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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 4. 2016 - 15:45

Echo 2016: Eine Bestandsaufnahme

Dieses Jahr ist etwas zerbrochen zwischen dem Echo und mir.

Eigentlich hatte alles ganz gut angefangen. Den ganzen Donnerstag über herrschte eine leicht masochistische Vorfreude auf einen gruselig schlechten Fernsehabend.
Am Donnerstag wurde nämlich zum 25. Mal der "Echo" von der Deutschen Phono-Akademie vergeben. Der Echo ist ein reiner Verkaufspreis, also ein Verkaufszahlen-Award, mit dem sich die Musikindustrie feiert.

Der Echo ist immer eine Zumutung, aber irgendwie verbindet mich doch Einiges mit ihm. Als taz-Reporterin erlitt ich noch vor der Jahrtausendwende meine erste Champagnervergiftung nach einem Echo-Besuch. Es waren damals noch bessere Zeiten für die Musikindustrie, auch taz-Reporterinnen waren zur anschließenden Party im Palais am Funkturm geladen, und vor einer Pyramide aus Champagnerflaschen standen livrierte Kellner und schenkten das flüssige Gold großzügig aus.
Dann 2004, wieder für die taz vor Ort, fiel ich bei der Aftershow-Party in Ohnmacht, hatte aber die Füße vorher unter eine Heizungsverkleidung eingehakt und erlitt eine spektakuläre, offene, bimalleoläre Sprunggelenksfraktur. Ewig lag ich auf dem roten Teppichboden, wartete auf den Notarzt und spürte Vicky Leandros' mütterlich-besorgte Blicke auf mir ruhen, wogegen Otto Waalkes neugierig in seinem berühmten Känguru-Gang angehoppelt kam, mich aber in dieser Situation mit seinem gefistelten "Lassen sie mich durch, ich bin Arzt" nicht besonders aufheitern konnte.

Helene Fischer

Christiane Rösinger

Später wurde ich nicht mehr akkreditiert, weil ich oft so negativ berichtet und über die schlechte Stimmung im Saal aufgeklärt hatte: Die Branchenvertreter hängen nämlich wie Mumien in den Sitzen, auch die Stars sind total angekotzt und gelangweilt - die Stimmung auf der Galaveranstaltung ist legendär schlecht.
Dann war ich sogar selbst einmal für den Kritikerpreis nominiert - der inzwischen wegen mangelnder Mainstreamigkeit nicht mehr offiziell vergeben wird - und durfte mir das Elend in den ersten Reihen hinter den Kastelruther Spatzen und Take That anschauen. Tatsächlich gehen alle erfahrenen Preisträger wie David Garett und die Fantastischen Vier sofort aus dem Saal, sobald sie die Übergabe hinter sich haben.
So blieb ich dem Echo auch weiterhin verbunden, sah in den letzten Jahren Ina Müller und Helene Fischer moderieren und der Echo hatte einen festen Platz in meiner Fernseh-Jahresplanung.

Diese bizarre Faszination erklärte ich mir mit der Notwendigkeit der "Feindbeobachtung". Manchmal schau ich mir deshalb auch "Das Frühlingsfest der Volksmusik" mit Florian Silbereisen an.

Am Donnerstag begann die Übertragung aus den Berliner Messehallen wie gehabt mühsam und langweilig.
Bei einem zusammenhanglos-schleppenden Intro des Grauens schlenderten die Prinzen, H.P. Baxter, Lena, ein Scorpion, Sido, Tim Bendzko und Christina Stürmer singend oder pfeifend herein. Die Scherze der sonst doch gar nicht soo schlimmen Moderatorin Barbara Schöneberger liefen von Anfang an ins Leere, die Stimmung im Saal war und blieb wie immer auf dem Nullpunkt.

Sarah Connor hatte dankenswerterweise fünf Jahre lang eine künstlerische Pause gemacht, und bekam nun für ihr Erfolgsalbum "Muttersprache" einen Echo. Sie war sehr überrascht, zu Tränen gerührt und sang das Lied "Kommst du mit ihr?". Dann wurden Schlag auf Schlag Echos verliehen, es kamen ständig irgendwelche Bands und Newcomer, von denen ich nie was gehört hatte, auf die Bühne. Manches wirkte wie eine Persiflage, war es aber nicht. Bei den "Songs des Jahres" kannte ich nur einen von fünf: "Hello" von Adele. Das stürzte mich in Altersdepressionen, bis mir eine 28-jährige Freundin what's appte, sie kenne nur ein Lied von den Hits des Jahres und fühle sich unendlich alt.

Sarah Connor beim Echo 2016

APA/AFP/POOL/MARKUS SCHREIBER

Sarah Connor beim Echo 2016

Das Elend nahm seinen Lauf: junge Schwiegersohn-Typen sangen quälend biedere Lieder mit Tiefe vortäuschenden Texten und erwartbaren Melodien. Wenn es ganz pathetisch wurde, kam im Refrain ein alberner Gospelchor dazu. Nach einer Weile verschwamm alles - die Kategorien und Preisträger schienen alle schon mal auf der Bühne gewesen, manche wurden mit allem ausgezeichnet und traten als "bester act national", "alternative international", "bester act national ausland", "rock pop national", "rock alternative national" gleichzeitig auf. In manchen Kategorien international wiederum war kein einziger der nominierten und Gewinner- Acts anwesend, Iron Maiden bedankten sich vom Bandflugzeug in Brasilien aus für den Preis.

Dann sang Esoterik-Enya vor einem Regenvorhang, dahinter mussten sich die Ausdruckstänzer ihre weiße Unterwäsche nass regnen lassen, natürlich begleitet von einem Streichorchester.

The daily Blumenau

Darf es sowas wie konservativen Antifaschismus geben?
Freiwild und der Echo 2016.

Mit der Südtiroler Band Freiwild war bald der absolute Tiefpunkt der Show erreicht. Vor drei Jahren wurde der Auftritt von Freiwild noch verhindert, weil einige andere Bands und Künstler mit ihrem Fernbleiben drohten, sollten Freiwild den Echo bekommen. Dieses Jahr durfte die Band, bekannt durch ihren Stilmix aus Heimatliebe, völkischem Gedankengut, Naturverbundenheit und Maskulinismus, in ihrer Rede in einer ekelhaften Mischung aus Opfergetue und Aggression erst mal klar stellen "wir sind nicht das, was viele von uns annehmen". Im Folgenden ging es dann viel um Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen. Wäre der Typ nicht mit dem Echo in der Hand da gestanden, man hätte das ganze für Viagrawerbung halten können.

Den einzig schönen musikalischen Moment in über drei Stunden brachte der Aufritt von Weeknd. Ein bisschen lustig wurde es noch, als Udo Lindenberg sein Mikrofon so nonchalant herum schlenkerte, dass auch dem Letzten klar wurde, dass hier alles Vollplayback ist.

Ach es gibt so viel schreckliche Musik. Ein Joris, Newcomer, aber auch Rock Pop International, gewann irgendwann mal alles, auch den Kritikerpreis. Die ebenfalls nominierten Isolation Berlin, KIZ, Tocotronic und DJ Koze wurden noch nicht einmal erwähnt.

Sie hätten auch nicht in das Programm gepasst. Drei Stunden schreckliche Musik, wie ein Chemiepudding - eine einzige, künstlich schmeckende Pampe.

Echo 2016. Dieses Jahr ist etwas zerbrochen zwischen dem Echo und mir. Urfad war es immer schon, aber dieses Jahr muss ich einem Facebookfreund beipflichten, der nach dem bitteren Ende postete: Der Echo ist eine sauschlimme Drecksveranstaltung.
Echo - es ist vorbei. Nie wieder.