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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

6. 4. 2016 - 16:14

Europa vermessen

Das Crossing Europe wird mit 162 Filmen eine Einladung, sich bequem im Kinosaal sitzend auf diesem Kontinent umzusehen.

Crossing Europe Filmfestival, 20. bis 25. April, Linz. Tickets ab 7. April

Das ist doch! Ja, das ist er: Pilou Asbæk hat die Hauptrolle in "Krigen" ("A War"), einem der sechs (!) Eröffnungsfilme des Crossing Europe. Als Spindoktor Kasper Juul in der dänischen Serie "Borgen" ist Asbæk international bekannt geworden. "Actor, drunk, daddy" lautet seine Selbstvorstellung auf Twitter und einen Familienvater, der als Kommandant in Afghanistan eine Sekundenentscheidung treffen wird, spielt er in Tobias Lindholms Spielfilm. "Krigen" war für den Oscar Kategorie Best Foreign Film nominiert.

Johan Philip Asbæk sitzt auf der Anklagebank in einem Gerichtssaal, Filmstill aus "A War"

Constantin Film Österreich

"A War"

Das Crossing Europe in Linz zeigt europäisches AutorInnenkino am Puls der Zeit. Produktionen aus 35 Ländern sind diesmal vertreten, ihre Schauplätze führen in noch mehr Länder. Die Geschichten sind hardcore, bewegend und Augen öffnend. Das Crossing Europe setzt auf Innovatives und Aufregendes.

"Sehr viele dieser Filme sind getragen von politischem und/oder sozialem Engagement und erzählen, egal ob 'real' oder animiert, ob anhand von fiktiven Geschichten oder mittels dokumentarischer Beobachtung, von der Suche nach dem, was das viel und oft beschworene 'Europa' ausmacht", beschreibt Intendantin Christine Dollhofer das Programm.

Sechs Eröffnungsfilme

Die Doku "Mein Name ist. Ich bin." hat ein Regieteam in Zusammenarbeit mit Asylwerbenden gestaltet. Das "Heimatland/Wonderland" Schweiz wird im gleichnamigen Film von einer unerklärbaren und furchteinflößenden Wolke bedroht, die über dem Land steht und die Nerven der Menschen blank legt. Regie führten zehn junge Schweizer RegisseurInnen. Ein anderes Idyll zerbricht in "Dobra žena / A Good Wife" aus anderen Gründen. Das Familiendrama in Belgrad ist das Regie-Debüt der serbischen Schauspielerin Mirjana Karanović, die zum Beispiel in Jasmila Žbanić' 2006 mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichneten "Grbavica" eine Alleinerzieherin spielte. Und auch Jasmila Žbanić wird in Linz sein: Ihr Dokumentarfilm "Jedan dan u Sarajevu / One Day in Sarajevo" hält einhundert Jahre nach der Ermordung Franz Ferdinands die Gegenwart in Bosnien fest.

Eine junge Frau im Sommerkleid steht auf einer Straße und hält sich eine Papiermaske vor das Gesicht. Filmstill aus "One Day in Sarajevo" von Jasmila Žbanić

deblokada

"One Day in Sarajevo" von Jasmila Žbanić

Der tschechischen Filmemacherin Helena Třeštíková widmet das Crossing Europe das diesjährige Tribut und zeigt ihre Langzeitstudie "Mallory" als einen der Eröffnungsfilme. Zehn Jahre hat Helena Třeštíková eine Frau durch Höhen und Tiefen begleitet.

Unterwegs mit Skatern oder bissigen Meerjungfrauen

Ziemlich viel Drama hat das Crossing Europe also im Programm. Europa wird vermessen, könnte man interpretieren, und dabei bilden "soziale Verwerfungen" und der "Einfluss politischer Realität auf zwischenmenschliche Beziehungen" in ehemals kommunistischen Ländern bis in die kapitalistische Gegenwart ein herausragendes Thema der Filme im Wettbewerb als auch in den vielen Programmschienen. Eigene Programmsparten bilden "Arbeitswelten" und "European Communities" - zu Dorfkommunen.

"Under Electric Clouds" von Alexey German Jr. erkundet die Gemütslagen in Russland, während Ben Hopkins in die Fiktion ausweicht und Diktaturen ebenso wie Regieführen in "Welcome to Karastan" aufs Korn nimmt und die Doku "Ukrainian Sheriffs" wieder in Realitäten führt, die das Attribut tragikomisch verbildlichen.

"Tatort"-Kommissarin Maria Furtwängler begegnet einem in "Das Wetter in geschlossenen Räumen" als Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation. Auch Helfen ist ein Business. Geschichten zu und von Menschen auf der Flucht gibt es beim Crossing Europe viele zu sehen. "Those who jump" führt in eines der Lager an der Außengrenze Europas: Abou Bakar Sidibé hat von den Filmemachern Estephan Wagner und Moritz Siebert eine Kamera bekommen und seinen Alltag im Ausnahmezustand gefilmt.

Zahlreich sind auch die Coming-of-age-Geschichten, von Skatern in Tiflis ("When the earth seems to be light") zu Lucile Hadzihalilovic' eigenwilliger und verstörend-mysteriöser "Évolution", wo offenbar vaterlose Buben mit Müttern auf einer einsamen Insel aufwachsen.

Bei /slash einhalb werden die "Nachtsicht"-Premieren nach Linz im Wiener Filmcasino zu sehen sein

Gruselig und für dem Genre Zugeneigte auch lustig wird die "Nachtsicht", für die FM4-Filmkritiker und Slash/-Filmfestival-Gründer Markus Keuschnigg Horror kuratiert. Bissige Meerjungfrauen eröffnen neue Möglichkeiten: Agnieszka Smoczynskas "The Lure" ist als "Retro-Disco-Horror-Musical aus Polen" angekündigt.

Eine junge Frau mit Gesichtsausdruck eines Vampirs und einer Flosse wie eine Meerjungfrau liegt in einer Badewanne. Filmstill aus "The Lure"

Agnieszka Smoczynska

Meerjungfrauen mit anderen Augen sehen: "The Lure" lauft in der "Nachtsicht"

Nightline

Gleich am Eröffnungsabend beginnt die Nightline: Lime Crush spielen ein Konzert. Tags darauf, am 21. April, folgt koenig, der vor wenigen Wochen Bilderbuchs Tour begleitete, und am 24. April Ogris Debris.
Linz, ahoi!