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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

19. 3. 2016 - 13:00

Rural Gardening

Nichts mit hip, öko oder interkulturell. Das neue Glück in der Hauptstadt der Laubenpieper.

Es ist wieder soweit: Am Sonntag ist offizieller Frühlingsanfang.
Und auch der winterliche grau-trübe Berliner Himmel und die einstelligen Temperaturen werden uns nicht aufhalten, denn für uns Laubenpieper heißt das: Es geht wieder los!

Laubenpieper nennt man in Berlin etwas spöttisch die Besitzer eines Kleingartens oder einer Laube, eines Schrebergartens, einer Parzelle – also eines gepachteten Grundstücks in einer Gartenkolonie, die einem Kleingärtnerverein untersteht. Der Laubenpieper ist als kleinbürgerlicher Spießer verschrien, als Vereinsmeier mit Hang zu Gartenzwergen und Wachstischdecken.

Und Berlin ist die Hauptstadt der Laubenpieper. Schon 1833 gab es hier die ersten „Armengärten“ am Rande der Fabriksiedlungen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Berliner Innenstadt in Schutt und Asche lag, wurden viele Gartenhäuschen zum ständigen Wohnsitz umgebaut und auch heute noch stehen in vielen Gartenkolonien richtige Steinhäuser, in denen die Leute zumindest im Sommer durchgehend wohnen.

Von den Laubenpiepern zu Urban Gardeners

Etwa 70.000 Kleingärten hat Berlin, wegen des Wohnungsmangels in der wachsenden Stadt müssen aber jedes Jahr ein paar Kolonien im innerstädtischen Raum aufgeben - sie werden zu Bauland. Dieser Prozess hat auch die sogenannten „Wutgärtner“ hervorgebracht, Kleingärtner, die heroisch mit allen Mitteln um den Erhalt ihrer Parzelle kämpfen, meistens vergebens.

Kleingarten

Christiane Rösinger

Neben der alten Tradition der Laubenpieper entwickelt sich seit ein paar Jahren schon der Trendsport „Urban Gardening“. Wer sich aber nicht damit begnügen will, beim Guerilla Gardening Samenbomben auf Verkehrsinseln zu werfen oder den Hinterhof zu begrünen, der braucht natürlich auch seinen hippen Kleingarten, um dort mit anderen Ökofamilien oder hippen Kleingärtnern im Grünen abzuhängen.

Und außerdem gibt es in Berlin jede Menge Nachbarschaftsgärten oder „interkulturelle Gärten“ in denen Migranten und alteingesessene Berliner zusammen gärtnern.

Sehnsucht nach einem Garten

Nichts von alldem stand mir im Sinn, als ich mich vor einem Jahr auf die Suche nach einem Kleingarten machte. Nach 30 Jahren im dicht besiedelten Kreuzberg war die Sehnsucht nach so einem Garten immer mehr gewachsen, ich hatte bemerkt, dass mir das Balkon-Bepflanzen immer mehr Freude machte, das ewige mit hundert anderen Berlinerinnen durch die immer gleichen Parks latschen dagegen immer weniger.

Ein Kleingarten kostet etwa 500 Euro im Jahr - ist also durchaus erschwinglich - aber seit ganz Berlin die Freude am Gärtnern entdeckt hat, wird die Abfindung für die Hütte, die auf solch einen Grundstück steht, immer höher. Tausende von Euro werden da verlangt. Ich hatte Glück und entdeckte bei Ebay eine Anzeige, die gerade zwei Minuten alt war- ein Kleingarten im Berliner Norden, am Stadtrand wurde frei, die Abfindung war gerade noch erschwinglich.

Einfahrt zu einer Kleingartensiedlung

Christiane Rösinger

Was für ein Glück ich hatte, wurde mir schon bei der Anfahrt zur Besichtigung bewusst. Zuerst landete ich in der falschen Kolonie, Häuschen neben Häuschen, dicht an dicht. Die argwöhnisch dreinblickenden Besitzer neben ihren Deutschlandflaggen warfen mir feindselige Blicke über die Jägerzäune zu, so dass ich schon umkehren und die Gartenidee begraben wollte.

Aber dann fand ich doch die richtige Kolonie - nur ein paar Häuschen standen auf freiem Feld - und die freie Parzelle war sogar an der Ecke und hatte nur einen Nachbarn!

Von nun an änderte sich mein Leben.

Nachdem sämtliche bürokratischen Hürden genommen waren – der Pachtvertrag mit einem Kleingartenverein ist eine hochkomplizierte und langwierige Angelegenheit, es müssen Fristen gewahrt, Bezirkshierarchien beachtet, Abschätzer bestellt und Abschätzprotokolle angefertigt werden – stand ich als vollwertiges Mitglied des Kleingartenvereins auf meiner Parzelle.

Als Bauerntochter hatte ich mir ja keinerlei Illusionen über den Arbeitsaufwand beim Hobbygärtnern gemacht. Aber ich hatte übersehen, dass man in der Landwirtschaft ja mit Maschinen arbeitet; der Pflug ist längst erfunden, es gibt Traktoren und Zusatzgeräte mit denen man eggen, zackern, pflügen und mulchen kann. Im Garten hingegen gibt es nur Schaufel, Harke, Rechen und Spaten.

rasen-mit-Schneeglöckchen

Christiane Rösinger

Meine Vorgänger hatten es sich recht einfach gemacht, hatten alle Sträucher und Hecken wuchern lassen und überall Rasen gepflanzt. Und hatten dabei – größter Frevel nach dem Bundeskleingartengesetz BkleinG – die Vorschrift: Ein Drittel Nutzpflanzen, ein Drittel Blumen, ein Drittel Erholungsfläche missachtet.

Misstrauische Nachbarn

Deshalb waren sie im Verein auch nicht sehr beliebt gewesen – eine Einschätzung die sich zunächst auf mich als Nachmieterin übertrug. Viele sahen mich zuerst mit bösen Gesichtern an - man könnte sich einige Nachbarn gut bei Pegida oder der AFD vorstellen, sie sahen in mir eine „Fremde, die Westlerin, wenn nicht sogar Ausländerin.
Als ich mich bei den direkten Nachbarn vorstellte, klärte man mich auf, dass so ein Garten viel Arbeit wäre und fragte wie ich das "als Frau allein“ denn schaffen wolle.

Nachdem ich aber wie eine Verrückte den Rasen abgetragen, umgegraben, Beete und Rosenrabatte angelegt, Rittersporn und Dahlien und selbstvorgezogene Tomaten gepflanzt und sogar die Hecke auf die vorschriftsmässigen 1,30 Meter gestutzt hatte, wurde ich langsam akzeptiert.

Der Durchbruch kam, als den Nachbarn klar wurde, dass ich nicht zu der Clique der Vormieter, angeblich alles Ärzte und Rechtsanwälte, gehörte. Die waren nämlich nur zum Feiern in den Garten gekommen waren und hatten nichts angepflanzt.

Und Kleingärten wären schließlich schon historisch gesehen für Arbeiter und nicht für Besserverdienende da. In diesem Punkt konnte ich sie beruhigen und pflichtete Ihnen bei. Als ich dann aber auf Anfrage meinen Beruf preis gab - Musikerin und Autorin - war das Vertrauen gleich wieder entschwunden. Trotzdem reichte mir die Nachbarin nun ab und zu ein paar Setzlinge und Ableger über den Zaun.

Ein absolut hipnessfreier Raum

Was sich in der Erzählung ein beklemmend anhören mag, wurde mir zum großen Segen. Meine Parzelle in Blankenfelde hatte sich als das exakte Gegenteil von Urban Gardening erwiesen. An dem Garten war nichts hip, öko oder interkulturell. Es war old school, rural gardening.

Welches Glück ich hatte, merkte ich beim ersten Spaziergang durch die Felder. Ein absolut hipnessfreier Raum! Keine exaltierten Menschen in coolen Klamotten, keine Bärte, kein Männerdutt, niemand der dieses schreckliche Awesome- Amerikanisch spricht und laut über neu entdeckte „great art spaces“ Auskunft gibt oder oder wie „very moving“ irgendwas war.

Nur biedere Nord-BerlinerInnen in Funktionsjacken, die mit ihren Hunden spazieren gehen, Pärchen mit Partnerlook – Fahrrädern, Pferdemädchen und Reiter!

Und wenn jetzt die Sonntagsdepression heran kriecht, muss ich nicht mehr mit all den Deppen durch den Görlitzer Park latschen und neben ihnen in den überfüllten Cafés sitzen – nein, dann heißt es raus auf die Parzelle. Irgendwas abzuschneiden oder rauszureißen gibt es immer. Dann mit dem Rad über die Feldwege, im Sommer zum See und abends im untergehenden Sonnenlicht vor der Hütte sitzen. Wie so oft, wenn man begeistert ist, fragt man sich dann : Wie habe ich es vorher nur ohne den Garten ausgehalten?

Mit dem Frühlingsanfang und steigenden Temperaturen geht die schöne Gartensaison wieder los. Alles wird gut werden.