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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

7. 4. 2016 - 06:00

Es tut mir leid, ich weiß es nicht

Ten Weeks: Ein Computerspiel von Stefan Srb versetzt uns in die Lage einer Demenzkranken.

Manche Dinge im Leben sind eingebrannt in unsere Erinnerung und Teil dessen, wer wir sind. Und doch kann es passieren, dass wir eben diese Dinge vergessen. Da weiß man plötzlich nicht mehr, wo man wohnt oder wie der eigene Bruder heißt. Etwa 100.000 Menschen in Österreich leiden an Demenz, fast jede/r hat Erfahrungen mit der Krankheit in der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis - zum Beispiel wenn die eigene Großmutter plötzlich ihre Enkel nicht mehr erkennt.

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Ten Weeks kannst du gratis hier downloaden.

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Diese Erfahrung hat auch Stefan Srb gemacht, der als Gamedesigner für das Entwicklerstudio Mi'pu'mi arbeitet - Ende 2015 haben wir ihn auf diesen Seiten bereits porträtiert. In seiner Freizeit entwickelt Stefan eigene Gameprojekte unter dem Pseudonym LeafThief. Für sein Spiel Ten Weeks wollte er allerdings nicht einfach seine Erlebnisse mit Demenz aus der Perspektive des Angehörigen verarbeiten, sondern der Frage nachgehen, wie es wohl für die Betroffenen selbst ist.

Ten Weeks

Stefan Srb

Das Spiel startet damit, dass die Hauptfigur Stephany nach einem anstrengenden Tag in der Arbeit in ihrem Garten sitzt und versucht, zur Ruhe zu kommen, während ihr Mann und ihre Tochter im Haus das Abendessen vorbereiten. Doch als sie hineingehen will, kann sie plötzlich ihre Beine nicht mehr bewegen. Sie bekommt einen Hirnschlag und leidet von da an an Demenz. Die folgenden Szenen des Spiels sind fragmentarisch, wie Erinnerungsfetzen. Einmal sind wir im Krankenhaus und eine junge Frau steht an unserem Bett. Wir sehen nur ihre Silhouette und sie fragt uns, ob wir wissen, wer sie ist. Wir können raten, ob sie unsere Krankenschwester oder unsere Tochter ist. Halten wir die Krankenschwester fälschlicherweise für die Tochter, dann wird sie es als Indiz dafür sehen, dass unser Zustand sich verschlechtert hat und uns wohl noch länger im Krankenhaus behalten. Verwechseln wir die Tochter mit der Krankenschwester, wird sie natürlich verletzt sein und sich Sorgen machen. Wir können auch zugeben, dass wir es nicht wissen, wodurch wie gleichsam resignieren und gestehen, dass wir die Person vor uns nicht einordnen können.

Ten Weeks

Stefan Srb

How are you today?

Obwohl im Spiel selbst nicht viel passiert, gehen uns so viele Dinge durch den Kopf. Die Identifikation mit der Hauptfigur passiert unweigerlich und versetzt uns somit in die Lage einer Person, die nicht mehr Herr ihres Gedächtnisses ist. In einer anderen Szene fahren wir im Bus und wissen nicht, wohin wir eigentlich wollen. Oder wir sitzen im Schlafzimmer während unten im Wohnzimmer ein Geburtstag gefeiert wird. Ist es unserer? Ist es der unserer Tochter? Die Reihenfolge dieser Szenen ist zufällig und wenn man Ten Weeks mehrmals spielt, kann das Spiel jedes Mal anders sein. Die Erzähllücken zwischen den einzelnen Szenen füllt der/die SpielerIn selbst für sich im Kopf. Stefan Srb nutzt diese Erzähllücken, wie sie auch im Comic zwischen zwei Panels eingesetzt werden, bewusst. Man wird dadurch beim Spielen mit einbezogen, die Geschichte wird automatisch viel persönlicher, emotionaler.

Ten Weeks

Stefan Srb

Wir fahren im Bus und wissen nicht wohin.

Die zufällige Reihenfolge der Szenen bewirkt aber auch, dass sich kleine Details jedes Mal verschieben, wenn wir Ten Weeks spielen. Auch wenn wir eine andere Antwort wählen, verändern sich die Reaktionen unseres Gegenübers. Wir können uns auch beim zweiten Mal Spielen nicht darauf verlassen, dass wir nun die richtigen Antworten kennen. Die Welt in Ten Weeks ist unberechnbar und verwirrend. Und damit vermittelt das Game wahrscheinlich mehr darüber, wie es Menschen mit ihrer Umgebung geht, die an Demenz leiden, als es jeder Fachartikel jemals könnte.