Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Monique Schwitter in der FM4 Bücherei"

Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

10. 4. 2016 - 13:00

Monique Schwitter in der FM4 Bücherei

Die Schriftstellerin und Wortlautjurorin empfiehlt Bücher, die die Grenzen zwischen Realität, Phantasie und Erinnerung ausloten von Leta Semadeni, Max Frisch und Vlada Urošević.

Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.

Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor bzw. Bücher, die man lesen sollte.

Diesmal zu Gast: Monique Schwitter

2002 ging die Autorin Monique Schwitter erstmals mit einem Text an die Öffentlichkeit - bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. (Mittlerweile wurde sie vielfach ausgezeichnet - zuletzt mit dem Schweizer Buchpreis für den Roman "Eins im andern").
Zurück zu Wortlaut - das Thema damals war "Alles Inclusive". Lange habe sie über die Umsetzung nachgedacht. "Ich hab diesen Text für den Wettbewerb geschrieben, um diesen Laptop zu gewinnen." erklärt sie lachend.
Jahrelang hat sie nur am Laptop geschrieben.
"Das war für mich eine völlig neue befreiende Ära in meinem Schreiben." Alles hat sie getippt - auch Notizen und Einkaufslisten.
Im Winter war sie zwei Wochen für eine Reportage in Südafrika, wo sie möglichst wenig Gepäck mitnehmen konnte. Dort hat sie täglich stundenlang geschrieben. "Und ich hab auch wieder gemerkt, wie anstrengend das ist. Weil man so ungeübt ist." Aber immerhin die Erkenntnis: von Hand zu schreiben verdichtet den Text.

Heuer ist Monique Schwitter in der Wortlautjury. Dabei möchte sie sich von Kurzgeschichten überraschen lassen. Der Text soll ihr nicht das bieten, was sie lesen möchte.
"Jeder Text, der wirklich gut ist, muss unerhört sein und in gewisser Weise eine Zumutung. Also man kriegt mich ganz sicher nicht, indem man so schreibt wie …
Weder vom Ton her noch vom Stil her noch formal. Sondern, indem ein Text etwas Unerhörtes wagt und tatsächlich eine kleine Zumutung darstellt - auch an die Leserin, die ich dann bin."

Monique Schwitter liest viel. Am liebsten auf dem Bauch im Bett liegend. Von einer großen eigenen Büchersammlung hält sie wenig - zu oft ist sie umgezogen (Zürich, Salzburg, Graz, Hamburg sind nur einige der Stationen). Umso lieber besucht sie daher Büchereien. Und jetzt die FM4 Bücherei.

buechereiausweis schwitter

Radio FM4/Zita Bereuter

buchcover tamangur

Rotpunktverlag

Leta Semadeni: Tamangur. Rotpunktverlag 2015

Leta Semadeni: Tamangur

"Leta Semadeni ist eine Schweizer Dichterin, die ihr Leben lang Lyrik geschrieben hat - zweisprachig auf Ladinisch und Deutsch. Sie hat jetzt zum ersten Mal ein Prosastück - eben diesen Roman - vorgelegt. Das ist wirklich ein Juwel.
Es ist eine wunderbare Geschichte von einer Großmutter und ihrer Enkelin, die mit einer großen Leerstelle umzugehen haben: Nämlich dem abwesenden Großvater, der eben in Tamangur ist. Das ist dort, wo man ist, wenn man nicht hier ist. Und es geht nun darum, wie die Großmutter und die Enkelin mit dieser Leerstelle umgehen, mit dieser Trauer. Insbesondere schön daran ist auch, dass diese Enkelin sich eigentlich verantwortlich fühlt, dafür, dass der Großvater in Tamangur ist.
Und wie sich diese beiden nun gegenseitig versuchen in diesem Vakuum die Hand zu reichen, um auch weiter zu gehen und auch weiter zu leben, das ist wirklich sehr poetisch, sehr schön, sehr lustig und es erzählt ganz viel über die Sehnunscht, die man hat, nach den Großeltern, nach den anderen, nach Bindung, nach Familie, nach zuhause sein, nach Träumen, nach der Poesie die wir brauchen, auch als Motor für unser Leben. Und welche Rolle das Erinnern und das Erzählen dabei spielt."


buchcover Max Frisch: Der Mensch erscheint im Holozän

Suhrkamp Verlag

Max Frisch: Der Mensch erscheint im Holozän, Suhrkamp 1979

Max Frisch: Der Mensch erscheint im Holozän

"Das ist ein Buch, mit dem ich nicht fertig werde und das ich tatsächlich schon mehrfach gelesen habe. Es wurde 1979 geschrieben und ist, wenn man es heute liest, von einer unglaublichen Aktualität.
Es geht um einen Mann, Herrn Geiser. Er befindet sich in den Bergen, in einer Hütte. Es gewittert und gewittert und gewittert. Und allmählich erodiert die ganze Welt und gerät in Bewegung. Die ganze Bergwelt scheint sich aufzulösen. Herr Geiser versucht, der drohenden Erosion um ihn rum zu entkommen. Er weiß nicht, wie lange sein Haus noch steht. Er weiß nicht, wie lange die Welt noch steht. Und alles scheint in Auflösung begriffen. Und er versucht nun, er ist nämlich von einem drohenden Gedächtnisschwund betroffen, sich in dieser Auflösungserscheinung zu verorten.
Und er fängt an, alles Wissen, das er hat, aufzuschreiben und in seiner Hütte an die Wand zu kleben. Und in dieser Erinnerung daran, die Erinnerung was er selber weiß und wer er selber ist, entsteht so was wie nicht nur eine Bestandsaufnahme seines Wissens, sondern selbstverständlich geht es darum, sich selber sozusagen in dieser Auflösung zu behaupten. Und dieser Kampf des einzelnen Mannes im Verfall in ihm und um ihn, dieser Kampf ist wirklich sehr eindrücklich es ist auch sehr rührend.
Man sieht einerseits die Vergeblichkeit des ganzen Unterfangens, des Menschen überhaupt, so etwas wie Schrift zu retten. So etwas wie die Verdinglichung von Schrift.
Aber es zeigt uns eben auch sehr schön, wozu wir genau diese Schrift brauchen. Nämlich immer wieder um uns unserer Selbst zu vergewissern und der Welt - nicht nur in der wir leben, sondern auch die Welt, in der wir leben möchten. Auch die Welt die wir, Kraft unserer Phantasie oder Ideen ja immer wieder erschaffen. Dass eben diese Welt erst mal auf einem Zettel entsteht, den wir vollkritzeln. Mit einer Idee, mit einem Gedanken, mit einem Traum. Und an irgendeine Wand kleben oder pinnen oder stechen, um draus das zu erschaffen, was man Wirklichkeit nennt."

buchcover Vlada Urošević: Meine Cousine Emilia

dtv Verlag

Vlada Urošević: Meine Cousine Emilia. Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer, dtv Premium 2013

Vlada Urošević: Meine Cousine Emilia

"Vlada Urošević ist ein älterer Herr. Er ist 1934 in Skopie geboren und ist einer der bedeutendsten Autoren Mazedoniens, gleichwohl war er mir gänzlich unbekannt. Das ist ja sowieso ein großes Mysterium der Literatur, dass - ohne Ironie und Scherz - oft Weltliteratur völlig unbekannt ist - über gewisse Kreise hinaus. Seien es Ländergrenzen oder sprachliche Grenzen.
Herr Urošević wurde von meinem Scheinwerfer bisher überhaupt nicht gestreift, was natürlich auch daran liegt, dass er bisher in deutscher Übersetzung nicht unbedingt vorlag.

Es gibt eine Initiative der Europäischen Autorenvereinigung mit Sitz in Paris, die heißt Finnegans Liste (Anm.: Monique Schwitter war 2014 in der Jury) Darauf empfehlen Autoren jedes Jahr Bücher von anderen Autoren, die ihrer Meinung nach zu wenig übersetzt und bekannt sind. Also Autoren als lesende Trüffelschweine, die anderen Menschen Werke zugänglich machen. Und auf dieser Liste war eben dieses Buch.
Das Buch ist eine große Entdeckungsreise. Es geht um Emilia und ihren Cousin. Diese beiden Kinder, die einerseits ihre Stadt und die Welt entdecken, die Wirklichkeit entdecken, aber eben auch das große Reich der Phantasie, das genauso gleichberechtigt dahinter, daneben oder darunter vorkommt. Insgesamt ergibt sich da wirklich eine großartige Reise - irgendwo träumen und wachen und irgendwo am Rande, wo vielleicht die Schwerkraft nicht mehr gilt."