bewusst bedächtig dahin, nimmt sich für kleine stimmige Momente jede Zeit der Welt. Jeff Nichols, einer der talentiertesten US-Regisseure der Gegenwart ("Take Shelter", "Mud"), schickt in seinem neuen Film ein seltsames Trio auf einen Roadtrip quer durch den amerikanischen Bible Belt, verfolgt vom FBI und zwielichtigen Gestalten.

Im Fluchtwagen befinden sich neben dem alleinerziehenden Vater Roy (Michael Shannon) auch dessen Komplize (Joel Edgerton) und der achtjährige Alton (Jaeden Lieberher), den die beiden angeblich entführt haben. Schnell wird klar, dass es sich eher um einen Rettungsversuch als ein kaltblütiges Kidnapping handelt. Roy hat seinen Sohn den Klauen einer religiösen Sekte entrissen, die das mysteriöse Kind als eine Art Erlöserfigur verehren. Die unerklärlichen Vorfälle rund um Alton rufen aber auch die Bundespolizei auf den Plan, die den Buben dringend in ihre Gewalt bringen will.

Michael Shannon, längst Stammschauspieler in Nichols herausragenden Genre-Variationen, darf endlich einmal eine Figur ohne schwindelerregende Abgründe spielen, sein stechender Trademark-Blick verleiht aber auch dem liebevollen Vater eine spezielle Präsenz. Eine ganze Stunde lang begleiten wir ihn und seine Begleiter durch melancholische Motel-Szenarien und heikle Konfrontationen mit der Außenwelt. Dann steuert "Midnight Special" langsam auf ein Finale zu, bei dem das Geheimnis des offensichtlich übernatürlich begabten Alton gelüftet wird.

Midnight Special

Gartenbau

"Midnight Special"

Sci-Fi-Hommage mit Brechungen

Filmstarts

"The Huntsman: Winter's War" und "Midnight Special laufen bereits in den österreichischen Kinos, "Hardcore" startet am 14. April.

Bis zu diesem Showdown, bei dem sich der grobkörnige 35mm-Realismus des Films in gleißenden, reinem Licht auflöst und der sicher die Gemüter spalten wird, war ich von "Midnight Special" schon vollends verschluckt. Wieder einer dieser Streifen, denen ein minimalistischer Plot voller absichtlicher Lücken genügt, weil es einfach um die hypnotische Atmosphäre geht, die durch einen pulsierenden Synth-Score verstärkt wird, um Schauplätze, Gesichter, Blicke, und Gesten.

Mit einem funkelnden Schauspielerensemble - Kirsten Dunst und Adam Driver gehören unbedingt noch erwähnt - gelingt Jeff Nichols eine traumwandlerische Verbeugung vor Sci-Fi-Streifen der späten 70er und frühen 80er Jahre. Aber "Midnight Special" ist mehr als eine Hommage an "Close Encounters Of The Third Kind", "Starman", "ET" oder "Firestarter", an Stephen King, Steven Spielberg und John Carpenter.

Nichols, der Meister der lakonischen Zurückhaltung, will kein plakativer JJ Abrams sein, seine Annäherung an die Klassiker seiner Kindheit setzt auf bewusste Brechungen und begnügt sich oft mit Andeutungen, statt primär nostalgische Knöpfe zu drücken. Bleibt also ein Film, der einerseits viel zu langsam für das Multiplex-Publikum ist und sich andererseits zu sehr dem Sci-Fi-Zauber hingibt, um die Programmkino-Crowd nicht zu irritieren, ein Film bewusst zwischen allen Stühlen, maßgeschneidert für den Schreiber dieser Zeilen.

Midnight Special

Gartenbau

"Midnight Special"

"Midnight Special" versucht weder genau definierte Zielgruppen abzuklappern noch mit provokativer Faust auf den Tisch zu hauen, er möchte einfach eine kleine Geschichte über Vaterschaft, Religion, amerikanische Autobahnen und paranormale Erscheinungen erzählen, fast bescheiden, und ist dennoch und gerade deswegen ein großer Film.