Erstellt am: 19. 3. 2016 - 06:02 Uhr
"Ich bin noch immer dieselbe"
"Ich glaube an Bewegung. Ich glaube an diese unbekümmerte Kugel, die Welt. Ich glaube an Mitternacht und an die Mittagsstunde. Aber woran glaube ich noch? Manchmal an alles. Manchmal an nichts."
Patti Smith ist Ende letztes Jahr 69 Jahre alt geworden. Als sie ebenfalls im letzten Jahr etwa in der Arena in Wien ein Open-Air-Konzert spielte, war die Begeisterung, die die Künstlerin, die Figur und der Mensch Patti Smith auslöst, wieder einmal überwältigend. Alles was Patti Smith tut oder sagt, wir hängen an ihren Lippen, nicht nur die Älteren unter uns, sondern auch die etwas Spätergeborenen. Mit dem Buch "Just Kids" legte die in Chicago geborene New Yorkerin vor knapp über vier Jahren ein autobiografisches Buch über ihre Freundschaft zum verstorbenen US-Fotokünstler Richard Mapplethorpe vor. Mit "M Train" gibt es nun wieder ein Buch voller interessanter und berührender Geschichten aus dem wahrlich bewegten Leben der Patti Smith.
"Ich spürte, wie sich der Stoff meiner Latzhose über meinen vorstehenden Knien spannte. Ich bin noch immer dieselbe, dachte ich, mit all meinen Fehlern, den selben alten knochigen Knien."
Die knochigen Knie hatte Patti Smith schon als Kind, und zurück in ihre Kindheit geht es, wie schon in "Just Kids", nun auch in "M Train". Von ihrem Vater erzählt Patti Smith - einem Schichtarbeiter in der Fabrik, der, wie sie schreibt aber eine mathematische Neugier hatte, und der "den Himmel ausloten wollte, der nach Mustern suchte und einer Pforte der Wahrscheinlichkeit, die sich dem Sinn des Lebens öffnet".
Kiepenheuer&Witsch
Mr Smith beklagte immer wieder Grausamkeit und Schwäche der materialistischen Gesellschaft. Patti Smith bewunderte den Vater, aus einer Ferne gewissermaßen, denn "er schien unserem Alltagsleben traumverloren entfremdet."
"Er schlief tagsüber und ging zur Arbeit, während wir in der Schule waren, und wenn er spätabends zurückkam, schliefen wir schon. Am Wochenende durften wir ihn nicht stören, denn er hatte wenig Zeit für sich."
Der Buchtitel "M Train" kommt von der New Yorker U-Bahn-Linie M, die vom Stadtteil Queens nach Brooklyn fährt und dann im Süden von Manhattan endet. "M Train" ist auch ein Buch über New York, aber Patti Smiths hält sich auch etwa in London auf oder an den Gräbern klassischer europäischer Schriftsteller.
Fröhliche Melancholie
Dass Patti Smith aber nicht nur Arthur Rimbaud verehrt, sondern etwa auch den japanischen Literaturgiganten Haruki Murikami, und dass sie filmbegeistert ist und auch Krimiserien im Fernsehen schaut, erfahren wir aus erster Hand in ihrem Buch "M Train - Erinnerungen", aber etwa auch, dass sie viel Kaffee trinkt, sehr viel Kaffee.
"Ich bekam eine Nachricht von Zak. Sein Strandcafé war eröffnet. Kaffee umsonst soviel ich wollte. Ich freute mich für ihn, zögerte aber, irgendwohin zu gehen, denn es war Memorial-Day-Wochenende. Die Stadt war verlassen, so wie ich es mag. Und am Sonntag lief eine neue Folge von 'The Killing'."
Nicht alles was mit Patti Smith zu tun hat, muss, trotz, eh klar, emotionaler Dichte, Würde etc, also eine gewisse Schwere an sich haben. Da spürt man immer wieder auch ein Schmunzeln in ihrem Gesicht. Fröhliche Melancholie. Ich wollte einfach schauen, wohin sich das Buch entwickelt, wohin es mich trägt, meint Patti Smith in Interviews zu "M Train"; vorallem nachdem es doch ziemlich anstrengend war, "Just Kids" fertigzustellen, wie Patti Smith heute sagt: "It had so much responsibility to Robert Mapplethorpe, to New York City. It was a period piece to the people living and dead who passed through the book. So this time I just wanted to see where I went." Und, so findet Patti Smith, man erfährt in "M Train" eigentlich besser, wer Patti Smith ist, als in "Just Kids".
"Ich kaufte eine Erstausgabe von Sylvia Plaths 'Winter Trees' und ein Exemplar von Ibsens Stücken. Anschließend las ich vor dem Kamin in der Hotelbibliothek bis in den späten Nachmittag. Es war warm und ich nickte ein, als ein Mann im Tweedmantel mich an die Schulter tippte und fragte, ob ich die Journalistin sei, die er treffen sollte."
"M Train" von Patti Smith ist tatsächlich, wie der Klappentext im Buch verspricht: "Eine wunderschöne Meditation über kreatives Schaffen und die hohe Kunst der Kontemplation".