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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 3. 2016 - 15:36

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 22-03-16.

Drei Selbst- und Fremd-Beobachtungen am Tag der Anschläge in Brüssel.

#demokratiepolitik #securityismus

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

1) Es gibt nichts zu verhindern. Sicherheit existiert nicht.

Es war seit Monaten klar, dass Brüssel ein Attentatsziel ist. Diverse Lockdowns und Warnstufen der letzten Zeit sprachen ebenso wie die Molenbeek-Connection und Anschläge wie die auf das jüdische Museum im Mai vor zwei Jahren dafür, dass demnächst wieder was passieren wird in der politisch und gesellschaftlich exponierten EU-Hauptstadt. Und dann gehen die Bomben hoch am Flughafen und in einer nächst EU-Parlament gelegenen U-Bahnstation. Also erwartbaren Primärzielen. Und es ist nichts dagegen zu machen, es ist nicht zu verhindern. Trotz globaler Lauschangriffe, Überwachungsverschärfung, höchster Sicherheitsstufen und massiven Polizeiaufgebots. Nichts.
Weil es nicht geht.

Die mediale Vorwurfsspirale an Exekutive und Verantwortliche, dass dieser Hinweis und jene Gruppierung zu wenig beachtet wurden, pufft in dem Moment, wo sich der von Emotion besetzte wilde Aktionismus wieder setzt, ins Leere.
Kleinzellig strukturierter Terror ist (per se) unverhinderbar; selbst wenn man 95% der Potentiale abblockt. Selbst wenn man die Szene großflächig unterwandert (Stichwort: NSU).

Der völlig irrationale, fast schon mit der Wahnsinnigkeit religiösen Fundamentalismus vorgetragene Glaube an die Wirksamkeit von Überwachung, Spionage, Grenzzaunsicherung, Abschottung etc, ernährt sich von der grotesken Hoffnung die aktuellen 95% auf die unerreichbaren 100% pitchen zu können. Ganze Industrien leben von dieser - nur rein virtuell existenten - Dienstleistung, dem Popanz des Securityismus. Ebenso wie die globale Internationale der nationalistischen Populisten.

Keine all dieser Heilversprechungen ist erfüllbar.
Absolute Sicherheit existiert nicht.
Alle Ressourcen dort hinein zu pumpen höhlt sowohl den Staat als auch die Realwirtschaft aus.
Ohne Turnaround in dieser zentralen Frage erreicht die informelle Koalition von Attentätern und ökonomischen Profiteuren ihr Ziel: nämlich eine nachhaltige Destabilisierung unserer Gesellschaft.

2) Es stellt sich eine gewisse Normalität ein. Man stumpft ab.

Siehe dazu auch Is this the new normal? - FM4 Reality Check.

Ich überspitze im folgenden im Versuch eine Tendenz zu beschreiben ein wenig.
Natürlich habe ich den Status der Handvoll Bekannten in Brüssel abgecheckt, selbstverständlich hatte ich sofort Bilder im Kopf, fühle mich mitangegriffen in meiner Eigenschaft als bewusster europäischer Urbaner.

Trotzdem: im Vergleich zu Paris II (Stade de France, Bataclan) oder gar zu Paris I (Charlie Hebdo) setzt der heutige Abschlag ein bisserl die "business as usual"-Logik frei. Das ist eine logische Folge einer erhöhten Taktung des Terrors.

Apropos Terror in den 80ern - in diesem Zusammenhang sind diverse Statistiken über die Anzahl der TerrorToten interessant.

Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern, an die Hochblüte des sogenannten Palästinenser-Terrors in den 70/80ern, als Flugzeuge entführt, Botschaften besetzt, Institutionen und Personen attackiert wurden, in ganz Europa, auch in Österreich. Ich erinnere mich an einen Fatah-Anschlag am Flughafen Schwechat (3 Tote, ein zeitgleiches Attentat in Rom forderte 16 Todesopfer) in den 80ern, an die Bilder und den gruseligen Schrecken, dass es da jeden, den man kennt, auch erwischen hätte können.

Über etliche Jahre wurde da ständig irgendwo irgendwas und irgendwer durch Terror zu Tode befördert - es hatte nachhaltige politische Folgen, unterminierte aber nicht den Lebensalltag, vergiftete auch nicht die Atmosphäre, zerstörte schon gar nicht die gesellschaftliche Balance.

Heute tut es all das. Weil im Unterschied von vor 30/35 Jahren heute globale Profiteure aus Ökonomie und Politik die Geschehnisse instrumentalisieren, die unter Punkt 1 abgehandelte Schein-Sicherheits-Debatte aufrollen oder den Krieg der Zivilisationen anfachen.

Die Hallräume in den digitalen Stammtischen sind auch heute voll mit Hysterie und Schuldzuschreibungen - die Dynamik lässt aber nach. Allzu oft wiederholte Muster stumpfen ab. Sobald sich der geneigte Westler mit einer bereits als erlebt/erledigt abgespeicherten Wiederholung konfrontiert sieht, lässt sein Auseinandersetzungswille nach.

Brüssel wird es aktuell als politisches Symbol auf die Wochenend-Covers der Magazine schaffen - der nächste vergleichbare moreofthesame-Anschlag dann aber nicht mehr. Das ist zynisch, ich weiß, aber die Drahtzieher der Morddelikte kalkulieren mit diesem Zynismus, also ist es legitim sich dem Thema auch auf diese Art zu nähern.

3) Strategische Logik ist die Sache der Attentäter nicht.

Apropos zynisches Kalkül: irgendwas in der mittelfristigen Strategie der Attentäter stimmt nicht. Die lehrbuchmäßig eigentlich vorgeschriebene Eskalationsspirale greift nicht. Und das hat nichts mit den zutiefst menschlichen Abstumpfungs/Normalitäts-Gefühlen von Punkt 2 zu tun.

Die Mutter der neuzeitlichen Attentate, 9-11, hatte ein klar nachvollziehbares, symbolisch eindeutiges Ziel: die USA in ihren Machtzentren treffen, Pentagon, Wall Street, bang!

Die Nachfolgeanschläge von Al-Kaida in London und Madrid zielten dann nicht mehr auf Institutionen, sondern auf den Alltag der Menschen, auf den öffentlichen Verkehr, Bahn, Bus, U-Bahn.

Mit den beiden Pariser Attentaten von 2015 verschärfte der Daesh (quasi die 3. Generation) sowohl Tempo als auch Ziel-Präzision. Der Anschlag im Jänner galt der feindlichen, zeichnenden Lügenpresse und einem jüdischen Geschäft, zeigte also klassischen Feindbildern die symbolische Faust. Das machte es allen anderen Nicht-Betroffenen möglich, sich feixend zurückzuziehen. Die Attentate im November konzentrierten sich auf die (dekadente) Freizeitgestaltung der Europäer, auf Fußball und Nachtleben, griff also - in voller Absicht - letztlich jede/n an.

Von der Oldschool-Symbolik, die Angriffe gegen Regierungseinrichtungen oder Machtzentren jeglicher Art abstrahlen, war man also meilenweit entfernt.

Aber genau dorthin kehrt Brüssel heute zurück. Es sind zwar (wie in London oder Madrid) öffentliche Verkehrs-Knotenpunkte, aber es sind solche, die in erster Linie von der EU-Legislative genutzt wird. Angst und Schrecken gegen everyday people wird damit nicht erreicht. Stattdessen bedient man wieder die EU-feindlichen Feixer.
Die Solidarisierung der Europäer, wie sie sich in Je Suis Charlie oder dem nachhaltigen Schock aus dem November manifestierte, so Druck auf die Muslims in Europa ausübte und sie (leichter) in die Arme der Gotteskrieger treiben sollte, greift diesmal auf keiner Stufe.

Strategisch sind das allesamt Rückschritte bar jeder Logik und Stringenz.

Schon im November nach Paris II, kursierte unter Experten eine These, die die ein wenig hektisch wirkende Planung und Ausführung der ungünstige Lage in die sich der selbsternannte islamische Staat manövriert hatte, kaschieren sollte. Seitdem hat sich das vom Daesh kontrollierte Gebiet nicht gerade vergrößert, und zunehmende Syrien-Konferenz-Einigungen und verstärkte Berichte von Kämpfern, die dem Djihad den Rücken kehren, sind dem angestrebten Endsieg nicht zuträglich.

Zudem funktioniert das Erfolgs-Modell IS in großen Teilen (und das ist angesichts der Sozialisation seiner oft europäisch ausgebildeten Vordenker) wie ein Computerspiel: mit permanenten Fortschritten aufs immer nächste Level gelangen, sich dort festsetzen und den nächsten Zwischenschritt anpeilen. Aktuell hängt man, um in diesem Bild zu bleiben, schon deutlich zu lang auf dem derzeitigen Level fest, und fällt inhaltlich auch schon einmal zurück.