Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Schamane und sein Chaos"

Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

21. 3. 2016 - 10:51

Der Schamane und sein Chaos

Mit "Chaosmosis" veröffentlichen Primal Scream ein überwältigendes Album der Vielfältigkeit. Unser Artist of the Week.

FM4 Artist Of The Week

Empfehlungen der FM4 Musikredaktion

Gerade mal 30 Sekunden dauert mein Gespräch mit Primal Scream-Mastermind Bobby Gillespie und schon passiert mir der erste Fauxpas: "Ihr scheint euch als Band besonders für das Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern zu interessieren. Woher kommt dieser Spaß an Kollaborationen?", will ich von ihm wissen.

Schließlich ist "Chaosmosis", das neue große, mittlerweile elfte Studioalbum von Primal Scream nicht nur Heimat für die Stimme von Gillespie, sondern auch Sky Ferreira, die drei Schwestern von Haim und Rachel Zeffira, eine Hälfte des Duos Cat's Eyes. "Das sind keine Kollaborationen, in denen wir Musik mit anderen schreiben", lässt mich Bobby wissen, noch bevor ich meine Frage beenden kann. "Andrew Innes, Björn (von Peter Bjorn and John) und ich haben die Songs geschrieben, aufgenommen und die Sängerinnen als Produktionsentscheidung ins Studio gebracht. Wir sind in kompletter Kontrolle, das möchte ich klar machen."

Bobby Gillespie

Sam Christmas

Die großen 10: Primal Scream-Duette

Von "Funky Jam" bis "Some Velvet Morning".

Die über 30jährige Geschichte von Primal Scream ist voll davon: Gastmusiker, Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, dabei aber auch immer am Zeitgeist und relevant bleibend. Mit Alison Mosshart, Josh Homme und Kate Moss. Kevin Shields, Robert Plant und Lovefoxxx. Und jetzt eben Sky, Rachel und Haim. Die Kalifornierinnen begrüßen uns schon am ersten Lied des Albums, dem Upbeat-Track "Trippin' On Your Love", dem Shoutout in Richtung des legendären "Screamadelica".

Was folgt ist aber kein einfaches Wiederkäuen der alten Erfolge, sondern ein vielfältiges Album von zehn Tracks, das mit seinen 37 Minuten nur leider viel zu kurz ist. Diese musikalische Vielseitigkeit kommt bei Primal Scream wie von selbst: "Das passiert ganz natürlich bei uns. Andrew und ich machen Musik, indem wir mit verschiedenen Instrumenten, Atmosphären und Rhythmen arbeiten. Und irgendwie klingt jeder Track dann anders als die anderen am Album. Die Beatles haben das ja auch gemacht. Ich will uns jetzt nicht mit den Beatles vergleichen, aber wenn du dir das 'White Album' anhörst, dann klingt jeder Track wie von einer anderen Band. Für mich ist das ein natürlicher Weg um Musik zu machen."

Es war schon im Vorfeld klar, dass "Chaosmosis" wieder ein ganz besonderes Primal Scream-Album werden wird. Das demonstrierte schon im Februar "Where The Light Gets In", der erste Vorbote zur Platte. Silhouetten im Blitzlicht, eine Ode an Glam und Psychedelia, voller Elektronik und Rock'n'Roll und schon zu Beginn des Jahres als einer der besten Tracks 2016 feststehend.


Broken love's the only love I know
Hard to make it through this world alone
Lovers become strangers then estranged
End of their affair is death again

"'Where The Light Gets In' ist ein Anti-Liebeslied, das von einem Romantiker geschrieben wurde", sagt Bobby. "Ich wollte von Anfang an ein Duett machen und hatte Sky dabei auch immer im Hinterkopf. Das ist ein Lied geschrieben von einer Person, die oft verletzt worden ist. Die vorsichtig ist, nicht nochmal verletzt zu werden."

Sky Ferreira und Bobby Gillespie

Sam Christmas

Trotz all seiner Brillanz ist "Where The Light Gets In" aber auch gar nicht der hervorstehendste Song auf "Chaosmosis": "When The Blackout Meets The Fallout" heißt der wahnsinnige siebente Track des Albums. Mit gerade einmal 1:48 Minuten Länge ist das Lied eine Noise-Attacke à la Alec Empire, ein überwältigendes, brachiales Stück Musik. Oder wie es Bobby grinsend zusammenfasst: "Yeah, you don't expect it, do ya?"

"Es war an einem dunklen Nachmittag im Winter als wir den Song geschrieben haben. Andrew Innes hatte diesen elektronischen Riff und ich hatte eine Melodie und wusste wie ich das Lied singen wollte. Ein paar Monate später ist mir dann der ganze Song gekommen, da hab ich mich an meine Schreibmaschine gesetzt und alle Lyrics geschrieben."

Bobby Gillespie

Sam Christmas

Chaosmosis Albumcover

Primal Scream

"Chaosmosis" von Primal Scream ist am 18. März erschienen.

Primal Scream ist angekommen, nach all den Jahren: "Wir sind jetzt endlich an dem Punkt, wo wir wie Primal Scream klingen. Es war besonders einfach diese Platte zu machen. Die Musik ist einfach mühelos aus uns heraus geflossen." Das ist die Band, die die Schotten immer sein wollten: Kompromisslos in der individuellen Kreativität, verspielt und unkonventionell im eigenen Sound.

Im Sommer gibt es Primal Scream dann auch wieder live auf Tour zu sehen, ein Termin hierzulande ist noch nicht angekündigt, könnte aber noch folgen. Zurückkommen will Bobby auf jeden Fall, nicht nur nach Österreich, sondern auf die Bühne prinzipiell. Denn dort findet für ihn der Moment statt, wo Musik so richtig zu Magie wird: "Wenn du live spielst, kannst du Leute verzaubern. Du kannst auf der Bühne zu einem Schamanen werden und Menschen an andere Orte transportieren. Musik ist im besten Fall, wenn sie richtig gemacht wird, eine transzendente Experience. Musik hält Menschen am Leben, sie ist unglaublich kraftvoll."

Bobby Gillespie

Sam Christmas

Dieser Respekt vor der Musik ist spürbar auf "Chaosmosis", gleichzeitig ist Primal Scream aber ein Album gelungen, bei dem man hört, dass es Spaß gemacht hat, es aufzunehmen. "Chaosmosis", das ist Primal Scream mit dem ganzen Gewicht der Vergangenheit, den um sich selbst tanzenden Loops, den Effektpedalen und den Streichern, Pads und Orgeln, aber auch eine weitere, gelungene Neuerfindung der Band. Ein vielschichtiges Album, ein überraschendes, überrumpelndes, wahnsinniges Album voller Liebe, Herzblut und kreativem Überfluss.