Erstellt am: 29. 3. 2016 - 15:20 Uhr
Die Verteidigung des Paradieses
Über Latschenfelder und Felswände führt der Weg auf die Alm. Dort rotten sich die "Survivors" zusammen, unweit ist eine Gruppe Paviane zugezogen, einst für den Zirkus dressiert. Eine Affenmutter nähert sich gern und friedlich dem jüngsten "Survivor", der sich als Waisenkind Heinz vorstellt. Im Jahr elf nach dem Untergang feiert der "Zonbie" (sic!) seinen fünfzehnten Geburtstag mit grauen Haaren. Jemand hat noch eine mechanische Uhr.
S. Fischer Verlag
Es ist eine Dystopie, die der deutsche Autor Thomas von Steinaecker auf 400 Seiten in "Die Verteidigung des Paradieses" entfaltet. Sein jugendlicher Ich-Erzähler Heinz lebt im Resort. Im Almenland grasen unter einem Schutzschild noch Nutztiere. Andere Teile dessen, was früher Deutschland war, sind verbrannte Ödnis. MDCs, das sind die mostly destroyed countries in Mitteleuropa. Aus jener Richtung, die einst nach Österreich wies, kommen höchstens noch Drohnen, die entweder Carepakete abwerfen oder "phasern", also töten. Es muss eine nicht allzu ferne Zukunft von unserer Gegenwart sein.
Denn diese Welt nach dem Ende der Zivilisation wirkt recht vertraut. Noch kann sich die Älteste der Survivors an bestimmte Altwörter erinnern, die Heinz "foxy" findet und in Heften notiert. Schließlich sind es diese Hefte, in denen er seine Autobiographie festhält. F-87, liebevoll Fennek genannt, ist sein "Toy" und sitzt dann zu seinen Füßen. Der Roborterfuchs frisst aber auch Hundefleisch: "Als ich ihm einen Brocken vor die Schnauze hielt, schnellte sofort seine Zunge hervor und verschlang ihn mit einem Haps."
Thomas von Steinaecker, 1977 geboren, schreibt Romane, dreht Dokumentarfilme, ist ein Comic-Kenner und beschäftigt sich seit längerem mit der Frage, wie digitale Technologien unsere Wahrnehmung und Wirklichkeit verändern. Zuletzt - und digital - erschienen ist "Der Sommer ihres Lebens", ein Comic in Zusammenarbeit mit der Zeichnerin Barbara Yelin.
Etwas passiert mit dem Shield, dann noch ein Zwischenfall und auch auf der Alm wird es ungemütlich. Das Pärchen unter den Survivors will ohnehin sein Glück in der Ferne suchen, schließlich steht die Elternschaft bevor. China? Australien? Gibt es die noch?
Erstaunlich ist, wieviel der gegenwärtig vertrauten Botanik in diesen Landstrichen nach dem Untergang vorhanden ist: Brombeersträuche, Tierherden und Gras, das Schutt- und Trümmerfelder überwuchert. Beim Lesen fühlt man sich mehr wie in einem üppig illustrierten Adventure Game denn in einem Weltuntergangsroman. Über die anderen Gegebenheiten und Umstände verliert Thomas von Steinaecker nicht viele Worte. Silber-Bodys dienen zum Schutz, die Waffen reichen von Dolch bis Drohne. Es gibt viele, wesentlich wunderlicher gestaltete Zukunftswelten und auch wesentlich brutalere Geschichten in der Science-Fiction-Literatur.
Ein fast vertrautes Zukunftsszenario im Sekundenstil
"Die Verteidigung des Paradieses" lebt von Alltagsschilderungen, gern im Sekundenstil. Der "Kindskopf" Heinz will die Geschichte der Survivors festhalten und für die - wenn auch in Frage stehende - Nachwelt eine Chronik verfassen. Nach dem Untergang, trotz der Katastrophen, will die Würde bewahrt werden, ja sogar die Kultur. Thomas von Steinaecker geht es ums Menschsein und um ein humanistisches Weltbild in Auflösung. Was macht das aus?
Selbst wenn sprechende Kaninchen den Survivors plötzlich zur Seite stehen wie einst Alice im Wunderland in einer von Heinz ausgedachten Geschichten: Wenn die Nahrung knapp wird, wird der Mensch dem Menschen ein Wolf. Auch politisch spielen sich hier übrigens keine großen Visionen ab.
Wobei: Sind die alle überhaupt Menschen? Ein Verdacht kommt auf. Am Ende steht der Tod, soviel darf verraten werden. Mit diesem Roman wird klar, was der Kern der Forderung für Menschenrechte für Roboter ist: Der Mensch will schützen, was er liebt.
"Ich hatte die Wahl zwischen einer ganzen Reihe von Stimmlagen, von piepsig wie Mickey Mouse bis kratzig-rau wie Fight-Girl. Ängstlich drückte mir mein Robot-Fennek seine stumpfen Krallen in den Arm."
Zuweilen wird die Melancholie zu Kitsch. Thomas von Steinaecker lässt aber keinen Moment aufkommen, in dem man ungläubig aus diesen Szenarien aussteigen würde. Es sei denn, man hat sich den am Klappentext versprochenen "philosophischen Roman" erhofft.
Wortspiele - Festival für junge Literatur
Wortspiele Festival
Thomas von Steinaecker kommt diese Woche nach Wien zu den "Wortspielen".
31. Mai: Mercedes Lauenstein, Elias Hirschl, Lena Gorelik, Marjana Gaponenko, Daniel Zipfel, Markus Mittmansgruber.
1. April: Verena Mermer, Thomas von Steinaecker, Margarita Kinstner, Daniela Emminger, Friederike Gösweiner, Harald Darer.
Einlass jeweils 19 Uhr, Porgy & Bess, Wien