Erstellt am: 31. 3. 2016 - 18:24 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 31-03-16.
#demokratiepolitik #mediensprache
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Warum Social Media gar keine sozialen Medien sein können, wieso absichtliche Übersetzungsfehler trumpisch sind, und was es mit den Anti-Social Democrats auf sich hat.
1) Die "sozialen Medien" oder: sich blödstellen reicht nicht
Keine Frage, ich werde diese Fehlübertragung selber auch schon verwendet haben (und mich so schuldig an der Weiterverteilung gemacht haben), aber: 1) was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? und 2) die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Deshalb: der oder die nächste, der/die den Begriff "Social Media" mit "soziale Medien" übersetzt, und den scheinbaren Gegensatz seiner Erkenntnis feixend vor sich herträgt wie ein Bär den erbeuteten Honig, sollte sich auf Einordnungen in der Trump-Liga gefasst machen.
Danke an Ingrid Brodnig, deren diebezügliche Wortmeldung im jüngsten ORF-Dialogforum genug Wasser auf meine Beschäftigungs-Mühle schaufelte.
Im angloamerikanischen steht "social" nämlich nicht für "sozial" im europäischen Sinn (wie es staatliche Einrichtungen oder NGOs mit der entsprechenden Agenda tun), sondern bedeutet "gesellig". Social Media-Plattformen sind keine Anlaufstellen für sozial Benachteiligte, sondern virtuelle Clubs, die die Geselligkeit fördern sollen. Der Social Club, nicht nur der von Buena Vista, ist ein Treffpunkt, der der Unterhaltung und dem Austausch dient, ein großer geselliger Stammtisch. Social Media sind nur in der Hinsicht sozial, dass Mitglieder dort selbstverständlich klassische Sozialprojekte organisieren können. Das entspricht der amerikanischen Idee von Charity/Fundraising und unterscheidet sich also schon im Denkansatz von den sozialen Auffangnetzen, die in Europa von Staat und entsprechend geförderten Organisationen geknüpft werden.
Wer also im deutschsprachigen Raum den Terminus Social Media ernsthaft mit soziale Medien übersetzt, hat entweder einen zutiefst eingeschränkten eurozentrischen Kulturbegriff oder benutzt diesen Kalauer absichtlich, um sich im populistischen Duktus darüber (neumodisches Klumpert) zu erheben und eine diesbezüglich eher schwach informierte Masse zu instrumentalisieren/am Nasenring über den Holzweg zu ziehen.
Beides ist dem gewöhnlichen Stammtischler/Socialcluberer und seinen Oberflächen-Ressentiments zugestanden, geziemt sich aber weder für Journalisten, noch für politische Personen des öffentlichen Lebens. Vielmehr sollten sie diejenigen sein, die all jene, die die Klamotte, "die sozialen Medien sind ja gar nicht so sozial" als scheinkritischen Stehsatz vor sich hertragen, als die populistischen Philister entlarven, die sie mit ihrer bewussten Fehlinterpretation darstellen (oder gar sind). Mit in diesen Chor der Lächerlichkeit einzustimmen, weil man dem Volk aufs Maul schauen oder seine Phantomschmerz-Sorgen ernstnehmen muss, sich also im Gleichklang mit der Masse coblödzustellen und so die Ressentiments gegen Fremdes/Neues/Diverses/Anderes auch noch zu befördern statt systematisch aufzuklären schaufelt sowohl das Grab der Medien, als auch das der verantwortungsvollen Politik.
2) Nationalisten sind auch nur Antisozialdemokraten
Im politischen Kontext, was also die Sozialdemokratie oder gar den Sozialismus betrifft, sind die US-amerikanischen Zuschreibungen rigider. Dann wird "social" zum angstbesetzten Schimpfwort. Bernie Sanders etwa, Hillary Clintons völlig überraschend zu grassroots-popularity gekommener Herausforderer im demokratischen Vorwahlkampf, gilt dem Mainstream als socialist, was übersetzt Kommunist meint, und kommt dementsprechend inhatlich gar nicht vor.
Derselbe US-Mainstream hatte immer schon Schwierigkeiten die europäische Sozialdemokratie (die, wie wir wissen, mit einer linken sozialistischen Praxis kaum etwas zu tun hat) als in ihrem Sinn demokratisch einzuordnen (wiewohl das sogar im Wortsinn ganz gut ginge), weil sich da sofort Gruselbilder aus der 50/60er-Jahre Welt der Kommunistenhatz einstellten. Dass Arnold Schwarzenegger in den USA mit der Lüge, er stamme aus einem kommunistischen Land, durchkam (in seiner steirischen Heimat war britische Besatzungszone, die österreichischen Regierungen seiner Kindheit/Jugend waren Großkoalitionär), liegt an diesem schiefen Blick. Das ist wie gesagt die Betrachtung eines bildungsfernen Mainstreams (was aktuell in etwa der Sicht eines Donald Trump entspricht).
Witzigerweise ist es trotzdem ein US-Medium (das Newsweek nämlich), in dem ich eine auf den Punkt gebrachte Definition der Ideologie vorgefunden habe, die aktuell den europäischen Osten (vor allem die Visegrád-Staaten) durchdringt und von dort schön langsam auch in Richtung Mitteleuropa durchsickert: xenophober Nationalismus, patriotischer Isolationismus, der sich - unter Zuhilfenahme populistischer Tricks - als Anwalt des kleinen Mannes (für dieses Klientel muss nicht gegendert werden, dort begreifen sich auch die Frauen als kleine Co-Männer).
Nichts hat das so schön manifestiert wie die Stellen im neuen AfD-Programm, die eine radikal Arbeitnehmer- / Unterschichten- / Sozialhilfebezieher-feindliche Linie fährt - wiewohl es diese Wählerschichten sind, die die Partei stützen. Vergleichbare Ansätze lassen sich auch in Polen, Ungarn oder der Slowakei beobachten.
Newsweek nennt diese Parteien "Anti-Social Democrats", analysiert ihre Aushöhlung des Sozialstaats und ihre Unterminierung diverser staatlicher Institutionen und benennt ihren Glaubensgrundsatz: die liberale Demokratie sei am Ende. Was von den antisozialen Demokraten dann eigentlich nur noch eine Antisoziale Partei übrig lässt.
In Europa ist dieser antisoziale Aspekt noch kein großes Thema: ob sich in einem Klima, in dem auch Sozialdemokraten und Gesellschaftsliberale diverse Wendemanöver (neoliberale Austerität, gezieltes Abhängen der working poor etc.) ein entsprechendes Bewusstsein durchsetzen wird, ist noch offen.