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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

27. 3. 2016 - 12:30

Monolog für mehr Verständnis

In seinem neuen Roman "Ohrfeige" feuert Abbas Khider eine Breitseite auf das europäische Asylsystem ab.

"Zimmerroulette" mag sich nach einem lustigen Spiel anhören, für Flüchtlinge kann es über ihre weitere Existenz entscheiden. Wenn man nämlich die falsche Wartenummer auf der Ausländerbehörde zieht und dann ins falsche Zimmer mit den falschen Beamten kommt, die die kleinste Angelegenheit zu einem Staatsakt machen, kann das ihr Leben sehr kompliziert machen.

Buchcover: Abbas Khider - "Ohrfeige"

Carl Hanser Verlag

Abbas Khiders Roma "Ohrfeige" ist im Carl Hanser Verlag erschienen.

Mit Bildern wie diesen macht Karim Mensy, der Protagonist in Abbas Khiders viertem Roman "Ohrfeige", seiner ehemaligen Sachbearbeiterin Frau Schulz klar, wie er die Zusammentreffen mit ihr empfunden hat. Erstmals ist sie in einer Situation, in der sie ihm zuhören muss, denn Karim ist in einer Rachephantasie in ihr Büro in einer bayrischen Kleinstadt gestürmt und hat sie gefesselt und geknebelt, nachdem er ihr die titelgebende Ohrfeige verpasst hat.

Reise durch Europa

Karims Aufenthalt in Deutschland steht kurz vor seinem Ende. Seinen Abschiebebescheid hat er schon in der Tasche, nachdem Frau Schulz seine Aufenthaltsgenehmigung widerrufen hat. Bevor er nun untertaucht, will er nur einmal seine ganze Geschichte erzählen können, ohne unterbrochen zu werden oder lügen zu müssen.

Die Erzählung beginnt mit seiner Flucht, die ihn eigentlich gar nicht nach Deutschland bringen hätte sollen. Als er Saddam Husseins Irak Ende der 1990er mit Hilfe eines Schleppers verlassen hat, habe er eigentlich für Paris bezahlt. Gekommen ist er aber nur bis Bayern, ausgerechnet bis Dachau, um wegen des Dublin-Abkommens dann in einer bayrischen Provinzstadt auf die Erledigung seines Asylverfahrens warten zu müssen.

Alles Revolutionäre

Dass sein vorbereiteter Fluchtgrund, Fahnenflucht, niemals für Asyl, sondern maximal für eine Duldung reichen würde, erfährt Karim bald durch seine Mitbewohner im Flüchtlingsheim. Da könnte ja jeder kommen, der in irgendeine der Armeen in einer Diktatur nicht einrücken möchte. Den einzig gangbaren Weg haben die Asylwerber im Heim natürlich längst in Erfahrung gebracht. Niemals die Wahrheit sagen, von Oppositionstätigkeiten und Folter berichten. Denn überprüfbar wäre das alles ohnehin nicht. "Ist ja nicht so, als würde Saddam für jeden eine Akte anlegen und eine Kopie davon an alle Asylländer schicken."

Dass rund um Karim, der im Irak keinen einzigen wirklichen Regimegegner gekannt hat, plötzlich lauter angebliche Revolutionäre sind, ist die Absurdidtät, die die strikte Trennung zwischen politischen Flüchtlingen nach Genfer Konvention und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen hervorbringt. Dass Abbas Khider seinen Protagonisten dann mit einer wahrhaft abstrusen und ihm peinlichen medizinischen Diagnose als "wirklichen" Fluchtgrund ausstattet, treibt das Ganze noch auf die Spitze.

Abbas Khider auf der Leipziger Buchmesse 2016

CC BY SA 4.0 von Heike Huslage-Koch via commons.wikimedia.org

CC BY SA 4.0 - Abbas Khider auf der Leipziger Buchmesse 2016

Kritik am Asylsystem

Abbas Khider, selbst 1996 nach einem Gefängnisaufenthalt aus dem Irak geflohen und seit 2000 in Deutschland, kritisiert in "Ohrfeige" das ganze europäische Asylsystem. Das Dublin-System, das Flüchtlinge zur Verschubmasse macht, die sinnlose Warterei auf die Erledigung von ohnehin unkontrollierbaren Behauptungen in Asylanträgen, die Hilflosigkeit vor Behörden, den Alltagsrassismus von Bevölkerung und Polizei und den Hängezustand am existentiellen Minimum, der viele ins kriminelle Milieu, in religiösen Fanatismus oder die Psychatrie treibt.

3 1/2 Jahre lässt Khider seinen Protagonisten in Deutschland ausharren, bevor ihm schließlich die Aufenthaltsgenehmigung wieder entzogen wird, weil die Amerikaner Saddam Hussein im Irak verhaftet haben.

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Khider lässt seinen Roman, analog zu seiner eigenen Fluchtgeschichte, um die Jahrtausendwende und 9/11 spielen, doch mit der aktuellen Flüchtlingssituation könnter er kaum aktueller sein. Wenn PolitikerInnen hierzulande öffentlich aussprechen, Asylansuchen absichtlich verzögern oder gar nicht mehr bearbeiten zu wollen, hat sich die Situation der Flüchtlinge wohl nicht wirklich zum Positiven verändert.