Erstellt am: 22. 3. 2016 - 18:44 Uhr
Imitation of Life
Das Nachdenken darüber, wie wir die Welt wahrnehmen und beschreiben. Nachdenken über die Wörter, die Worte, die Sätze, die wir haben, um die Dinge, die Sachverhalte, die Emotionen zu benennen, ihnen beizukommen. Selbstreflexion und Metareflexion über die Künstlichkeit, derer wir uns bewusst sind.
Der letzte Woche erwartungsgemäß und zu Recht unter gehörigem Getöse erschienene Debütroman der jungen Berliner Autorin Ronja von Rönne ist nur vage an der Anwesenheit von Plot interessiert, vielmehr lebt "Wir kommen" von intensiver und sich selbst streichelnder Sprachbeobachtung, -aushebelung und -neukonstruktion.
Von einem Ton, den man ähnlich aus von Rönnes Blog-Einträgen kennt, oder auch aus ihrem letztes Jahr erschienenen, notorischen Anti-Feminismus-Text, der der Autorin fragwürdigen Ruhm und Hate eingebracht hat. Ein Text, der nicht bloß durch krude Argumentation, weltferne Egozentrik und einen seltsamen Mangel an Solidaritätsvermögen zu glänzen wusste, sondern eben auch durch prunkvolle Formulierkunst und prallen Originalitätszwang.
Carolin Saage
Der Roman "Wir kommen" von Ronja von Rönne, den der Leser in der Realität von außen als Roman liest, stellt sich im Text selbst als mehr oder weniger deckungsgleich mit einer Art Tagebuch der Hauptfigur des Romans dar. Ich-Erzählerin Nora, im Buch wohl semibekannte Moderatorin nicht unbedingt hochkultureller Fernseh-Formate, etwa einer exploitativen Vorher/Nachher-Show, hat Panik-Attacken, kann nicht schlafen.
Auf Anraten ihres Therapeuten hin notiert Nora ihre Gedanken, ihre Tagesabläufe in ein Notizheft. In Ronja von Rönnes Roman "Wir kommen" hat Noras Notizheft einen gelb-blauen Einband, darauf prangt ein Streicholz. Der Roman "Wir kommen" von Ronja von Rönne, in der Umgebung, die wir "die echte Welt" nennen, im aufbau Verlag erschienen: Gelb-blauer Einband mit entflammtem Streicholz drauf - wohl als totgetretenes und dennoch immergültiges Symbol für die zündende Idee.
So befasst sich von Rönje in "Wir kommen" schon an der Oberfläche und durch die Wahl des Formats und dessen ausdrückliche Ausschilderung klar mit der Gemachtheit von Literatur, Kunst, aber eben auch Lebensentwürfen. So ist Nora nicht bloß fiktiver Charakter im Roman, sondern auch im Text selbst eine Figur, die sich selbst beschreibt, sich selbst schreibt und also unzuverlässig.
"Ich vermisse Jonas. Ich vermisse Karl. Ich bin eifersüchjtig auf Leonie. Ich bin eifersüchtig auf jeden Gegenstand mit einem weiblichen Artikel. Die Marmelade. Die Tür. Alles Schlampen. Meine Mutter sagt, was man liebt, muss man ziehen lassen. Also habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen."
Nora lebt in einer Vierer-Beziehung mit Jonas, Karl und Leonie. Offen soll sie sein, die Beziehung, das hat man so vereinbart, abgesprochen und festgelegt, sexuell und emotional. Einst sind Nora und Karl ein Paar gewesen, Leonie und Jonas wohl auch, in der Erzählgegenwart sind - bei aller wechselseitigen und in alle Richtungen durchlässigen Freiheit - die Konstellationen umgedreht, das Quartett ist lose auf dem Fundament des vagen Pärchendoppels Leonie:Karl und Nora:Jonas aufgebaut.
Das funktioniert alles freilich nicht so recht. Eifersüchteleien, die man sich klarerweise nicht eingestehen und schon gar nicht zeigen kann, dazu ist man zu modern, Abnutzung, Langeweile. Man ist wohl erzogen und gebildet, mehr oder weniger wohlhabend, arbeitet als Schriftsteller oder Webdesigner. Ennui und Traurigkeit durchziehen das Leben, ständig muss man sich die eigene Überlegenheit beteuern.
"Unsere Beziehung ist eine einzige Imitation irgendwelcher Filme, und wenn wir uns streiten, dann halt noir, mit viel Schweigen und wütendem Rauchen, und ab und zu knallt eine Tür, und meistens fällt das Licht weich durch die Jalousien."
Um die Harmonie wiederherzustellen fährt die Gang plus Kleinkind, Leonies Tochter Emma-Lou, hinaus in ein Strandhaus. Auf unbestimme Zeit, so heißt es. Man trinkt teuren Wein, liegt herum und hat interessante Meinungen zu Kultur, Politik, Religion. Man schmeißt eine Party und streitet.
Man kann in "Wir kommen" mitteljungen, halbhippen Menschen dabei zuhören und zusehen, wie sie sich gegenseitig ständig ihre eigene Besonderheit erklären und auf Meta-Ebene alle Vorgänge meta-reflektieren. Und über das Wort "Meta" nachdenken. Und sich selbst sagen, dass sie über das Wort "Meta" nachdenken.
"Ich vertrieb mir die Zeit damit, Dinge mit Symbolik und Metaphorik zu beladen. Schweigen? Metapher. Intakte Matratzen? Metapher. Gemeinsames Lied? Wie trinkt der andere seinen Kaffee? Metapher, Metapher, Metapher. Lauter Dinge, die krampfhaft versuchen, mehr zu sein als sie nun einmal sind, nämlich gottverdammter Kaffee oder eine gottverdammte Matratze."
aufbau
Neben der Haupthandlung schneidet "Wir kommen" immer wieder in die Teenager-Vergangenheit der Hauptfigur; Zeiten, in denen Nora mit ihrer ständig auf Krawall gebürsteten Freundin Maja Unsinn ausheckte, später dann Gröberes als bloß Unsinn.
Der Geist Majas durchzieht als Echo der Vergangenheit den Roman, wie als Phantom, als Erinnerung - als ob irgendein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit die privilegierte, deprimierte Gegenwart mit Bedeutsamkeit beladen könnte. Viel mehr geschieht nicht. Alle sind müde und erledigt und allen geht es ähnlich.
Ronja von Rönne findet, erfindet neue Bilder, Redewendungen, Metaphern, Seite für Seite, Satz für Satz, bespiegelt dabei den Vorgang des Schreibens, des Sprechens selbst. Gerne personifiziert sie die Dinge, die Gefühle, die Natur: Bei Ronja von Rönne sind die Gläser unsensibel und das Meer leckt den Strand. Die Panik zuckt mit den Schultern und das Strandhaus glotzt die ankommenden Besucher an. Das ist oft viel zu viel und erhaben und eitel gestelzt und weiß es.
Ronja von Rönnes Erzählerin meint in dem längst pragmatisierten Allgemeinplatz, der besagt, dass die Verwendung von "zum Bleistift" anstelle von "zum Beispiel" nicht gerade auf rasendes Coolness-Level des Sprechers hindeute, eine frische Erkenntnis entdeckt zu haben. Verwendet dann aber selbst, mehrmals und diesmal ohne ironische Selbstreflexion, die öde, allgemeingültig von der Zeit geächtete Wendung "sich anschweigen".
Die Figuren in Ronja von Rönnes "Wir kommen" bleiben leer und Scherenschnittfiguren, sie spielen Rollen, ihr Leben, das Leben, alles ist Performance. Sie wissen es und sie sprechen es aus.
"Keiner lachte, weil der Witz alt und geschmacklos ist, und wir sind jung und geschmackvoll."