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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

11. 4. 2016 - 20:08

Daves Schicksal

Die Reichtumsfalle des Premierministers, warum alle bloß neidisch sind, und als Bonus der Anti-Brexit-Postwurf der Regierung.

Nachdem ich ein paar Mal gefragt wurde, ob David Cameron jetzt zurücktreten wird.

Wieso denn? Weil ein paar Tausend Leute übers Wochenende demonstriert haben vielleicht?

Nicht im Ernst, oder? Wenn dieses Land so funktionieren würde, wo wären wir da? Sicher nicht in einem Vereinten Königinnenreich, das steht fest.

Je länger die Berichterstattung über des Premierministers Verwicklung in die Panama Papers via dem Offshore Fonds seines Vaters andauert, desto mitleidiger wird mir in allen möglichen Medien erklärt, wie legal und nützlich das alles nicht wäre (es gibt keine andere Art, mit Dollars zu hantieren, als mit Umweg über eine Insel, anscheinend), und dass es schließlich die Sache des Staates sei, dafür zu sorgen, dass solche Schlupflöcher (zumal in alten britischen Kolonien) verschwinden.

„Ja eben“, schreie ich dann in Richtung Rundfunkgerät, „Genau diesen Staat führen aber Leute, die selber ihr Geld in Übersee aufbewahren, daher wird sich das auch nicht ändern. Das ist ja der Punkt.“

Aber das Rundfunkgerät redet einfach weiter unbeirrbar an mir vorbei, als wäre ich nicht da, und ich wende mich der Zeitung zu, aus der ich erfahre, dass der Chef der britischen Steuerbehörde Edward Troup in den Nullerjahren selbst bei Simmons & Simmons arbeitete - einer Finanzanwaltskanzlei, die neben einigen anderen Kunden der Agentur Mossack Fonsecca auch Blairmore Holdings, den Fonds von Cameron Vater, vertrat.

Dabei lernte Herr Troup alles, was er für seine Zweitkarriere im öffentlichen Dienst wissen musste. Laut der hier verlinkten Guardian-Story hat er Steuerzahlen in einem Artikel einmal als "legalisierte Erpressung" bezeichnet.

Die plumpsten Verschwörungstheoretiker würden es nicht wagen, sowas zu erfinden, ebensowenig wie David Camerons offenen Brief vom November 2013 an den damaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, in dessen vorletztem Absatz der britische Premier durchblicken lässt, dass ein öffentliches Register für „trusts and related private legal arrangements“, wie es manche in der EU forderten, seiner Meinung nach jetzt nicht so passend wäre.

Weit unbedeutender aber um einiges lustiger ist, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn, der vor einer Woche schon eine Offenlegung von David Camerons Steuererklärung forderte, seine eigene partout nicht finden konnte.

In der Zwischenzeit hat er beim Finanzamt eine Kopie des Formulars bestellt, das heute um 15 Uhr 35 während der Unterhausdebatte zum Thema eintraf.

Papierkram scheint nicht Corbyns Stärke zu sein. Es stellt sich heraus, dass er heuer 100 Pfund Strafe zahlen musste, weil er seine Steuererklärung zu spät abgeschickt hatte. Das hab noch nicht einmal ich geschafft...

„Aber geht es bei der ganzen Sache nicht genau um jene Dinge, die eben nicht in Steuererklärungen stehen?“, schreit ihr jetzt den Bildschirm an.

Ja eh. Wir sind aber hier schon jenseits solcher Argumente auf der anderen Seite der Hype-Welle, wo allen, die an schlauen Steuer-Arrangements was auszusetzen haben, bloßer Neid vorgehalten wird.

Den Vogel schoss heute Thatcher-Biograph Charles Moore im Daily Telegraph mit folgender These ab:

Man hört oft von Leuten, die in einer Armutsfalle gefangen sind, aber man kann auch im Reichtum gefangen sein. Das ist David Camerons Schicksal.

Im Hintergrund weinen tausend Violinen.

Jenes schuldlose Opfer des ererbten Reichtums, es wird uns also erhalten bleiben.

Wenn irgendjemand David Cameron zum Rücktritt bewegen hätte können, dann ohnehin nur die eigene Seite.

Und die besteht derzeit...

a) aus Leuten, die wollen, dass Dave bleibt und Großbritannien vor einem Ausstieg aus der EU bewahrt

b) aus solchen, die wollen, dass er lange genug im Amt bleibt, um dieses Referendum in seinem eigenen Namen zu verlieren.

Wie groß die Schnittmenge ist, wissen wir dann ab 24. Juni.

Bis 23. Juni dagegen kann Cameron vor laufender Kamera lebende Kaninchen häuten, und es wird ihm nichts passieren.

Übrigens:

Heute kam bei uns zuhause jene Broschüre an, die letzte Woche die britische Presse in Aufruhr versetzt hatte. 9 Millionen Pfund öffentlicher Gelder hat die britische Regierung dafür ausgegeben, ein Heftchen zu drucken und zu verschicken, in welchem dem Wahlvolk erklärt wird, warum es eine gute Idee wäre, EU-Mitglied zu bleiben.

Ich hab's hier jetzt einmal abfotografiert, ihr könnt damit genauso viel anfangen wie ich, denn entgegen der Behauptungen in dem Heftchen ("If you're over 18..." - ja, das bin ich schon!) darf ich als hier lebender Nicht-Brite ja nicht mitstimmen.

Ich weiß ja nicht, wie das wirkt, jetzt, nachdem sich die fast durchgehend europhobe Presse schon tagelang über die Steuergeldverschwendung dieses kleinen bisschen Postwurfs ausgelassen hat.

So als hätte ein_e Daily Mail-Leser_in je eine andere Gelegenheit, bis Ende Juni an ein Pro-EU-Mitgliedsschaft-Argument in Druckform heranzukommen.

Aber ich mag die Stock Photography in dem Heft. Die maskulinen Motorenschrauber, die Einkäuferin, die glückliche ethnische Minderheiten-Familie in der Küche mit der Oma, die alle lieben, dann die indigene Jeans-Familie.

Schade, dass ich da nicht ganz mit dazu gehören darf, aber nett irgendwie.

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

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EU Flyer der britischen Regierung

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Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

EU Flyer der britischen Regierung

Robert Rotifer

(Kann man nicht lesen, ich weiß. Aber mit Tischplatte war's hübscher.)