Erstellt am: 1. 4. 2016 - 11:12 Uhr
Alles wird dezentralisiert
Ethereum ist ein Netzwerk von Computern, das eine neue Art von Anwendungen ermöglicht: sogenannte Dapps (decentralized applications).
Der alte Weg, den unsere Daten bei der Verwendung einer Internet-Applikation nehmen, verläuft meistens so: Ein User schickt Daten, sie gelangen auf einen Server und schließlich erhält sie der Empfänger. Die Kontrolle über die gesendeten Daten und darüber, ob und wann der Empfünger sie erhält, obliegt dem Eigentümer des Servers.
Ethereum
In einer Dapp hingegen gehen die Daten an ein Netzwerk unabhängiger Computer, die überall auf der Welt stehen und Privatpersonen gehören. Jeder Computer übernimmt einen kleinen Teil der Arbeit. Ethereum kombiniert Verschlüsselung, Peer-to-Peer-Verfahren und Blockchain-Technologie. Eines der Prinzipien einer Blockchain ist, dass alle User, die dem Netzwerk die Leistung ihrer Computer zur Verfügung stellen, laufend den wahrheitsgemäßen Zustand des Netzwerks überprüfen bzw. herstellen - und dafür belohnt werden. Bekannt ist das Prinzip seit der Erfindung von Bitcoin im Jahr 2006. Im Fall von Ethereum werden jene User, die sich mit Computerleistung am Netzwerk beteiligen, mit der Kryptowährung Ether belohnt. Wer eigene Dapps in der Ethereum-Blockchain laufen lassen will, muss dafür ebenfalls mit Ether bezahlen. So wird einerseits die zur Verfügung gestellte Computerleistung der User belohnt, andererseits auch verhindert, dass Angreifer dass Netzwerk mit Spam o.ä. missbrauchen.
Ausgedacht hat sich das Open-Source-Projekt Ethereum der 22jährige Kanadier Vitalik Buterin. Der Programmierer war zuvor Mitgründer und Autor von Bitcoin Magazine. Für eine frühe Version der Ethereum-Software erhielt er bereits 2014 den World Technology Award (den er damit Mark Zuckerberg wegschnappte). Im März 2016 erschien der Homestead genannte Release der Ethereum-Software, mit dem das Netzwerk nun die Betaphase verlassen hat.
David Krmpotic
Smart Contracts
Eines der Hauptanwendungsgebiete für Ethereum sind sogenannte Smart Contracts, also Verträge zwischen Menschen, in denen es - wie in den meisten Verträgen - auch um Geld geht. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verträgen werden Smart Contracts aber durch ein Computerprogramm festgeschrieben. Das Programm sorgt für die automatisierte Abwicklung des Vertrages - das gilt auch für die Zahlungsvorgänge.
Über die Möglichkeiten, mittels des Bitcoin-Netzwerks Smart Contracts zu erstellen, wurde in den letzten Jahren viel geredet, aber: Obwohl Bitcoin sich gut als digitales, kryptographisches Geld eignet, verfügt es nur über eine sehr eingeschränkte Programmiersprache. Ethereum hingegen hat Turing-Vollständigkeit, das heißt: Seine Programmiersprache ist universell einsetzbar. Deshalb kann man Ethereum also als einen verteilt rechnenden, universell einsetzbaren Computer mit Verschlüsselung und integrierter Kryptowährung verstehen. Die Smart Contracts und Apps, die man ins Ethereum-Netzwerk stellt und dort laufen lässt, kann niemand anderer abschalten, es gibt es ja keinen zentralen Server.
Drei Fehler, die man besser vermeiden sollte:
1. Ethereum als "Finanzinstrument" zu bezeichnen. Das wäre so, als würde man das Internet ein raffiniertes Telefon nennen.
* Zu behaupten, Ethereum wäre "Bitcoin 2.0". Die Versionsnummer war schon in Verbindung mit dem Wort Web unsinnig.
* Zu glauben, dass Ethereum die Welt sehr schnell verändern wird. Die Erfindung steht ungefähr da, wo das Internet im Jahr 1981 und das Web Anfang der neunziger Jahre war. Auch die Dezentralisierungs-Revolution wird ein paar Jahre dauern.
Meetups und Ideen
Seit 2014 inspiriert die Vision des Genies Vitalik Buterin Menschen auf der ganzen Welt. In Dutzenden großen Städten werden Ethereum-Meetups organisiert - auch in Wien. Alexander Hirner, Gründer von Ethereum Vienna, sieht die Einsatzmöglichkeiten in Anwendungen, bei denen digitale Güter und Informationen von öffentlichem und globalem Interesse gehandelt werden. Die Ethereum-Blockchain eigne sich für all jene Bereiche, die einen weltweit synchronisierten Wissensstand erfordern. Ein Beispiel dafür sei das Patentwesen, sagt Hirner: "Die Menschheit würde stark davon profitieren, wenn jeder zur selben Zeit über die Patente, die eingereicht wurden und zugänglich sind, das selbe weiß." Ein anderes Beispiel dafür sei der Emissionshandel.
Die Spielregeln verändern könnte Ethereum aber auch in jenen Industrien, in denen große Asymmetrie zwischen den handelnden Firmen und Organisationen herrsche. Ein Beispiel dafür seien die Finanzmärkte, in denen bisher große Intransparenzen vorherrschen und Insiderwissen den Handel dominiere. Blockchain-Technologie, durch die alle handelnden Akteure ständig auf dem gleichen Wissensstand wären, würde mehr Fairness herstellen und hätte einen ökonomischen Nutzen für die Öffentlichkeit.
Alexander Hirner
Für mehr Transparenz könnte Ethereum auch im Musikbusiness sorgen. Durch Smart Contracts kann man die Aufteilung von Tantiemen und Lizenzen zwischen Musikern, Komponisten, Textautoren und Verlegern programmieren und automatisiert duchführen. Weil die Kryptowährung Ether (wie auch Bitcoin) sich auch in Millionstelbruchteilen versenden lässt, erhält der Begriff "Mikrotransaktion" eine völlig neue Bedeutung. Denkbar ist mit Ethereum auch die Programmierung eines weltweit dezentral organisierten Cloudspeichers - also etwas Ähnliches wie die Dropbox oder die iCloud, aber ohne zentralem Server. Alle User, die Rechenzeit oder Festplattenspeicher für die Cloud zur Verfügung stellen, werden automatisiert mittels Ether dafür bezahlt. Die Mittelsmänner sind entmachtet, Organisation und Zahlungsvorgänge werden durch den Smart Contract durchgeführt.
"Grid Singularity" heißt ein Projekt, das vor allem Besitzer von Solarzellen auf dem Hausdach interessieren könnte. Wieviel Stromüberschuss sie ins Netz eingespeist haben sowie den gesamten Handel mit Strom kann man mit Ethereum dezentral, sicherer und fairer als bisher organisieren. Auch hier gilt: Die Vertragsbedingungen sind in einem Computerprogramm festgeschrieben, das kein Unbefugter abschalten oder manipulieren kann, weil es auf einem verteilt rechnenden, kryptographisch abgesicherten, weltweiten Computer läuft. Das Programm a.k.a. der Smart Contract übernimmt auch selbstständig die Bezahlung aller Vertragspartner. Auch hier werden die Mittelsmänner und Insider - wie auf den Finanzmärkten und beim Beispiel des Cloudspeichers - durch Ethereum entmachtet.
Schutz vor Manipulation
Über die Sicherheitslücken im sogenannten "Internet der Dinge", dessen Geräte bisher mit veralteter und Hackern bestens bekannter Linux-Firmware gesteuert werden, habe ich hier geschrieben. Das Ethereum-Netzwerk kann auch helfen, das Internet of Things sicherer zu gestalten. Mittels eines Smart Contract wird festgelegt, welche Änderungen des Gerätestatus bei welchem Gerät erlaubt sind - auch diese Informationen liegen also in der Blockchain, die durch viele laufend an der Verschlüsselung rechnende Computer der "Miner" vor unbefugten Änderungen geschützt ist.
Ein Blockchain-Business zu starten sei eine Antithese zu den Facebooks und Ubers dieser Welt, sagt Alexander Hirner. "Jeder kann den Programmcode, den man ins Ethereum-Netzwerk stellt, ansehen und kopieren." Ethereum-Dapps sind Open-Source-Software, aber durch Kryptographie vor Manipulation geschützt. Die Eintrittsbarriere zur Erstellung von Dapps ist niedrig, denn die Programmierwerkzeuge und der Browser sind gratis und relativ einfach zu lernen. Gruppen wie Ethereum Vienna bieten auch eigene Programmier-Workshops an.