Erstellt am: 3. 4. 2016 - 18:58 Uhr
Investorenschutzkläger gewinnen, wenn sie verlieren
Am Donnerstag bekräftigte der EU-Abgeordnete und TTIP-Berichterstatter Bernd Lange (SPE), das bereits ausverhandelte Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada werde sofort nach seiner Ratifikation durch das EU-Parlament in Kraft treten. Damit werden auch die Klauseln zum Investorenschutz (ISDS) gültig, denn die CETA-Abstimmungen in den nationalen Parlamenten werden erst danach abgehalten. Diese ISDS-Klauseln bleiben ab Ratifikation durch das EU-Parlament drei Jahre lang in Kraft, egal ob eines oder mehrere nationale Parlamente danach gegen CETA stimmen.
Mitte März ist eine Studie erschienen, die auf neu veröffentlichtem Zahlenmaterial von fast 700 ISDS-Verfahren basiert. Die Studie von Krzysztof J. Pelc, Politologieprofessor an der McGill University (Kanada), liefert eine schlüssige Erklärung für die explosive Zunahme der ISDS-Verfahren der letzten Jahre, obwohl die Kläger immer öfter unterliegen. Auch wenn die Klage in einem dieser teuren Verfahren letztlich abgewiesen wird, haben die betreffenden Firmen paradoxerweise weit mehr gewonnen, als die Prozesskosten betragen.
UNCTAD
CETA in Alleinkompetenz der Kommission
Ende Februar wurde der im Oktober vorgestellte, von den USA bisher nicht kommentierte EU-Vorschlag für ein permanentes TTIP-Schiedsgericht offiziell präsentiert..
Die Aussagen Bernd Langes, der auch Vorsitzender im Handelsausschuss ist, beziehen sich auf die entsprechenden Passagen im konѕolidierten CETA-Text, der fast 1.600 Seiten stark ist. Artikel 30.7 sieht die Möglichkeit eines provisorischen Inkrafttretens von CETA zwei Monate nach seiner Ratifikation durch das EU-Parlament vor. Dafür genügt eine Plenarabstimmung mit positivem Ausgang, denn seit dem Vertrag von Lissabon fällt der Abschluss von Handelsverträgen mit Drittstaaten alleine in die Kompetenz der Kommission.
Ausgenommen davon sind nur jene Abschnitte eines solchen Vertrags, die direkt in nationale Judikaturen eingreifen. Nach Rechtsauffassung Langes und der Kommission sei man den Mitgliedsstaaten ohnehin bereits dadurch entgegengekommen, dass die nationalen Parlamente über das gesamte Abkommen abstimmen können und nicht nur über jene Passagen, die direkt in nationale Kompetenzen eingreifen. Ein Musterbeispiel dafür sind eben die Klauseln zum Investorenschutz.
UNCTAD
Funktionswandel im Investorenschutz
Im Jänner wurde in den USA die mit 15 Milliarden Dollar höchstdotierte Klage in der Geschichte der Investorenschutzabkommen überhaupt eingereicht. Geklagt hatte der Pipeline-Betreiber TransCanada, nachdem das heftig umstrittene Keystone-XL-Projekt im November eingestellt worden war..
Die Funktion dieser Investorenschutzklauseln habe sich seit Beginn der Freihandelsabkommen in den Sechziger Jahren stark verändert, heißt es in der Studie der McGill University. Der ursprünglicher Zweck, Investoren aus entwickelten Ländern vor willkürlicher und direkter Enteignung in autoritär regierten Entwicklungsstaaten mit unzureichenden Rechtssystemen zu schützen, wurde von einer völlig anderen Funktion abgelöst. Die ersten - sehr wenigen - ISDS-Verfahren betrafen in den ersten zwei Jahrzehnten denn auch nur Fälle direkter Enteignung, erst Mitte der Neunziger Jahre kippte der Trend.
Seit den ersten Verfahren wegen indirekter Enteignung 1994 begannen diese Klagen zu dominieren, 2003 stand das Verhältnis von Klagen wegen kalter gegenüber direkter Enteignung in ISDS-Fällen bereits beim Faktor 3:1. Laut Pelc resultierte diese Entwicklung aus dem 1995 unterzeichneten Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA, auf dem die meisten und teuersten ISDS-Verfahren gegen Kanada basieren. Die entsprechenden Passagen im NAFTA-Vertrag nennen direkte Enteignung und "Maßnahmen die einer Verstaatlichung oder Enteignung gleichkommen" bereits in einem Satz. Seitdem stiegen die Klagen wegen kalter Enteignung und dadurch entgangene Gewinne rasant an, obwohl die Erfolgsrate solcher Verfahren in fast demselben Ausmaß sank. Für diese doch einigermaßen paradoxe Entwicklung gab es bis dato keine wirklich schlüssige Erklärung.
McGill University
Wie die ISDS-Abschreckung funktioniert
Gegen Österreich läuft seit Juli 2015 eine mit 200 Millionen Dollar dotierte Klage der maltesischen Briefkastenfirma B.V. Belegging-Maatschappij Far East vor dem ICSID-Schiedsgericht wegen angeblicher Wertschädigung der Meinl Bank, deren Eigentümer die Firma ist
Anhand einer ganzen Reihe von Fällen zeigt die Untersuchung der McGill University auf, dass die Kläger vor den Schiedsgerichten vor allem auf den Abschreckungseffekt setzen. Dazu dienen auch die exorbitanten Summen, die da gefordert und sofort veröffentlicht werden, obwohl dies keineswegs verpflichtend ist. Als Indonesien Ende der Neunziger Jahre angekündigt hatte, in seinen Naturschutzreservaten offenen Tagebau zu verbieten, drohten britische und australische Bergbaukonzerne mit Schiedsgerichtsklagen auf Schadenersatz.
Obwohl die Rechtsberater der Regierung den Klagen wenig Chancen zubilligten, wurden ausländische Firmen von diesem gesetzlichen Verbot ausgenommen. Aufgrund ihrer maroden Finanzlage wollte die indonesische Regierung keine Klage riskieren. Im aktuellen Fall der Schadenersatzklage von Philipp Morris gegen das neue australische Tabakgesetz hatte dies zur Folge, dass eine fast gleichlautende Regelung zur einheitlichen Verpackung von Tabakwaren in Neuseeland bis zum Abschluss dieses Verfahrens verschoben wurden. Auch in einer Reihe von afrikanischen Staaten werden geplante, ähnliche Gesetze aus denselben Gründen seit Jahren nicht in Kraft gesetzt. Auch die fünf Milliarden Euro schwere Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall fällt nach Pelc in dieselbe Kategorie, vor allem kleinere Staaten sollen durch die prohibitiv hohe Summe von vorzeitigen Atomausstiegen abgehalten werden.
"Does the International Investment Regime Induce Frivolous Litigation?" (Studie der McGill University, PDF)
Negative Medienberichte als Vehikel
Der Hauptgrund für die explosive Zunahme dieser "frivolen Klagen": Öffentliche Empörung und negative Medienberichte werden von den Firmen nicht nur in Kauf genommen, sondern als Vehikel zur Abschreckung benutzt. Dieses Vorgehen ist nur aufgrund der Konstruktion der ISDS-Abkommen möglich, die allesamt gemein haben, dass ausschließlich Firmen und Privatpersonen Staaten klagen können und nicht etwa umgekehrt. "Frivole" Klagen bleiben für die Kläger folgenlos, da es keine Möglichkeit zur Gegenklage gibt.
Interessanterweise ist ein weiterer Faktor, der eine Rolle spielen muss, in der Untersuchung nicht präsent. Börsennotierte Firmen können von ihren Aktionären bekanntlich verklagt werden, wenn sie - etwa um einen Imageschaden abzuwenden - mögliche Gewinne nicht lukrieren. Es ist also davon auszugehen, dass zumindest ein Teil dieser "frivolen" Klagen auch auf diesen Faktor zurückzuführen ist.
Paralleler Strukturwandel der Patente
Der aktuelle Fall des Pipelinebetreibers Keystone gegen die USA ist ein schlagendes Beispiels für das zunehmend "trollhafte" Verhalten der ISDS-Kläger. Obwohl es nicht einmal wasserschutzrechtliche Genehmigungen für die noch nicht gebaute Mega-Pipeline gab, werden 15 Milliarden Dollar an entgangenen Gewinnen eingefordert. Sowohl die exorbitante Klagesumme als auch die dünne und äußerste zweifelhafte Begründung der Klage sind an sich längst bekannte Phänomene aus einem anderen Marktbereich, dessen rechtliche Regelungen plötzlich ebenfalls anderen Zwecken dienen.
Patente wurden ursprünglich eingeführt, um die Erfinder technischer Innovationen vor der Enteignung durch Dritte zu schützen. Die Lizenzierungsmöglichkeit wurde geschaffen, um die jeweilige Erfindung möglichst breiten Schichten der Gesellschaft zukommen zu lassen und den Erfinder entsprechend zu remunerieren. Wie die milliardenschweren Patentschlachten vor allem im Mobilfunkbereich der letzten zehn Jahre zeigen - Apple gegen Samsung ist ein schlagendes Beispiel - sind Patente mittlerweile zu reinen Waffen für Klagen und Gegenklagen verkommen, in denen es in Wirklichkeit um Marktanteile geht.