Erstellt am: 25. 3. 2016 - 13:29 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 25-03-16.
#blues #fußballjournal16
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Am Mittwoch ist Nick Neururer gestorben.
Das ist ein Nachruf auf einen Menschen, der zwei selten vereinbare Interessen (nämlich das für die Musik und das für den Fußball) unter einen Hut brachte, und in beiden Feldern wichtige Impulse setzen konnte.
Happel-Versteher, Countryblues-Scout, soulmate
Es war ein schweineheißer Tiroler Frühsommertag. Die Grillen zirpten als wollten sie sich für einen Job als Zikade in Südspanien bewerben und das Gras hörte gar nicht mehr auf, nach prallem Landleben zu duften. Ich war auf dem Aufstieg zu einem Haus oben am Hügel etwas außerhalb von Fieberbrunn in den Kitzbüheler Alpen, um Nick Neururer zu besuchen.
Ich hatte Nick beim Telefonieren etwa 1989 kennengelernt, wenn er anrief in der Redaktion, um die Konzertdaten seiner kleinen Veranstaltungs-Hütte ein wenig näherzubringen. So tat man das in der Prä-Handy/Netz-Ära: Anrufen und was erzählen. Und Nick erzählte gut und aus dem Herzen, aber immer unaufgeregt; von den alten Bluesleuten und Coutryfolkern, die er aufgrund dubios-guter Kontakte immer wieder in die Tiroler Provinz zu locken verstand, wenn sie eine day-off zwischen Süddeutschland und Norditalien oder der Schweiz hatten. Denn Wien war dazumals schon zu weit im unbegehbaren Osten der europäischen Konzerttour-Routen. Und so kam es, dass Nicks Hütte, das Riverhouse, immer wieder Legenden wie Bob Neuwirth oder Townes Van Zandt, alte Helden wie David Olney, Flaco Jimenez, Paul Geremia aber auch vergleichsweise große Acts wie die Walkabouts oder Canned Heat beherbergte. Und dann immer mehr auch aktuellen avancierten Pop-Acts (wie Loop oder den Shamen) eine Zwischenstopp-Heimat bot und schließlich auch den wichtigen österreichischen Bands der damaligen Tage (Die Brüder, Bomb Circle, den jungen Sofa Surfers) zur Heimat wurde. In den späten Jahren gab es auch HipHop- und FM4-LaBoum-Abende - Nick kannte keine Genre-Grenzen.
Das erste Mal angereist bin ich zu Townes Van Zandt, dem Countryblues-Gott, weil auch er es nicht weiter östlich schaffte und weil er damals gesundheitlich nicht gut beinand war und die Gefahr bestand, er würde es überhaupt nicht mehr über den großen Teich schaffen.
Die Begegnung mit Townes im engen, pittoresken, zwischen Flüsschen und Waldrand gelegenen Riverhouse hatte etwas von Twin Peaks. Der hohlwangige, von Konzentrationsaussetzern geplagte, aber höchst mitteilungsbedürftige Texaner erzählte von seinen Anfängen, seinen Ängsten, seinem Glauben und seiner Musik - so wie es der Riese oder die Frau mit dem Holzscheit oder auch Mike getan hätten: in epischen Bögen und verhangenen Bildern. Und wir, Nick, meine damalige Freundin und ich, hingen an seinen Lippen. Nick hat Van Zandt noch zweimal im Riverhouse, in jeweils deutlich schlechteren, wieder rabiat rückfälligeren unansprechbaren Stadien.
Als ich Nick kurz danach im Haus auf dem Hügel aufsuchte, war das für ein Portrait des kleinen Riverhouse in der Musicbox, im Rahmen eines Tirol-Schwerpunkts. Zwischenzeitlich war der Mann, der uns in erster Linie als Veranstalter, als wichtiger regionaler Inputgeber, aufgefallen war, nämlich auch noch in seiner eigentlichen Profession zu überregionalem Ruhm gelangt. Nick war Sportreporter bei der lokalen Kronen-Zeitung (wer die Sportredaktion der Konkurrenz kannte weiß, dass das kein Makel war) und als solcher der einzige Journalist, den der große Coach Ernst Happel bei seiner Trainer-Station in Innsbruck an sich heranließ. Die anderen verscheuchte er wie lästige Fliegen, den Nick hieß er Platz nehmen bei seiner Kartenpartie.
Nick hat diese Sonderstellung stets heruntergespielt. Zufall war das trotzdem keiner: Einer, der mit den abgebrühten Helden der Americana konnte, einer, der einen knorrig-sturen Townes Van Zandt erreichte, einer, der dem Blues immer tief in die Augen sah und dem Blick auch standhielt, musste auch beim Fußball-Bluesman Happel willkommen sein.
Zumal Nick von seinem Zugang her das exakte Gegenteil des Sportreporter-Klischees war: ruhig, unaufgeregt, analytisch, den menschlichen Kontakt suchend, überblicksbewahrend. Letztlich das Idealbild des Journalisten. Dass Nick trotzdem ein Solitär, ein Einhorn in seiner Branche blieb, sagt alles über sie aus.
Neben dem Tageszeitungs-Brotjob und neben dem Riverhouse-Nebenjob fand Neururer auch Zeit, eine Mannschaft zu trainieren: den SC Steinadler aus dem nahegelegenen Kundl, damals immerhin Regionalliga West; und das mit praktisch keinen Ressourcen, sondern wegen Nicks analytisch-weiser Führung.
In den 90ern machte er sich dann selbstständig, gründete eine Beraterfirma und galt als seriöser Spielervermittler. Nick war in Afrika unterwegs, bei den regionalen Jugendturnieren vor Ort, scoutete dort für große Vereine (Celtic hab ich mir gemerkt) und brachte als Vermittler vor allem Talente aus Burkina Faso (Pitroipa, Sanou oder Ouédraogo), die er umfassend und nachhaltig betreute, nach Europa.
Wir trafen uns alle ein, zwei Jahre bei irgendwelchen Gelegenheiten, die entweder mit Fußball (Tagungen) oder Musik (Konzerte) zu tun hatten. Er wollte von mir immer Neues oder Einschätzendes von/über Dylan wissen, ich von ihm dasselbe in seinem Scouting-Bereich. Diese Arbeit kam ihm sehr entgegen: gut anschauen, einschätzen, in Kontakt treten, Kontakt halten, beruhigen, deeskalieren, Vertrauen herstellen - das alles konnte Nick, das alles lag in seiner DNA, das alles spielte er aus, manchmal genügte ein kleines Lächeln, um eine Situation zu leiten.
Zuletzt half er im Sportbeirat von Wacker Innsbruck aus und war als Scout in Diensten des ÖFB unterwegs. Am Osterwochenende war er auch schon für einige internationale Spielbeobachtungen verplant.
Der Parte-Zettel, mittels dessen seine Lebensgefährtin und seine Kinder seinen Tod bekanntgaben, wird von einem Bob Dylan-Zitat überschrieben: "All I have and all I know is this dream of you which keeps me living on". Ich denke, ich werde dieses Lied vor mich hinsummen, immer wenn ich an einem heißen Sommertag einen Hügel hinaufsteige und die Grillen mich begleiten.