Erstellt am: 8. 4. 2016 - 15:43 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 08-04-16.
#musikbepreisung #nazirock #konservativeantifaschisten
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Der Echo für frei.wild, die Aufregung darüber und wie der Skandal bei näherer Beschäftigung in sich zusammenfällt, weil es nicht geben kann, was es nicht geben darf.
Nationaler Rock, die Gefühlswallung und die Ausgrenzung
Gestern bei der Verleihung des deutschen Musikpreises, des Echo, die gefühlte fünf Stunden dauert, voll von peinlichen Live-Acts und überlangen, sinnleeren Lobes- und Dankes-Reden ist, peinlichst moderiert wird, und dafür sorgt, dass ich den heurigen Amadeus im Nachhinein noch mehr schätzen muss, war da eh nur dieser eine Moment.
Nicht die halbe Sekunde, die Wanda im Bild waren, ehe sie - ebenso wie Bilderbuch - als eine der fünf Nominierten für den "Newcomer international" ein paar Sound-Momente lang zu hören waren. Den Preis gewann dann ein armer Tropf, der dafür durch ein Gegengeschäfts-Duett mit Sarah Connor (mit schicker U6-Drogenvercheckerinnen-Frisur) musste. Andere Österreicherinnen (Christina Stürmer) wurden im Intro als genuin echomäßige Nationale/Deutsche angeführt - die Logik hält sich also in engen Grenzen.
Nein, ich meine den Moment als eine andere, zwar deutschsprachige, aber keineswegs deutsche Band (ich sag ja, eine eng eingezäunte Logik...) den Preis in der Kategorie "Rock/Alternative National" überreicht bekam: frei.wild aus Südtirol. Wobei "national" da wieder stimmt.
Des frei.wild-Sängers Stimme bebte in einer Mischung aus Rührung und Angespanntheit, als er seine Rede (als einziger an diesem Abend von einem Zettel, so wichtig war es ihm, die Worte genau zu setzen) ablas. Und für alle, die keine Ahnung von den diversen Vorgeschichten der Band und der Band mit dem Echo hatten, blieb nur eine Hookline hängen: dass man stolz wäre auf die Ausdauer, die nötig gewesen war, um die Ausgrenzung zu überwinden; weil man doch auf allen Ebenen immer genau gegen Ausgrenzung gewirkt habe.
Das liegt gefährlich nahe am Phrasenschatz von Rechtsextremen im Schafspelz der Populisten; echot den Breivik'schen Opfermythos einer mittlerweile zur Minderheit geschrumpften paneuropäischen Autochtonie, die auch ihre Definitionsmächtigkeit an den genderkorrekten Gutmenschen-Terrorismus verloren hat, der Regierungen und Medien beherrscht und den kleinen Mann abzockt. Ganz normaler Verschwörungstheorismus also, der im Kern die Abschaffung der Demokratie als bestes Mittel gegen eine behauptete Unterjochung insinuiert.
Es kann aber auch ganz anders sein. Dass sich nämlich ein Act tatsächlich unverstanden gefühlt, erst mittels (für sich selber durchaus) schmerzlicher Bekenntnisse freigeschaufelt hat und so das Gefühl einer subjektiv unberechtigten Ausgrenzung wirklich erfahren hat. Und das dann, Gefühlswallung inklusive, halt in der Art und Weise kommuniziert, die unter Nationalen nicht ehrenrührig ist.
Beides ist möglich.
Denn im Fall frei.wild ist die Sachlage nicht so eindeutig, wie es schlagzeilentüchtige Medien und nach simplen Einteilungen süchtige Konsumenten, also die unheilige Koalition der in den Echokammern des Webs vervielfältigten gesellschaftlichen Verdummung gerne hätten.
Vom Opfermythos bis zur Erklärung gegen Fremdenhass
Da folgt auf den Sündenfall eines zu schnell in Arroganz umschlagenden Krudo-Nationalismus der eher zufällig radikale Rausschmiss aus der Branchen-Gemeinschaft, da folgte auf einen Zusammenbruch/Nachdenkphase die vielleicht ernsthafteste Beschäftigung einer eindeutig nationalen Gruppierung mit dem Thema Migration und Instrumentalisierung und mehrere daraus entwachsene Statements, die mehr Zweifel in womöglich gar nicht so gefestigte Weltbilder streuen konnten, als die bravsten und weiträumigsten Image-Kampagnen derer, die es gut meinen. Womöglich haben Social-Media-Postings von frei.wild mehr bewegt als eine ganze Bild-Kampagne.
Ein kurzer kursorischer Überblick (Auskenner können scrollen): frei.wild aus Brixen in Südtirol/Alto Adige gehen es wie die Onkelz an: wird-man-ja-noch-sagen-dürfen-Betonungen des Stolz-Seins auf "deutsche" Tugenden (Ehre, Treue), Betonung von Freiheit und Heimat, spezielle Achtung von Scholle und Tradition, alles mit einer inbrünstigen Blut und Boden-Lyrik, die direkt bei Luis Trenker und Leni Riefenstahl andockt. Sänger Philipp Burger kam von den notorischen Rechtsextrem-Rockern Kaiserjäger. Die Zu/Einordnung ergab sich also von selber: Die Band wurde nach diversen Eklats als völkisch, ultranationalistisch und z.B. den Identitären nahestehend eingeordnet und sonnte sich in den diversen deutschnationalen Medienkanälen in ihrer frischen Popularität, genoss den Ritt auf der braunen Welle mit angriffigen Attacken. Ganz wie die Böhsen Onkelz zu ihrer besten Zeit.
Eine Nominierung für den Echo 2013 in der Kategorie Rock/Alternative scheiterte an der Boykott-Drohung von wichtigen Acts wie Kraftklub, Mia, Jennifer Rostock oder den Ärzten. Die Folgen: diverse Hin- und Her-Shitstorms, Absprung von Sponsoren, Absage von Touren, Indizierungsanträge etc. Also: Ausnahmezustand.
Die Band zog zwei Konsequenzen.
Die eine, weniger wichtige, aber fürs Verstehen der Echo-Rede bedeutende: Eine Entschuldigung der Echo-Verantwortlichen für die nach den Regeln unbegründete, rein politische Ausladung. Dass die bis heute nicht erfolgt ist, erklärt die zwischen Pampigkeit und Tränendüselei angesiedelte Dankesrede und das Bild der "Ausgrenzung".
Die zweite wog schwerer: frei.wild, vor allem der durch seine Vergangenheit am schwerste belastete Sänger Burger, arbeiteten an einer Kommunikationsstrategie, die ihre (ebenso erst zu erarbeitende) Positionierung klar machen sollte.
Outcome: eine sowohl auf dem 2015er-Album "Opposition" als auch in ganz bewusst gesetzten Postings (auf der eigenen Website und in Social Media) und noch mehr in langen und klar akzentuierten Interviews (vor allem für TV-Kulturmagazine) Distanzierung von Xenophobie, Flüchtlingsfeindlichkeit, Pegida, AfD etc, eine deutliche Erklärung gegen Fremdenhass. Die große Teile der Szene vor den Kopf stieß.
In dieser scharfen Form und mit der erstaunlich klaren Grundhaltung ist frei.wild das aktuell vielleicht einzige nationale/nationalistische Projekt, das sich zu diesen Themen klar bekennt und Denk- sowie Argumentationsstoff liefert, der auch anderen Nationalisten eine differenzierte Herangehensweise ermöglicht.
Klaus Farin, der Gründer des Archivs der Jugendkulturen sieht die Band als konservative Antifaschisten.
Als es kürzlich wegen eines Konzerts in St. Pölten zu Voraberregungen kam, winkte das DÖW ab und sprach von positiver Vorbildwirkung auf junge Fans. Zudem setzt Burger immer wieder noch einen drauf und regrettet rien.
Dass das Misstrauen frei.wild gegenüber immer noch tief ist, hat mit ähnlich gearteten, aber eindeutiger als augenzwinkernder Schmäh erkennbaren Distanzierungen der großen Schatten-Band dieses Konflikts, der Böhsen Onkelz, zu tun. Die waren nie präzis und tiefgehend, nie direkt ans Klientel gerichtet, sondern hatten immer den ökonomischen Erfolg eines gut geölten Projekts im Auge. Unterschwellig und beleglos wirft man frei.wild jetzt genau das vor.
Selbst in Musik/Jugendmedien, die sich differenziert mit ihren Themen auseinandersetzen, ist die Positionierung der Band nur ein Unterpunkt der quasi gleichwertig neben den alten Sünden steht. Das sind Freund/Feind-Schemata, die ich nicht nachvollziehen kann. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die (gleich zwei) Nominierungen der Böhsen Onkelz, die trotz deutlich weniger distanzierendem Input und unverhohlenem Kokettieren mit Rechtsaußen, nirgendwo thematisiert wurden.