Erstellt am: 20. 3. 2016 - 12:33 Uhr
Sozialkritik im Glitzercape
"Man hat es nicht immer leicht als Weißer", das muss sich Rapper Macklemore schon mehrfach gedacht haben, auch wenn er es so nie ausgesprochen hat. Kaum eine Figur im amerikanischen HipHop scheidet die Geister mehr als Macklemore alias Ben Haggerty, 32, aus Seattle. Doch was macht der sympathische Junge mit dem blonden Seitenscheitel so falsch, dass all die Kritik über ihn ausgeschüttet wird?
Von verschiedensten Seiten muss sich Macklemore die schamlose Ausbeutung schwarzer (Musik-)Kultur und ihrer Symbole vorwerfen lassen. Er mache sich lustig über HipHop, ziehe ihm die Wurzeln, um sein eigenes Gebiss zu vergolden.
Franz Reiterer
Für viele symbolisieren Macklemore & Ryan Lewis die weißen Hipster, die ihre rosa Cupcake-Läden in den schwarzen Gettos eröffnen; die weißen Privilegienritter, die den Freiheitskampf aus der Armut nicht verstehen würden, wenn sie in Songs wie „Thrift Shop" den Geltungskonsum schwarzer Rapper persiflieren. Natürlich: Manche ihrer Musikvideos wirken, als würde Ben Stiller den neuen Shaft inszenieren.
„Goldfronts? That´s what you get when Wu-Tang raised you“
Am Freitag eröffneten Macklemore und sein Produzent Ryan Lewis in der fast gefüllten Wiener Stadthalle ihr zweites Österreich-Konzert mit dem Song „Light Tunnels“, einer persönlichen Reflexion der Momente vor der Grammy-Verleihung 2014. Damals räumten sie mit ihrem Debütalbum „The Heist“ und ihrer Hit-Single „Thrift Shop“ gleich vier Grammys ab, während Kendrick Lamar, Kanye West und Jay-Z leer ausgingen.
Franz Reiterer
Macklemore hat daraufhin öffentlich erklärt, dass Favorit Kendrick Lamar „beraubt“ worden sei. Nun beschreibt Macklemore ummantelt von Streichquartett, Flügel und Bläsern seine Hassliebe zum Ruhm, die Gratwanderung zwischen Credibility und Sellout, aber auch seine paradoxe Rolle innerhalb dieses Systems. Er kritisiert die hohen Erwartungen des Erfolges, das Auffallen um jeden Preis, gestörten Narzissmus. Untermalt von Bildern mit roten Teppichen, dem Kuss von Britney und Madonna und von Kanye West kommt er zur überraschenden Conclusio: Und wofür das Ganze? „To make sure I’m invited next year, to the same damn party.”
Trotz mancher Widersprüche liefern Macklemore & Lewis den knapp 11.000 Gästen aber genügend Gründe, dass auch sie wiederkommen werden, wenn die nächste Party steigt: Die außerordentliche Bühnenshow spielt auf einer Stage mit drei Hebebühnen, die Musiker und Tänzer hochfährt oder verschluckt.
Macklemore findet auch ohne routinehafte HipHop-Phrasendrescherei den direkten Kontakt zum jungen Publikum, das sein vielseitiges Repertoire aus Comedy, Sozialkritik und Tanzmusik mit viel Lärm goutiert. Zeitweise erreicht das Geschrei der durchschnittlich 20-Jährigen den Schmerzpegel. Macklemore beherrscht den Spagat zwischen Mainstream-Pop und Alternative-Rap ebenso gelenkig wie seine drei Tänzerinnen ihre Choreos.
Vom Underground-MC zum Popstar
Die Golden-Era-HipHop-Heads erfreuen sich schon beim dritten Track an einem dicken DJ Premier-Beat, auf dem Macklemore - live leider ohne dem Feature mit Teacher KRS-One - über Graffiti schwelgt. Während dem Song kritzelt er mit dem Edding eine Karikatur (seiner selbst?) auf ein Flipchart, anschließend verschenkt er das Kunstwerk im Publikum.
Franz Reiterer
Die aktuelle Hitsingle „Downtown“ versucht, den Wildstyle-Old-School-Vibe zu rekonstruieren, in dem die HipHop-Baumeister der frühen Achtzigerjahre Kool Moe Dee, Melle Mel, and Grandmaster Caz von der Leinwand rappen. Was im Video als gescheiterte Broadway-Musical-Inszenierung fehl schlägt, funktioniert live schon besser. Und der Ohrwurm „Dance off“ bringt seine B-Boy-Crew, die Massive Monkees, zum Breaken. Zum Finale des Songs dürfen zwei „Tänzer“ aus dem Publikum zum Battle auf die Bühne, den die tief komprimierte Stimme von Schauspieler Idris Eba ähnlich markant eröffnet wie bei Mortal Kombat.
„Blood in the Streets, no justice, no peace“
Auf dem kürzlich erschienenen Album „This Unruly Mess I've Made“ widmet sich Macklemore auch dem strukturellen Rassismus in den USA und der kulturellen Aneignung schwarzer Kultur durch weiße Musiker. Im Song „White Privileges II“ benennt Macklemore seine offensichtlichen Schuldgefühle als weißer Nutznießer ehrlich wie selten jemand zuvor. „We want to dress like, walk like, talk like, dance like, yet we just stand by. We take all we want from black culture, but will we show up for black lives?“
Auch wenn er mehr Fragen stellt als Antworten zu geben, läuft es einem kalt den Buckel runter, wenn Sängerin Jamila Woods am Ende von der Leinwand haucht: „Your silence is a luxury, HipHop is not a luxury.“
Es sind durchaus anspruchsvolle Themen, die Macklemore seinem jungen Publikum in klarer Sprache zu Gemüte führt. Aber es macht Mut, wenn alle den Chorus zum Song „Same Love“ mitbrüllen, der gleiche Rechte für Homosexuelle einfordert. Oder die junge Generation, die unter dem Generalverdacht des rücksichtslosen Konsums steht, bei „Thrift Shop“ im Chor der Share Economy des Second-Handshops frönt.
„A really, really, really good time“
Die stärksten Momente des Abends liegen zweifellos im puren Entertainment, in Macklemores Talent als charmanter Conferencier, dessen Worte auch in den Songpausen Anklang finden, in der grandiosen Bühnenshow, im Tanz. Auch wenn es kaum zu glauben ist, dass eben jener Kerl, der seiner jungen Tochter gerade noch einen rührenden Song widmete, plötzlich als Captain Karacho mit Achtziger-Jahre-Rod-Stewart-Gedächtnis-Perrücke in silbernem Glitzer-Cape die Bühne entert, um die letzte Viertelstunde die Aufmerksamkeit vom Kopf wieder Richtung Beine zu lenken.
fm4.orf.at/musik
Kritiken, Rezensionen und Musikempfehlungen
Aber auch das ist Macklemore: die Partymaschine, die eine Stunde, 45 Minuten auf Hochtouren läuft; der kostümierte Kasperl, der eine Wasserflasche zwischen seinen Beinen ins Publikum spritzt und Hipstern zeigt, dass sie besser tanzen, wenn sie über sich lachen können; die gute Laune, das unbeschwerte Loslassen. Wer das selbst kann, dem wird sich Macklemores Versprechen erfüllen: „And we danced, and we cried, and we laughed, and had a really really really good time, take my hand, lets have a blast, and remember this moment for the rest of our lives.“