Erstellt am: 26. 3. 2016 - 12:03 Uhr
Servus Peter!
Vor etwa zehn Jahren, als ich gerade frisch vom Land nach Wien gezogen war, waren Konzerte aus dem Umfeld der Libertines etwas ganz Besonderes. Pete Doherty tauchte da zum Beispiel überraschend im Flex auf, um mit Surprise-Gast Adam Green eine Show zu spielen und tourte durch kleine Undergroundspots in Österreich - vom Grazer Pornokino bis zum Wiener Café Carina.
Eine Sache, die das alles irgendwie ganz besonders machte: Man wusste nie ob diese Shows auch tatsächlich stattfinden würden. Dohertys notorisches Zuspätkommen oder erst gar nicht aufzutauchen, die bizarren Videos auf Youtube mit Amy Winehouse, die Beziehung mit Kate Moss, das waren alles Momente einer von Boulevardmedien inszenierten Soap-Opera, die einem das Gefühl gaben, dass man da einem ganz echten, klassischen Rockstar wie aus den Märchenbüchern zusehen durfte.
Pete Doherty im Interview
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Außerdem unsere Rubrik "First time" mit Pete Doherty
Nach dem Zerfall der Libertines, dem Entzweien in Dirty Pretty Things und Babyshambles folgte 2014 die Reunion, die langerwartete Wiedervereinigung der "Boys in the Band", die Carl Barât, Pete Doherty und Co. auch gestern in die Wiener Stadthalle bringen sollte.
Ganz ohne "Überraschungen" geht es aber auch gestern nicht: Mein Interview mit Carl Barât wird zuerst von Mittag auf den Nachmittag, dann auf den Abend verschoben. Letzten Endes ist es dann nicht Carl, der sich Backstage mit uns trifft, sondern Pete höchstpersönlich. "The last little run of gigs we've done, I've been better than ever", erzählt mir der. "It feels like this is how it should have been back in the day originally."
Christoph Sepin
Die Vorband, die sehr guten Reverend and The Makers, höre ich nur mehr für ein paar Takte. Im Foyer der Halle wirkt es so, als würden die Libertines standesgemäß begrüßt werden: "Servus Peter", steht da auf einer Werbetafel. Gemeint ist aber nicht Doherty, sondern Alexander. Vor der Bühne herrscht währenddessen schon Fußballstadionsstimmung, mit gröhlenden Choren freudiger Menschen und in der Menge wehenden Queens Park Rangers-Flaggen.
Die Show beginnt dann auch nur zwanzig Minuten verspätet. Zu Bowies "Diamond Dogs" treten die Libertines aus blauen Lichtern heraus und kämpfen in den ersten Minuten weniger gegen ihre eigene schwierige Vergangenheit, als gegen die Akustik der Stadthalle. Sobald Pete seine ersten Takte singt, kreischt die Menge. Bierbecher fliegen auf die Bühne, nicht aus Ablehnung, sondern aus Zustimmung. Bei "Heart of the Matter" sind es dann zum ersten Mal die Hände, die von links nach rechts gewinkt werden.
Pete hat die Fußball-Flagge entdeckt und singt das Queens Park Rangers-Lied, bevor mit "Vertigo" ein weiterer Klassiker von "Up The Bracket" angespielt wird. "Biggles!", ruft Pete mit einem der vielen Spitznamen, den die beiden füreinander haben, nach Carl. Da sind sie wieder, gemeinsam auf der Bühne, die Libertines.
Vor "Horrorshow" spielt Pete ein kleines Hutspiel und probiert verschiedene Kopfbedeckungen aus. Denn der Trilby, der klassische Doherty-Hut, der zu Beginn der Nullerjahre von einer ganzen Generation junger Indie-Kids getragen wurde, darf bei dieser Best-of-Show auch nicht fehlen. Letzten Endes fliegen aber beide Hüte als Andenken in die Menge und sind dabei sicher die weichsten Objekte, die von Pete da heute ins Publikum geworfen werden. Danach wird der Mikroständer umgetreten. Herrlich ist das, wie früher.
Nur die Venue selbst wirkt oft ein bisschen unpassend an diesem Abend, und das gar nicht nur wegen den Bretzel-Verkäufern, die sich ihren Weg durch die Menge bahnen: Ein Stück der Essenz, der Magie geht verloren, wenn diese so traditionell mit den Fans verknüpfte Band als meterhohe Schatten unerreichbar an die Wände der Stadthalle projiziert wird. Das sind die Erinnerungen an die oben genannten Überraschungskonzerte, die da durchkommen, an die Locations, die so viel besser zu den Libertines passen, als die Mehrzweckhalle: Die Bars, die Clubs, die Pornokinos.
Franz Reiterer
Sinn macht die große Halle dann erst wieder während "You're My Waterloo". Das ist der kollektive Stadionrockmoment, wenn der Fokus mal nur Pete ist, in rotes Licht getaucht, das Publikum zum Händewinken auffordernd.
Während "Gunga Din", das zum besseren Vergleich kurz vor dem vielleicht besten Libertines-Track, "Can't Stand Me Now" gespielt wird, zeigt sich die immer noch vorhandene Songwriting-Brillanz der Band, wenn man überlegt, dass ein neuer Track von "Anthems for Doomed Youth" die Leute genauso zum ekstatischen Jubeln bringt, wie einer der größten Klassiker.
So richtig in ihr Element kommen die Libertines, und vor allem Pete, dann während "Death on the Stairs". Das ist schließlich sein Lieblingslied im Liveset, wie er mir vorher noch erzählt hat. Eine der ersten richtig großen Songperformances des Abends endet dann mit dem ersten in die Menge geworfenen Mikrofonständer. Mindestens fünf weitere sollen folgen.
Franz Reiterer
"Time For Heroes", das geniale Liebeslied, ist dann der Moment, wo die wahre Schönheit der Libertines an diesem Abend durchkommt. Pete fällt zu Boden, Carl spielt sein Gitarrensolo über ihm kniend, das erwartete Chaos hat die Bühne erreicht. Jetzt werden nicht mehr Songs gespielt, sondern Momente aus der fragilen Beziehung der Band vorgeführt.
Das sind die "Good Old Days", auf die alle gewartet haben, als vor dem Encore Pete noch einen Mikroständer und ein heute besonders gut gelaunter Gary eine Rose ins Publikum wirft.
"Music When The Lights Go Out", dieser unglaubliche, zeitlose Song beginnt dann die Zugabe. "Boys in the Band" wird nochmal kurz angespielt, genauso wie die Titelmelodie zu "James Bond". Dann "Up the Bracket". Carl und Pete teilen sich das Mikro, sprechen auf deutsch zum Publikum: "Das ist nicht Deutschland, das ist Österreich", sagt Pete im Scherz zu Carl. Und auch das letzte Lied des Abends wird zumindest teilweise auf deutsch angekündigt: "Nicht Look Back Into the Sun".
Und dann ist es auch schon wieder zu Ende, nach weniger als zwei Stunden. Eine Show, die erfüllte, was versprochen wurde. Ein Best-of, nicht nur der Lieder, sondern vor allem der zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwischen Pete und Carl. Zwischen den Libertines und ihren Fans. Und ein Feiern von all den schönen Liedern, die uns die Band mit ihren nur drei Alben geschenkt hat.
Christoph Sepin