Erstellt am: 22. 3. 2016 - 16:49 Uhr
Adam und die coole Braut
Nebenbei bemerkt: Es muss eine lustige Begegnung gewesen sein, vor ein paar Tagen im Berliner Gorki Theater. Da traf die 26-jährige Pussy Riot Aktivistin und Künstlerin Nadja Tolokonnikowa auf den 68-jährigen Philosophen und Autor Michail Ryklin, um "Anleitung für eine Revolution" vorzustellen. Der Altersunterschied ist per se kein Problem, problematisch war offenbar viel mehr das Aufeinandertreffen von schnoddrig-keckem Polit-Aktivismus und analytisch-scharfem Schreibtischtäter. Kopfmensch trifft auf Körpermensch.
Die deutsche Zeitung taz bezeichnet Nadja Tolokonnikowa als coole Sau. Tolokonnikowa selbst bezeichnet die biblische Eva als ziemlich coole Braut. Was steckt hinter den poppigen Worthülsen?
Zu allererst eine Frau, die es ernst meint, sich selbst aber nicht allzu ernst nimmt. Am Anfang ihres Buches erinnert sie sich, wer sie war, als sie nach der Performance des Punk-Gebets in der Christ-Erlöser-Kiche in Moskau verhaftet wurde. Nämlich "keine der professionellen Politikerinnen, Revolutionärinnen oder Mitglieder einer Untergrundorganisation." Sie wäre Aktivistin und Künstlerin gewesen und als solche eben ein wenig naiv und offenherzig.
"Anleitung für eine Revolution" ist einerseits genau das, was der Titel verspricht. Weiters handelt es von den Pussy Riot-Aktionen und von Tolokonnikowas Zeit im Straflager in Mordwinien (was für ein Name für einen Straflager-Ort!). Dort ist der Aktivistin die Naivität vergangen, sie hat sie zugunsten des Sich-nicht-Fürchtens an den Nagel gehängt, wurde gedemütigt, hat weiterhin versucht, Gender-Stereotypen aufzubrechen und Menschenrechte zu fordern und, auch nicht unwichtig, an gutes Brot zu kommen. Aber die Offenherzigkeit hat sie sich bewahrt. Tolokonnikowa weiß, dass ihr Handeln unangenehme Folgen haben kann und tut es trotzdem. Beziehungsweise sie ruft uns mit diesem Buch dazu auf, es trotzdem zu tun.
Hanser Verlag
Für Selbstbestimmtheit und Eigeninitiative würde ich mich ans Kreuz nageln lassen, schreibt sie. Sie fordert dazu auf, sich von den eigenen tollkühnen Träumen leiten zu lassen. Sie ruft uns zu, wir sollen selbst Nachrichten machen, statt sie zu lesen, nie öde sein und lächelnd protestieren.
Dass wir in einer Zeit leben, in der die Angst vor Individuen, die beschließen, Nachrichten zu machen, grassiert und dass die Nachrichten, die diese Individuen machen, für niemanden gute Folgen haben, lässt Tolokonnikowa aus. Es versteht sich, aus ihrer Sicht, ohnehin von selbst. Außerdem pocht sie vehement darauf, dass der Aktivismus künstlerisch sein muss. Wobei sie auch ihren Begriff von Kunst nicht erklären muss. Punk! Verdammt! Hier gibt es nichts zwischen den Zeilen zu lesen!
Die Dinge, die man nebenbei bemerkt, zählen ja oft zu den Wichtigsten. Auf der Verlagsseite von Nadja Tolokonnikowa stehen ein paar Zeilen "über den Autor", man kann aber runterscrollen und dort noch "mehr über den Autor" erfahren.
"Anleitung für eine Revolution" ist ein Manifest gegen den Phallozentrismus, gegen Machtmissbrauch, gegen Geschlechterrollen. Es ist ein Bericht aus dem Straflager, der nichts mit einem schnöden Tagebuch gemein hat. Und: es ist ein Ratgeber. Ja genau. Die Aufforderungen, numerisch geordnet, lesen sich wie jeder x-beliebige Ratgeber, für ein glücklicheres Leben, für die erfüllte Liebe, den perfekten englischen Garten, den besten Sex, das Haus nach Feng Shui.
Die ironische Brechung der großen Geste zeichnet den Pussy Riot Aktivismus aus, dieses saloppe Wir-wollten-doch-nur-Spaß-aber-ups-dabei-haben-wir-eine-Lawine-losgetreten, das Spiel mit dem Feuer. Voraussetzung dafür: Du musst fit wie ein Turnschuh sein und dein Hirnschmalz anstrengen. Auch darüber gibt „Anleitung für eine Revolution“ Auskunft.