Erstellt am: 7. 4. 2016 - 14:46 Uhr
Schreckgespenst Nuklearterrorismus
Seit den Terroranschlägen von Paris und Brüssel wird auch die Sicherheit von Atomanlagen in Europa verstärkt diskutiert. So ist mittlerweile etwa bekannt, dass ein Mann, der sich der IS-Miliz angeschlossen hat, der in Syrien getötete Ilyass Boughalab, zuvor drei Jahre lang im belgischen Atomkraftwerk Doel gearbeitet hatte. Oder dass ein Wissenschaftler eines belgischen Nuklearforschungszentrums von einem Mann aus dem Umfeld der Paris-Attentäter mit vesteckter Kamera ausgespäht wurde - nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden könnte sein Plan gewesen sein, den Forscher oder eines seiner Familienmitglieder zu entführen, um die Herausgabe von radioaktivem Material zu erzwingen.
IFSH
Der deutsche Physiker Dr. Götz Neuneck hat sich seit den Achtzigerjahren mit Militärtechnologien und Rüstungskontrolle beschäftigt. Derzeit ist er Professor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Eines seiner Projekte heißt "Nukleare Weiterverbreitung und Nuklearterrorismus". In Bezug auf letzteren seien verschiedene Szenarien vorstellbar, sagt Neuneck. Bei einer militärischen Atombombe gehe es um das Herstellen einer Kettenreaktion - Terroristen könnten aber auch einfach Interesse haben, radioaktives Material möglichst breit auszustreuen: "Plutonium hat eine lange Halbwertszeit von 24.000 Jahren und strahlt Radioaktivität in verschiedenster Form ab. Dieses Material in einer gewissen Höhe durch einen einfachen Sprengstoff zur Explosion zu bringen ist auch ein Akt des Nuklearterrorismus, bedeutet aber keine Kettenreaktion. Nicht die Freisetzung eines Feuerballs und großer Hitze, sondern 'lediglich' das flächenmäßige Ausstreuen von Material, das weiterstrahlt."
Eine Handvoll Plutonium
Um eine Nuklearwaffe mit richtiger Kettenreaktion zu bauen, ist mehr technisches Wissen nötig - aber nicht viel Plutonium: Acht Kilogramm reichen dafür, und diese Menge passt in eine Hand: Sie hat die Größe einer Orange. Bei hochangereichtertem Uran sei für eine richtige Atombombe etwas mehr Material nötig - 20 bis 25 Kilo, sagt Neuneck, dafür sei der Sprengmechanismus für eine Atombombe mit Uran einfacher zu bauen. "Bei Plutonium braucht man hingegen eine sehr diffizile Sprengtechnik."
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Die Menge des weltweit gelagerten radioaktiven Materials steigt. "Zum Beispiel lagern eintausend Tonnen hochangereichertes Uran in Russland. Man muss damit rechnen, dass Leute sich dafür interessieren." Atomlager und -kraftwerke müssen besser vor möglichen Terrorangriffen geschützt werden, sagt Götz Neuneck - ganz unabhängig vom Bedrohungsprofil. Dazu sei eine Reihe von Maßnahmen erforderlich: "Ich würde behaupten: So manches Atomkraftwerk, das ernsthaft angegriffen wird von einer Gruppe motivierter, gut trainierter Leute, kann in erhebliche Schwierigkeiten geraten. In diesem Moment muss man sehr schnell und professionell reagieren. Das muss man üben, dazu muss man Pläne ausarbeiten - und ich hoffe, dass diese Pläne existieren."
Verbesserungen gefordert
Neuneck fordert Verbesserungen bei der Einstellung von Sicherheitspersonal, bei Trainingsprogrammen für das Personal, Sicherheitsschleusen, Klassifizierung und Erfassung des radioaktiven Materials und jährlichen Überprüfungen.
Die Debatte um die Sicherheit von Nuklearanlagen ist also akut wie nie zuvor - nicht zuletzt auch deshalb, weil zahlreiche Staaten neue Atomkraftwerke bauen. In China sollen 40, in Russland 25, in Japan 9 neue Reaktoren entstehen. Auch in Europa hält der Trend an: Unter anderem bauen Ungarn, Rumänien und Tschechien je zwei Reaktoren und Großbritannien vier. Den besten Schutz vor Nuklearterrorismus kann es nur im Schulterschluss der internationalen Staatengemeinschaft geben.