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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

18. 3. 2016 - 15:14

"Geparkt" im Krisenland

Nach der Schließung des Balkankorridors sind tausende Schutzsuchende in riesigen Zeltstädten, Lagerhallen und Sportstadien untergebracht. Die Asylbehörde ist überfordert und besonders afghanische Flüchtlinge fürchten eine Rückschiebung.

Während im Grenzort Idomeni weiterhin tausende Schutzsuchende im Schlamm warten, in der Hoffnung, dass sich nach dem EU-Gipfel die Grenzen wieder öffnen, haben auch viele die Hoffnung schon aufgeben und versuchen, entweder in Griechenland Asyl zu beantragen oder am Umsiedlungsprogramm teilzunehmen. Viele versuchen Zugang zur Asylbehörde in Athen zu bekommen, um einen solchen Antrag zu stellen.

Vor dem Tor erklärt eine Beamtin syrischen Flüchtlingen, wie sie einen Termin zur Registrierung für ein Umsiedlungsprogramm bekommen können. Maria Stavropoulou, die Leiterin der Asylbehörde, sitzt skeptisch hinter ihrem Bürotisch. Täglich häufen sich die Asylanträge.

Die Behörde ist überfordert, denn sie verfügt gerade mal über 261 Beamte. Voriges Jahr wurden 13.197 Anträge gestellt - fast 40 Prozent mehr als im Jahr 2014.

Wegen der Sparpolitik wurden aber nur wenige neue Beamte eingestellt. Bis zum Ende des Jahres hofft Stavropoulou, dass sie über die doppelte Anzahl von Beamten verfügt, um mit der stark erhöhten Anzahl der Anträge auf Asyl, Familienzusammenführung und Umsiedlung zurechtzukommen. “Es geht nicht nur um die Einstellung von Beamten. Man muss sie ausbilden, Inventar besorgen, mehr Raum finden, um dieses Personal unterzubringen. Dies kann nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen. Meine größte Sorge ist, dass der gesamte Flüchtlingsschutz in Europa zusammenbrechen könnte“, sagt sie.

Piräus

APA/AFP/PANAYOTIS TZAMAROS

Essensausgabe-Stelle des Roten Kreuz in Piräus

Wegen des Personalmangels kann in den meisten Fällen, und insbesondere für arabisch sprechende Flüchtlinge, ein Termin nur per Skype ausmacht werden. Rafa aus Damaskus ist zusammen mit ihrem Sohn gekommen, um sich über das Umsiedlungsprogramm zu informieren.

Bis jetzt waren die Ergebnisse dieses Programms mager. Seit November wurden weniger als 570 Personen in andere EU-Länder transferiert. Gerade einmal 2.256 Plätze sind aktuell offen, obwohl die EU-Länder versprochen hatten, bis 2017 insgesamt 66.400 Schutzsuchende aus Griechenland zu übernehmen.

Dieses Programm ist die einzige Hoffnung für Rafa und ihren Sohn, sagt sie. Zehn Tage lang hat sie vergebens in Idomeni auf die Öffnung der Grenze gewartet. Sie ist eben per Bus nach Athen gekommen. “Wir haben sehr gelitten dort. Ich bin krank geworden. Und es gab so viele Kinder, die ständig nur geweint haben. Ich bin hier her gekommen mit der Hoffnung auf eine andere Chance. Ich war hoffnungslos. Was sollen wir machen?“ Rafa weiß nicht, wo sie übernachten sollen.

Mehrere syrische Flüchtlinge stehen vor dem Tor der Asylbehörde. Auch sie wissen nicht wohin. Eine Beamtin drückt ihnen ein Infoblatt in die Hand, auf dem steht, an welche Hilfsorganisationen sie sich wenden können. Für die Übernachtung müssen sie sich direkt und selbständig an ein Lager in Attika wenden.

Seit der Schließung des Balkankorridors sitzen mehr als 46.000 Schutzsuchende in Griechenland fest. Sie werden in eine der riesigen Zeltstädte, Lagerhallen oder Sportstadien gebracht, die in der Mehrheit außerhalb und abseits der griechischen Gesellschaft liegen. Diese Massenlager, die vom Militär und der Polizei verwaltet und bewacht werden, sollen nun in permanente Unterkünfte umgewandelt werden.

Viele Menschen harren nur weiterhin aus, weil sie immer noch auf die Wiederöffnung der Grenzen hoffen. Minimal mit Essen, einem Zelt, Toiletten und Duschen versorgt, fehlt auch jede Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Menschengruppen; es mangelt gravierend an Informationen zu Asylverfahren, der Möglichkeit von Familienzusammenführung und dem Umsiedlungsprogramm, aber auch zu den Rechten und Möglichkeiten besonders verletzlicher Menschen.

Zeltstadt in Athen

APA/AFP/PANAYOTIS TZAMAROS

Zeltstadt in Piräus

Vor allem die afghanischen Flüchtlinge, die in den Lagern ausharren, fürchten im Rahmen möglicher Beschlüsse in Folge des EU-Gipfels eine Rückführung in die Türkei. Bei ihrer Registrierung nach ihrer Ankunft in meist seeuntauglichen Flüchtlingsbooten erhalten Afghanen eine Abschiebeorder: 30 Tage dürfen sie in Griechenland bleiben, wenn sie nach Ablauf dieser Duldung das Land nicht selbständig verlassen haben, können sie verhaftet werden.

Vor allem Flüchtlinge aus Ländern, die an dem Umsiedlungsprogram nicht teilnehmen wie z.B die Afghanen haben Angst. "Das ist zurzeit unser größtes Problem! Unsere größte Forderung an die griechische Regierung ist diese Duldung zu verlängern, wenn die Menschen nun ja nicht weiter kommen und in Griechenland bleiben müssen", sagt Mustafa, ein 28-jähriger Familienvater aus Afghanistan. Er schläft mit seiner Frau und seine beiden Kinder im Lager Schisto, ein paar Kilometer weit weg vom Athener Zentrum, in einer ehemaligen Kaserne, die das Militär innerhalb von 11 Tagen in ein Zeltlager verwandelte.

Das Lager ist überfüllt. Ungefähr 2,000 Flüchtlinge sind hier in Zelten untergebracht, auch in großen Zelten, die anfangs als Gemeinschafts-Räume angeplant waren, jedoch seit der Schließung der Grenze als Notunterkunft dienen. Die Flüchtlinge beschweren sich über Wasser, das bei Regen in ihre Zelte kommt, und darüber, dass sie erfolglos versuchen mit mehreren Decken ihre Kinder zu wärmen, da es keine Heizung gibt.

"Wir hatten in unserer Heimat alles außer Sicherheit. Jetzt leben wir in Zelten, unsere Kinder frieren unter sieben Decken, das Regenwasser fließt rein. Bald wird es wärmer und mehr Krankheiten werden grassieren. Aber das eigentliche Problem ist, wir haben hier keinen Schutz, kein Leben und keine Perspektive. Wir werden hier bloß aufbewahrt, wie tote Sardinen in einer Büchse", sagt eine afghanische Mutter aus Kandahar.

Anfang der Woche haben die EU-Staaten einen Nothilfe-Plan zur Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland aufgestellt und ein Hilfspaket von bis zu 700 Millionen Euro gebilligt, dass einen Zeitraum bis 2018 abdecken soll. Für dieses Jahr sind 300 Millionen Euro vorgesehen, für die kommenden beiden Jahren dann jeweils 200 Millionen.

Nahrungsmittel, Wasser, Unterkünfte und ärztliche Versorgung sollen mit den Geldern finanziert werden, um den Lebenserhalt der Flüchtlinge zu sichern. Doch damit wird nur einer Verschärfung der humanitären Krise entgegen gewirkt, während das Asylsystem als Ganzes zusammenbricht, und die Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlinge weder auf eine soziale Unterstützung durch den Staat hoffen können, noch auf irgendwelche Integrationsmaßnahmen.

Piräus

APA/AFP/PANAYOTIS TZAMAROS

Europa verhindert lediglich eine Hungersnot und Obdachlosigkeit Tausender Kriegsflüchtlinge auf dem eigenen Kontinent. Eine Zukunft für die Menschen im Exil schafft Europa damit aber nicht. "Keiner interessiert sich dafür, was mit uns passieren wird. Europa denkt nur ans Geld", sagt Ragda, eine 23-jährige Frau aus dem Irak, die vor einer Wartehalle im Hafen von Piräus schläft.

Sie weiß nicht, wie es für sie weitergehen soll. Vor einer Woche ist sie zusammen mit einer Freundin und deren Kindern von der griechisch-mazedonischen Grenze in Richtung Athen umgekehrt. Beide Frauen wollen so schnell wie möglich nach Deutschland. Seit mehreren Tagen harren in Piräus etwa 4.000 Flüchtlinge aus. Vielen von ihnen wurde gar nicht erst die Weiterfahrt an die Grenze erlaubt, einige sind nach einem erfolgslosen Versuch nach Mazedonien zu gelangen, zurückgekommen und andere, die man in neue Massenlager gefahren hatte, kehrten aufgrund der untragbaren Lebensbedingungen dort zurück in den Hafen von Piräus. Sie schlafen auf den Böden der Wartehallen dicht aneinander und zugedeckt mit Decken, die sie von Hilfsorganisationen bekommen haben.

Die meisten konnten seit Wochen nicht mehr duschen. Sie wissen nicht, was mit ihnen passieren wird oder was ihre Optionen sind. An den Wänden kleben nur Blätter mit Kontakten zur griechischen Asylbehörde und einigen Hilfsorganisationen. "Wir sind erschöpft, zittern vor Kälte und sind verzweifelt", sagt Ragda.