Erstellt am: 7. 4. 2016 - 19:00 Uhr
EU-Richtlinie gegen Whistleblower vor Abstimmung
Am 14. April stimmt das EU-Parlament über eine neue Richtlinie zum Schutz von Wirtschaftsgeheimnissen ab. Angesichts der durch die Panama-Papiere aufgeflogenen Steuerhinterziehung über Briefkastenfirmen flammt die Kritik an der ebenso vagen wie breiten Definition von Geschäftsgeheimnissen erneut auf. Ein solches ist laut Richtlinienentwurf gegeben, wenn eine Firma beliebige interne Vorgänge oder Techniken, Akquisitionen etc. zum "Trade Secret" erklärt, sofern diese (noch) nicht-öffentlich sind. Erklärtes Ziel dabei ist es, auch Personen die in "gutem Glauben" handeln, verklagen zu können.
Aktuell dazu in ORF.at
Am Donnerstag gab der Chef der in die Offshore-Geschäfte in Panama verwickelten Hypo Vorarlberg seinen Rücktritt bekannt. Ein Schuldeingeständnis sei das nicht, hieß es.
Nach Ansicht aller Kritiker wird durch diesen Ansatz ein mächtiges Instrument für Konzerne konstruiert, um nicht nur gegen Wirtschaftsspione, sondern vor allem gegen Whistleblower und Journalisten vorzugehen. Am 26. April beginnt in Luxemburg der Prozess gegen den Urheber der "LuxLeaks". Mitangeklagt ist jener Journalist, der die Informationen als erster verbreitet hatte. Die aktuelle "Trade Secrets"-Rіchtlinie ist frontal gegen diese Art von Aufdeckungsarbeit gerichtet, konzipiert wurde sie auch nicht von der Kommission, sondern von Baker & McKenzie, der weltgrößten Wirtschaftsanwaltskanzlei.
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Baker & McKenzie
Reaktionen der Parteien
Die Panama-Papiere in ORF.at
In Österreich sind der ORF sowie der "Falter" an der Aufarbeitung der Panama-Papiere beteiligt. Die unbekannten Eigentümer einer Luxusjacht und die Verwicklung österreichischer Banken, sowie die Geschäfte eines Wiener Investmenthauses mit Beamten in Ungarn
Eine Anfrage von ORF.at an die Abgeordneten zum EU-Parlament zu diesem Thema brachte ein sehr ungewöhnliches Ergebnis. Obwohl es nur vier kurze Fragen an die fünf parlamentarischen Fraktionen waren, denen österreichische Abgeordnete angehören, fehlen nach mehr als zwei Tagen ausgerechnet die Antworten der drei größten Fraktionen. Reaktionen gab es nur seitens der Grünen sowie der FPÖ, die seit dem Sommer 2015 der von der französischen "Front National" dominierten Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" angehört. Während die Antworten aus dem Büro von MEP Harald Vilimsky zwischen Skepsis und dem Schutz der europäischen Wirtschaft vor Spionage angesiedelt sind, trommelt die Grüne Fraktion ziemlich allein auf weiter Flur dagegen.
Ihrem Text nach war die Richtlinie von Anfang an nicht gegen Wirtschaftsspionage konzipiert, denn die ist ohnehin in allen Mitgliedsstaaten seit eh und je strafbar. Vielmehr sollte sie die Einleitung von Ѕtrafverfahren EU-weit bereits dann ermöglichen, wenn der angebliche Verstoß gegen "Geschäftsgeheimnisse" ohne kriminelle Absichten, nämlich "guten Glaubens" passiert. Was wiederum zum "Geschäftsgeheimnis" zählt, definieren die betroffenen Unternehmen als solches, es darf nur noch nicht öffentlich bekannt gewesen sein. Ein Prozess wie jener in Brüssel, in dem nicht nur der Whistleblower angeklagt ist, sondern auch der erste öffentliche Berichterstatter als Mittäter, könnte also für investigative Journalisten zur Regel werden.
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Baker & McKenzie
Legitimes Schutzinteresse, illegale Aktivitäten
"Für die Eröffnung eines Verfahrens legen viele EU-Mitgliedstaaten derzeit deutlich strengere Maßstäbe an. Zum Beispiel muss ein legitimes Schutzinteresse des Unternehmens bestehen" schrieb die deutsche Abgeordnete Julia Reda, die für das Thema in der Fraktion der Grünen zuständig ist, an ORF.at. "Das schließt den Schutz von Informationen über illegale Aktivitäten einer Firma als Geschäftsgeheimnis grundsätzlich aus. Nach der neuen Definition in der EU-Richtlinie können aber jegliche Informationen als Geschäftsgeheimnis geschützt werden, sofern ihre Veröffentlichung einen finanziellen Schaden für das Unternehmen anrichten würde."
Die Studie zu "Trade Secrets and Confidential Business Information" im Volltext, die begleitende Präsentation sowie die Presseerklärung des Unternehmens
In Zukunft soll die Berufung auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen reichen, um Verfahren gegen Whistleblower zu starten und zwar ohne vorherige nähere Prüfung durch das Gericht, ob überhaupt ein legitimes Schutzinteresse besteht. Im Fall der "Luxleaks", die im Anschluss vom selben internationalen Konsortium für investigativen Journalismus (ICIJ) ausrecherchiert wurden, das nun die "Panama-Papers" untersucht, hatten die Enthüllungen Deltours direkte Konsequenzen. In Folge entschied die Kommission, dass die Steuererleichterungen für multinationale Konzerne in Luxemburg und den Niederlanden illegale Beihilfen darstellten.
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EU-Kommission
Der Fall "LuxLeaks"
Das Unterstützerkomitee für Antoine Deltour und die europaweite Initiative gegen die neue Richtlinie.
Allein die Luxemburger Finanztochter des Fiat-Konzerns und die US-Kaffeehauskette Starbucks müssen jeweils an die 30 Millionen Euro an Steuern nachzahlen, Experten gehen insgesamt von einer mittleren dreistelligen Millionensumme aus, die dadurch zusätzlich in den Staatskassen landet. Whistleblower Antoine Deltour und der französische Journalist Edouard Perrin, der als erster schon 2012 über den Fall berichtet hatte, den das ICIJ 2014 dann aufrollte, wurden nach bestehendem Luxemburger Recht wegen Diebstahls, schweren professionellen Geheimnisverrats und anderen Delikten angeklagt. Beiden drohen laut der Tageszeitung "Luxemburger Wort" mehrjährige Haftstrafen. Dass diese Vorgangsweise wenigstens in Luxemburg bereits unter bestehendem EU-Recht möglich ist, hat für Stirnrunzeln gesorgt. Sollte die "Trade-Secrets"-Richtlinie in ihrer derzeitigen Form verabschiedet werden, wird das zum Regelfall.
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Baker & McKenzie
Spezialberater, Beweislast umgekehrt
Am 6. Mai, dem letzten Prozesstag gegen Deltour, werden die Grünen den Entwurf einer Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern vorstellen
In der Richtlinie werde die Beweislast quer durch Europa nämlich umgedreht, schreibt MEP Julia Reda: "Das Recht auf Geheimhaltung ist dann der Normalfall, die Veröffentlichung die Ausnahme." Genau das wurde mit dieser Richtlinie angestrebt, die im Frühjahr 2013 von der Kommission auf den Weg gebracht wurde, Baker und McKenzie wurden dafür als "Spezialberater" mit einer Studie beauftragt. Die hauptsächlichen Hindernisse waren von den Finanzanwälten schnell ausgemacht, nämlich die existierenden Regeln ordentlicher Gerichtsbarkeit in Europa, das geht aus der Präsentation der Studie hervor, die auf der Website der Kommission zu finden ist.
Die wichtigsten beiden Faktoren, die eine "Durchsetzung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen" erschwerten, seien erstens das "Fehlen adäquater Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor Gericht." Gemeint ist damit, dass bei Prozessen rund um die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen diese auch vor Gericht dargelegt werden müssen, was nun einmal zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehört. Als zweites Hindernis wird die "generelle Unmöglichkeit" gesehen, "Geschäftsgeheimnisse gegen Dritte durchzusetzen, die in gutem Glauben gehandelt haben." Letzteres ist eine ziemlich präzise Definition von "Whistleblowers", die etwa im guten Glauben handeln, um Wirtschaftskriminelle vor Gericht zu bringe.
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EU-Kommission
Geschäftsgeheimnisse und Investorenschutz
Zu allem Überfluss werden die EU-Staaten in mehreren Passagen förmlich aufgefordert, die Richtlinie bei ihrer Umsetzung in nationales Recht nach Belieben zu verschärfen. Das Gros der Verweise auf Einschränkungen durch bestehendes Recht, nämlich Grundrechte wie jenes auf Informationsfreiheit, oder die Freiheit einen Beruf auszuüben, die in der EU-Charta und anderen Gesetzeswerken festgehalten, wurden erst nachträglich in den Text eingefügt. Verändert wird die Richtlinie durch diese Verweise kaum, da die definierten Grundrechte ohnehin auch für neue Gesetzesvorhaben gelten, ob sie darin erwähnt werden, oder eben nicht.
Auf den 160 Seiten der Studie werden weder Whistleblower noch Journalisten als mögliche Akteure überhaupt erwähnt, denn erstellt wurde sie auf Drängen internationaler Großkonzerne. Wie aus Präsentation und Studie hervorgeht, geschah dies mit der Vertragsnummer "MARKT/2011/128/D", also bereits 2011, als die Enthüllungen durch WikiLeaks die Öffentlichkeit beherrschten. Was die eigentliche Gefahr betrifft, die von der Richtlinie ausgeht, so besteht die weniger darin, dass es in Folge zu Haftstrafen für Journalisten kommt. Wie auch die Schiedsgerichtsverfahren in allen internationalen Handelsverträgen dort in erster Linie wegen ihrer abschreckenden Wirkung enthalten sind, so dient auch diese Richtlinie genau demselben Zweck. Die Großkanzlei Baker und McKenzie, die um die 2,5 Milliarden Dollar jährlich umsetzt, ist auch bei "Arbitration Services" einer der weltweit größten Player in Investorenschutzverfahren.
Ausblick
Dasselbe EU-Parlament, das die Richtlinie voraussichtlich am nächsten Donnerstag verabschieden wird, hat Whistleblower Antoine Deltour 2015 für seinen Mut mit dem Europäischen "Citizen's Award" ausgezeichnet.