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Jan Hestmann

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31. 3. 2016 - 18:16

In Wiener Neustadt rumort es

70 Jahre lang war die Stadt rot. Letztes Jahr musste die SPÖ dann den Hut nehmen und die "bunte" Regierung kam. An vorderster Front: ÖVP und FPÖ. Das wirkt sich auf die Flüchtlingspolitik und auf die Jugendkulturszene aus.

Flüchtlingspolitik und Jugendkultur in Wiener Neustadt

Am Donnerstag, den 31. März, in FM4 Connected und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.

Wiener Neustadt war eigentlich schon immer rot. Naja, bis letztes Jahr, als schließlich auch gelüftet wurde, dass die Stadt bis 2013 391,14 Millionen Euro Schulden angehäuft hatte. Eine Zahl, die erst einmal stutzig macht - und die Pleite droht. Die hohe Verschuldung (Aufreger an Nebenschauplätzen waren auch das Schließen mehrerer Freibäder und das Aufstellen eines öffentlichen WCs mit Spiegelwänden am Neustädter Hauptplatz) hat man der Stadtregierung am Ende nicht mehr durchgehen lassen. Sie wurde abgewählt, an ihre Stelle trat die "bunte" Regierung. Das sind ÖVP, FPÖ, zwei kleine Listen, sowie die Grünen. Dass der Sparstift nun nicht zögerlich angesetzt werden würde, das gab die neue Regierung ohne Umschweife bekannt.

Wiener Neustadt Hauptplatz

Jan Hestmann

Der Wiener Neustädter Hauptplatz: Würstelstände und Mariensäule. Nicht im Bild: das umstrittene Spiegelwandklo.

Megafon und Triebwerk - Jugendkultur in Wiener Neustadt

Ein frühes Opfer dieses Sparkurses war die Jugendplattform megafon. Die Plattform hat in den vergangenen Jahren Beträchtliches für die hiesige Jugendkultur geleistet: Sei es die Errichtung des Jugendcafés UVZ, Konzerte, ein Web-TV-Format von und für junge Menschen, der Skatepark, eine Poetry-Slam-Reihe, die berüchtigten Bad-Taste-Partys im Sub, der Papageienball und nicht zuletzt das Frontale Filmfestival, welches im Vorjahr Gäste wie Karl Markovics und etwa 500 Kurzfilmeinreichungen aus allen Ecken der Welt angezogen und Wiener Neustadt mit einem fast globalen Feeling versehen hat.

Das megafon gibt es seit diesem Jahr nicht mehr. Und damit auch die meisten seiner Projekte: Das Café UVZ ist geschlossen, und wie die Frontale in ihrem 6. Jahr vonstatten gehen wird, ist bis jetzt unklar.

Eine andere wichtige jugend-musikkulturelle Einrichtung - man könnte schon von einer Institution sprechen - ist das Jugend- und Kulturhaus Triebwerk. In seinem 20-jährigen Bestehen kann es eine enorme Palette an Veranstaltungen vorweisen: von Musik über Kochwettbewerbe, Kino, Literatur, politische Diskussionsformate bis hin zum Triebwerk-Fußball-Turnier. Es hat unzählige Bands vor allem aus der Punkecke hervorgebracht, für die Wiener Neustadt berühmt-berüchtigt ist, von Rentokill, über Astpai, den Blood Sucking Zombies from Outer Space bis zu Barefoot Basement, die zuletzt beim Protestsongcontest aufgetreten sind. Auch Anna Müller von HVOB hat in diesem Umfeld begonnen.

Triebwerk Forum "Jugend in der Stadt"

Triebwerk

Das Triebwerk diskutiert Ende letzten Jahres zum Thema "Jugend in der Stadt".

Jetzt ist dem Triebwerk die Häfte der städtischen Subvention gekürzt worden, es steht möglicherweise bald vor dem Aus. Was bleibt dann noch für die Jugend in Wiener Neustadt, die schon jetzt großteils und reflexartig nach dem Schulabschluss in Richtung Wien oder anderswo flüchtet?

Ein blauer Integrationsstadtrat

Auch in der Flüchtlings- und Diversitätspolitik in Wiener Neustadt dominiert dieser Tage ein schärferer Ton als zuvor. Angeführt wird der Diskurs von Integrationsstadtrat Michael Schnedlitz von der FPÖ, der etwa auf der FPÖ-Demo "Fremd in der eigenen Stadt - Wiener Neustadt wehrt sich" die Identitäre Bewegung - in Deutschland als rechtsextrem eingestuft - in der Stadt "sehr herzlich willkommen" heißt und die deutsche PEGIDA als Speerspitze bezeichnet. Einige Wiener NeustädterInnen abseits des Rathauses hat diese Positionierung empört und zu einer Petition bewegt.

Michael Schnedlitz liegt seit Oktober letzten Jahres mit den Kinderfreunden Niederösterreich im Streit. Die haben im Vorjahr eine Jugendherberge in eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft für 24 afghanische minderjährige Flüchtlinge umfunktioniert. Vorwiegend mit dem Ziel, das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu entlasten. Der laufende Betrieb funktioniere gut, sagt Landesgeschäftsführer Bernhard Wieland von den Kinderfreunden Niederösterreich. Die Stadt Wiener Neustadt, namentlich angeführt durch Integrationsstadtrat Michael Schnedlitz, sieht in dieser Umfunktionierung der Jugendherberge in eine Unterbringung für Flüchtlinge ein Nicht-Einhalten des Mietvertrages und drohte mit Klage. Schnedlitz sei dazu da, um auf die Einhaltung von Verträgen zu pochen, sagt er uns im Interview. Da mache er auch bei Organisationen wie den Kinderfreunden keine Ausnahme.

Im schlimmsten Fall hätte das die Delogierung der Jugendlichen zur Folge. Die Kinderfreunde sehen sich aber im Recht, bisher sei auch keine tatsächliche Klage eingetroffen.

Wiener Neustadt Jugendherberge

Jan Hestmann

Die zentrumsnahe Jugendherberge "Europahaus" im Stadtpark, temporär sozialpädagogische Wohngemeinschaft für 24 afghanische Jugendliche.

Sicherheitsstadtrat Markus Dock-Schnedlitz, ebenfalls FPÖ und Bruder von Michael Schnedlitz, hat zuletzt nach einer umfassenden Ausgangssperre für Flüchtlinge und strengen Razzien in Flüchtlingsunterkünften verlangt. Auslöser dafür war eine Messerattacke von einem 25-jährigen Afghanen in der berüchtigten Fortgehmeile Herrengasse. Dort kommt allerdings selten eine Samstagsnacht ohne Rettungseinsatz aus.

ÖVP-Kulturstadtrat Franz Piribauer wiederum hat von sich Hören machen, als er dem türkischen Kulturverein HAVAS untersagte, Vereinsveranstaltungen im Wiener Neustädter Stadttheater durchzuführen. Piribauers Begründung war, dass das Publikum dieser Veranstaltungen zu wenig "gemischt" wäre und schließlich wolle die Stadt "das Zusammenleben fördern". Das eine scheint das andere in Wiener Neustadt offenbar nicht mehr zu tolerieren.

Was bleibt?

Für Menschen außerhalb des niederösterreichischen Industrieviertels mag es vielleicht absurd klingen, aber auch Wiener Neustadt konnte in der Vergangenheit seine wirklich schönen Momente haben. Zumindest die, die dort aufgewachsen sind, werden sie gut in Erinnerung haben. Wie viele es davon noch in Zukunft geben wird, ist ein bisschen ungewiss. Das Schlimmste wäre, würde all das still und leise in den kommenden Monaten und Jahren versickern, ohne dass wer hinschaut, ohne dass jemand aufschreit. Neue Regierung und Verschuldung der Stadt hin oder her. Es bleibt zu hoffen, dass das nicht passiert, sondern irgendwo noch der Punkspirit schlummert, auf den Wiener Neustadt zurückblicken kann, und das Ruder nochmal rumreißt.