Erstellt am: 23. 3. 2016 - 16:01 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 23-03-16.
#demokratiepüolitik #fußballjournal16
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Ein witziger Traum, ein Interview und eine Ansage, die ich zuletzt öfter gehört habe. Und die Notwendigkeit des ganz genauen medialen Blicks auf die Taten jener, die liberale demokratische Strukturen ablehnen.
Man muss politisch ja nicht einverstanden sein, aber...
Ich hatte heute also einen absurden Traum, der wie ein Fernsehbeitrag ablief, bei dem man quasi live dabei sein konnte. Held der Reportage war Hans Pirkner, der im fortgeschrittenen Alter von fast 50 immer noch Stammspieler bei der Austria Wien war und Erstaunliches leistete. Man besuchte den Helden auch daheim, wo er mit seiner Lebensgefährtin im Duett sang und bei seiner Tätigkeit als Club-DJ, wo er tatsächlich halbwegs lässige Musik auflegte.
Pirkner ist in echt an die 70, war WM-Teilnehmer '78 (wo er im legendären Auftaktsieg gegen Spanien zu einem Kurzeinsatz kam) und ein Drittel des großen 100jährigen Angriffs des Europacup-Finalisten Austria Wien im selben Jahr; in dem er auch seine Karriere beendet.
Nach dem Aufwachen konnte ich die realen Zutaten zu dieser geträumten Groteske halbwegs aufdröseln.
1) Die DJ/Musik-Sache hat mit einem Facebook-Posting meines Stamm-Plattenshops zu tun, wo sich der Besitzer mit einem prominenten Einkäufer (Nachfalke Krankl) und dessen aktueller Besorgung (ein Stück Vinyl von Moondog) ablichten ließ.
2) Die heldenhafte Pitch-Performance von Pirkner, der mit dem Pausenpfiff vor Erschöpfung umfiel und vom Jubel einer wogenden Zuschauermasse in die Kabine begleitet wurde, ist das Echo der Leistung von Guido Burgstaller in seinem Sonntags-Spiel gegen RB Leipzig, als er nach vielen vergebenen Chancen und dem dann endlich doch erzielten 3:1-Siegtor ebenfalls völlig kaputt liegenblieb und von der öffentlichen Begeisterung getragen wurde.
3) Warum Pirkner überhaupt aus meinen hinteren Erinnerungs-Windungen hervorgeholt wurde, oder besser: der einzige mögliche Anlassfall dafür ist mir dann erst in der U-Bahn wieder eingefallen. Es war ein Interview mit Tibor Nyilasi, das ich vorgestern in einer zerknüllten an einem Tresen lauernden Kronen-Zeitung gelesen habe.
Tibor Nyilasi kam erst fünf Jahre nach Pirkners Abschied zur Austria, war dann in der Folge fünf Jahre lang Taktgeber der Violetten, und wurde eine vergleichbare Legende. Das Gespräch mit ihm drehte sich natürlich um die ungarische Nationalmannschaft, die sich - noch überraschender als Österreich - ebenfalls für die Euro qualifiziert hat und dort in dieselbe Gruppe gelost wurde. Es besteht also öffentliches Interesse am Zustand dieses Gegners. Nyilasi, auch WM-Teilnehmer und zigfacher Teamspieler, ist knapp über 60 und arbeitete unter dem letzten (ungarischen) Coach vor dem nun erfolgreichen Deutschen Storck als Berater beim Verband. Seine Einschätzung der aktuellen Mannschaft und der Strukturen klingen kompetent (er schätzt den Rückstand auf die österreichische Entwicklung mit fünf Jahren realistisch ein) und er erkennt auch aus der Distanz die zentralen Punkte in Kollers Plan.
Man muss politisch mit ihm ja nicht einer Meinung sein...
... sagt Nyilasi dann, als es um die Gründe für den sportlichen Aufschwung seines Fußball-Landes geht, über Viktor Orban. Und dann sagt er sinngemäß, dass das was der Premier für Infrastruktur und Ausstattung des Sports und der Fußballs im Konkreten unternommen hat und was er alles bereits bewirkt hat, aller Ehren wert sei.
Die fast wortidente Formulierung hatte ich unlängst auch in einem (die heimische Infrastruktur-Situation zurecht bejammernden) Kommentar eines Mediums gelesen, das sich selber als qualitätsvoll bezeichnet. Man müsse Orban ja nicht gut finden, aber...
Mich stört daran nicht das offene Denk-Prinzip. Die allermeisten historischen Figuren, denen die Nachwelt entweder huldvolle Größe oder absolute Dämonität zugesteht, stehen genauso auch für gegenteilige Facetten. Eindimensionale Betrachtungen (Kaiser Joseph II. immer super, Waldheim ausschließlich böse) sind immer doof. Dass wir bei untergangbringenden Verführern und Ideologen nachträglich strenger sind und die positiven Seiten (Stichwort: Hitler war gut zu seinem Hund) nicht gelten lassen, ist legitim. Und überhaupt: so weit ist Orban ja noch nicht.
Was mich stört ist die kritiklose, naiv staunende Übernahme von Propaganda. Um beim Beispiel zu bleiben: dass die Nazis das Autobahn-Netz ausgebaut haben, ist ja auch nicht ihrer nachhaltig-sozialen Ader oder einem verkehrspolitischen Konzept geschuldet, sondern war militärischen Interessen untergeordnet und somit ein Puzzle-Teil des menschenverachtenden Angriffs-Kriegs einer Verbrecher-Bande. Wenn Stammtische aller Art die Autobahn immer noch als Positiv-Beispiel herauslösen, dann geschieht das in einer bestimmten ideologischen Absicht, der Ablenkung und der Verharmlosung.
Mit Orbans öffentlichkeitswirksamem Ausbau des Sportwesens, dem Infrastruktur-Boost, der Aufstockung von Förder-Mitteln ist es ähnlich: Sie dienen, politisch gesehen, einem anderen Zweck. Orban instrumentalisiert, er benützt den Sport. Nicht nur um damit sich selber und seine Bewegung besser dastehen zu lassen, sondern auch um andere zu schwächen - denn natürlich erfolgen die Budget-Umschichtungen auf Kosten von Förderungen im Kultur- und Sozialbereich, wo eher kritisch-oppositionelles Gedankengut daheim ist, und sicher nicht Orbans Basis-Klientel. Und die Oberflächen-Surfer, die sich mit dem erstbesten Blick auf die Dinge begnügen und über der simplen Tatsache des Ausbau der Sportförderungen alles andere als nachrangig und anstrengend, weil mit Beschäftigung/Nachdenken verbunden abstreifen.
Man muss politisch ja nicht einverstanden sein, aber...
Wer wie Nyilasi da im Guten mitbetroffen ist, dem geht der "man muss ihn ja nicht mögen, aber..."-Satz logisch-leicht über die Lippen.
Dass auch die österreichischen Medien diese Denke mitübernehmen, gibt viel mehr zu denken. Zum einen, weil es einen dümmlichen Branchen-Chauvinismus befeuert. Und zum anderen, weil es einer Selbstaufgabe der Aufgaben des Journalismus gleichkommt. Weil es ja auch anders geht.
Mit dabei waren Ivan Lucic, Tino Casali, Philipp Lienhart, Lukas Gugganig, Patrick Puchegger, Daniel Rosenbichler, Alexander Joppich, Francesco Lovrić, Michael Brandner, Konrad Laimer, Martin Rasner, Sascha Horvath, Peter Michorl, Valentin Grubeck, Markus Blutsch, Sinan Bytyqi, Daniel Maderner und Florian Grillitsch. Also fast die gesamte aktuell U21.
Ich erinnere mich an die U19-Euro der Fußballer, die anno 2014 in Ungarn stattfand. Nicht nur weil Österreich dort Dritter wurde und sich für die U20-WM qualifizierte (Deutschland - mit Kimmich, Brandt, Öztunali oder Selke - besiegt im Finale Portugal), sondern weil die Übertragungen überraschend viele Hintergrund-Infos über das eben aufblühende ungarische Sportwunder bereithielt. Und das auf Eurosport, einem Sender dessen deutschsprachige Abteilung für unverhohlenen Nationalismus und kruden Sportchauvismus berüchtigt ist.
Einer der vier Austragungsorte dieser kleinen Euro war ein Provinz-Stadion in der Nähe des Dorfs Felcsút, die Pancho Arena. Das hat wiederum damit zu tun, dass Victor Orban dort geboren wurde und immer noch ein Wochenendhaus hat. Zum Stadion stampfte der Präsident auch noch einen eigenen Verein aus dem Boden, die Ferenc Puskás Football Academy, die eigentlich als Ausbildungszentrum initiiert wurden, dann aber 2012/13, also unter Orbans Regentschaft, einen, wie es heißt "äußerst überraschenden Aufstieg" in die erste ungarische Liga schaffte.
Unter äußerst überraschenden Umständen nach oben gekommen
Über diese und andere Machenschaften wusste Eurosport anlässlich der Live-Übertragungen im Juli 2014 vielerlei zu erzählen. Und vielleicht hat man dort auch die Floskel "politisch muss man das ja nicht mögen, aber..." gebraucht - ich erinnere mich nicht mehr. Weil aber die Schattenseiten dieses Engagements (Wettbewerbs-Verzerrung, Beeinflussung zugunsten politischer Interessen, propagandistische Inszenierungen etc) deutlich angesprochen wurden, halte ich die Differenzierung für zulässig.
Und nur dann.
Eine Blanko-Entschuldigung zum Fernbleiben der Schulstunde "politische Grund- und Menschenrecht" ist nämlich nicht möglich.
Schon gar nicht aus der (sicheren) Distanz, die einen kritischen Blick auf die Zustände und vor allem dessen öffentliche Äußerung (die den ungarischen Kollegen in vielen Fällen gar nicht mehr oder nur schwer möglich ist) unendlich leicht macht.
Die Abwesenheit eines solchen Kontroll-Denkens ermöglicht nämlich den nächsten Schritt: die Forderung nach einem kleinen Orban. Die zum Beispiel in der Sport/Fußball-Branche schon kursiert, subkutan und unter dem Siegel der Verschwiegenheit (und mögliche Szenarien mit vergleichbaren hiesigen Sport-Förderern malt). Die in ihrer unzulässig verknappten Botschaft politikfernen Schichten signalisiert, dass eine post- oder antidemokratische Zukunft gar nicht so schlimm wäre. Weil dann wenigstens ordentliche Sportstätten gebaut werden würden.