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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

11. 4. 2016 - 17:00

"Den Dreck könnt ihr selber fressen"

Sich zu 100% selbst versorgen, Obst und Gemüse selbst anbauen: Eine Handvoll Menschen im Südburgenland hat sich aus Protest gegen die Lebensmittelindustrie ein alternatives Leben im Grünen aufgebaut. Einen Supermarkt haben sie lange nicht mehr besucht.

Radiotipp:

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Montag, 11.04.2016

"Den Dreck könnt ihr doch selber fressen":
Die SelbstversorgerInnen im Südburgenland

Im Rahmen des Schwerpunkt MUTTER ERDE zum Thema Lebensmittelverschwendung von 9. bis 15. April

Weißt du eigentlich woher die Lebensmittel stammen, die bei dir am Teller landen? Süßkartoffeln aus den USA, Soja aus Brasilien, Erdbeeren aus China und woher eigentlich das Fleisch in deiner Tiefkühllasagne kommt, das ist auch nicht wirklich nachvollziehbar. Die Realität kann sehr ernüchternd sein, selbst bei Bio-Ware. Wenn sich Bauern etwa in der Tierhaltung an eine Bioverordnung halten, dann sagt das zum Beispiel nichts über die Rasse des Tieres aus. Und auch Biokühe tanzen nicht über Weiden und fallen plötzlich tot um, sondern werden, genauso wie Tiere aus Massentierhaltung, am Schlachthof im Akkord geschlachtet.

Steht irgendwo "Bio" drauf, dann fühlen wir uns besser. Aber was ist mit dem Klimafußabdruck? Ist es sinnvoll vegan zu leben und Sojamilch zu trinken, wenn durch die Sojaproduktion unfassbare Umweltressourcen vernichtet werden? Was ist das geringere Übel? Seitan aus Asien oder ein Stück totes Tier aus regionaler Produktion und artgerechter Haltung?

Gemüse

DI Johannes Hloch, www.hloch.at

In der westlichen Welt sind wir heutzutage mit einer unfassbaren Fülle an Lebensmitteln und Möglichkeiten konfrontiert. "Du bist was du isst", der abgeschmackte Spruch war wohl noch nie so wahr wie heute.

Famile Elpons in Bildein

Alexandra Augustin/ FM4

Familie Elpons in Bildein: Sie züchten das "Krainer Steinschaf".

Welches Leben ist also das richtige? Mit Schwarz-Weiß-Denken kommt man hier nicht weit und der eigene Handlungsspielraum ist natürlich begrenzt, außer man nimmt seine Lebensmittelproduktion in die eigenen Hände. Ein paar Menschen im Südburgenland machen genau das: Sie sind SelbstversorgerInnen. Sie wollen von Supermärkten, Saatgutkonzernen und der Lebensmittelindustrie unabhängig sein, sie bauen ihr Obst und Gemüse selbst an und züchten auch ihre Nutztiere selbst. An der der Grenze zu Ungarn, nahe der Steiermark und Slowenien haben sie sich ein alternatives Leben im Grünen aufgebaut. Zum Beispiel in der Gemeinde Bildein im Bezirk Güssing.

Die SelbstversorgerInnen im Südburgenland

"Mir hat es vor den Produkten im Supermarkt irgendwann einfach gegraust. Alles schaut gleich aus und alles schmeckt gleich. Ich kenne ja noch den Geschmack der Tomaten im Garten meiner Oma. Dann kamen plötzlich vor ein paar Jahren die Lebensmittelskandale hinzu: Der Einsatz von Unkrautvernichtern wie Glyphosat, deren schädliche Wirkung auf den menschlichen Organismus verharmlost und geleugnet wird. Ich bin mir irgendwann vorgekommen wie ein Endlager für die Verklappung von Giftmüll. Da habe ich mir gesagt: Den Dreck könnt ihr selber fressen!"

Natanja Kullnig und Richard Hauser in Bildein

Alexandra Augustin/ FM4

Natanja Kullnig und Richard Hauser vom "Verein Biofair" in Bildein.

Möchtest du mehr über Selbstversorung wissen?
Der Verein Biofair bietet "Selbstversorger-Seminare" an. Hier lernt man alles: Über die Zubereitung der Erde, den Anbau von Gemüse und Obst und die Vermehrung von Saatgut.

Aktuelle Termine und Info:
verein-biofair.at

Seit 2013 betreiben Natanja Kullnig und ihr Partner Richard Hauser den Verein Biofair, der sich für gesunde Nahversorgung und Humusaufbau einsetzt. In "Selbstversorger-Seminaren" erklären sie anderen Menschen, wie man Erde zubereitet, Beete anlegt und Saatgut vermehrt. Einen Supermarkt haben sie schon lange nicht mehr besucht. Wer es ihnen gleichmachen will, kann sich im Gemeinschaftsgarten im Ort beteiligen.

Richard Hauser führt durch den Garten, der mitten im Dorf liegt: Wintersalate, Kürbisse, Beeren, Kräuter, Kartoffeln bis hin zu exotischen Gemüsesorten, Melonen und Feigen wachsen hier hervorragend.

"Uns ist aufgefallen, dass die Ernährungssouveränität selbst hier am Land nicht mehr gewährleistet ist. Es wird kaum Gemüse angebaut. Der Weizen und Mais aus der Umgebung wird an Mastschweine verfüttert. Kartoffeln findet man hier kaum, ganz zu schweigen von Karotten und Melanzani. Ganz zu schweigen von einer wirklichen Vielfalt."

Gemeinschaftsgarten Bildein

Alexandra Augustin/ FM4

Der Gemeinschaftsgarten in Bildein: Ernten darf jeder soviel wie er/ sie braucht.

Der Verein Biofair sieht sich als Protest gegen die Ausbeutung der Natur. Es ist ein Statement gegen die "herrschende Gier am Agrar- und Lebensmittelmarkt". Die Ernte des Gemeinschaftsgartens und das Saatgut werden im Dorf verschenkt. "Grass-roots" im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Südburgenland zieht Quereinsteiger, Aussteiger und Individualisten magisch an, erzählen Natanja Kullnig und Richard Hauser. Die Grundstrückspreise sind relativ günstig, das Klima ist hier besonders mild. Manche meinen sogar, es wäre die "österreichische Toskana".

Julia und Alexander Elpons in Bildein

Alexandra Augustin/ FM4

Julia und Alexander Elpons in Bildein.

Mehr über das Krainer Steinschaf:
bioschaf.at

Man kann bei Familie Elpons übrigens auch in eine "Schafaktie" investieren: Gegen einen bestimmten Betrag erhält man das ganze Jahr über Lammfleischpakete.

Auch Julia und Alexander Elpons sind Quereinsteiger. Als sie an der BOKU in Wien studiert haben, hatten sie die Idee für ihren Hof in Bildein.

Ein altes Bauernhaus, rundherum Weinberge, Wiesen und Weideflächen. 250 "Krainer Steinschafe" umfasst die Herde, die Julia und Alexander Elpons seit 2008 besitzen. Das Krainer Steinschaf ist das Herzstück ihrer Selbstversorgung: Eine hochgefährdete, alte Nutztierrasse, die beinahe von den modernen Hochleistungsrassen verdrängt worden wäre und erst in den letzten Jahren wieder einen Aufschwung erlebt. Es ist ist eine der ältesten noch vorhandenen österreichischen Schafrassen, ursprünglich beheimatet in den Julischen Alpen im Dreiländereck Kärnten, Slowenien und Friaul.

Neben dem Krainer Steinschaf züchten die Elpons Enten, Sulmtaler Hühner, Perlhühner und Cröllwitzer Puten. Fleisch, Eier, diverses Obst und Gemüse, Apfelsaft, Kräuter: Das alles kommt aus eigener Produktion. Dinge des täglichen Gebrauchs kaufen sie gebraucht. Selbstversorgung bedeutet für die Elpons aber nicht Autarkie: Es ist ein Miteinander. Sie tauschen Lebensmittel mit anderen Menschen im Ort aus.

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"Im Idealfall tauschen wir unsere Waren gegen Produkte, die andere Menschen sehr gut selber herstellen: Unsere Eier gehen an eine Biobäckerin im Ort, die damit Kuchen und Kekse herstellt. Im Gegenzug bekommen wir dafür Brot. Unseren Apfelsaft tauschen wir gegen Honig. Diese Lebensmittel schmecken besser und der Austausch untereinander macht glücklicher als anonyme Waren aus dem Supermarkt. Die Produkte bekommen dadurch ein Gesicht und einen Namen."

Die SelbstversorgerInnen im Südburgenland: Ihre Verweigerung hat viele Facetten. Und sie hoffen, dass ihre Idee auch andernorts Wurzeln schlägt:

"Es steckt natürlich viel Arbeit in den Tieren und selbstangebautem Obst und Gemüse. Vielfalt bedeutet Arbeit. Aber Einfalt ist das Ende."