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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

23. 3. 2016 - 11:51

Die Stadt mit anderen Augen sehen

Ehemals und aktuell obdachlose Menschen zeigen uns in einer neuen Stadtführung ein unbekanntes Wien.

Seit kurzem gibt es in Wien eine neue Tour, die nicht nur für Touristen, sondern auch Wien-Kenner interessant ist. In ca. eineinhalb Stunden lernt man dabei Wien von einer neuen Seite kennen, einer sehr persönliche Seite, die bekannte oder unbekannte Orte mit den bewegten Lebensgeschichten ihrer Guides verknüpft. Unter dem Titel "Supertramps – Es gibt immer einen Weg" führen Menschen, die obdachlos sind oder waren, zu den Orten, die ihren Alltag bestimm(t)en. Es sind Plätze, an denen sie im Freien übernachteten oder Notschlafstellen; sie zeigen uns versteckte Steckdosen ebenso wie Stellen, an denen man besonders viele Exemplare der Stadtzeitung Augustin verkaufen kann. Dabei erzählen sie persönliche Geschichten aus ihrem Leben, wie über die Gründe, die zu ihrer Obdach- oder Wohnungslosigkeit geführt haben, ihr Ringen mit der Alkoholsucht, oder die Angst, beim Verkaufen von Zeitungen auf den ehemaligen Chef zu treffen.

Ein Mann steht vor einer Gruppe und spricht.

Alexander Fortunat

Augustin-Verkäufer Rudi Lehner

Valerie Kattenfeld und Rudi Lehner waren auch in der FM4 Morning Show zu Gast; nachhören kann man das hier in unserem Player.

Valerie Kattenfeld, Projektleiterin von "Supertramps - Verein zur Unterstützung von obdachlosen und ausgegrenzten Menschen": "Einerseits wollen wir das Selbstwertgefühl unserer Guides und ihre sozialen Kompetenzen stärken, andererseits wollen wir bei den TeilnehmerInnen das Bewusstsein dafür schaffen, wie leicht man eigentlich in die Obdachlosigkeit rutschen kann. Wir wollen, dass sich die Leute kennenlernen, in Berührung miteinander kommen und durch die direkte Kommunikation ihre Vorurteile überwinden."

Alexander Fortunat

Rudis Tour führt über mehrere Stationen vom Museumsquartier bis zur TU Wien.

Derzeit führen vier Guides durch die Stadt, jeder von ihnen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und unterschiedlichen Routen, weitere sollen folgen. Der IT-Profi Enrique zum Beispiel weiß, wo man in U-Bahnstationen halbwegs ungestört schlafen kann, wie man genügend Tabak zusammenbekommt und zeigt, wo er die Zeit bis zum Öffnen der Notschlafstellen am Abend verbringt. Ganz anders die Tour des Augustin-Verkäufers Rudi, der mittlerweile in einer Gemeindewohnung lebt. Zwischen Mariahilfer Straße und Gumpendorfer Straße stoppt er seine Gruppe auf der mittleren Ebene eines Stufenabgangs: "Hier seh‘ ich mich auch im Leben, nicht ganz oben, aber auch nicht mehr ganz unten." Seine Tourstopps haben meist symbolischen Charakter und erhalten auch performative Züge, wenn der Theaterliebhaber mit Freiwilligen am Platz vor dem Café Sperl eine Szene aus Turrinis "Sauschlachten" spielt, oder sich am Naschmarkt in vertauschten Rollen einen Augustin verkaufen lässt.

Alexander Fortunat

Am Platz vor dem "Sperl" erzählt Rudi von seiner Theaterleidenschaft.

Die Supertramps füllen anonyme Orte mit ihren Geschichten und bringen uns so nicht nur die Stadt näher sondern auch jene Menschen, die man bisher vielleicht nur en passant wahrgenommen hat.