Erstellt am: 17. 3. 2016 - 15:28 Uhr
Putins Syrien-Coup in Russlands Staatsmedien
Der Coup Russlands vom Montag, aus heiterem Himmel einen Truppenabzug aus Syrien zu verkünden, war und ist nicht nur politisch-militärisch, sondern auch medial akkordiert. Präsident Wladimir Putin, der während des fünfmonatigen Kampfeinsatzes im Auslandskanal RT kaum, im Inlandskanal Rossija 24 weit öfter zu sehen war, kehrte am Montag auch in RT zurück. Mit ihm kamen auch die russischen Kampfjets auf die TV-Schirme zurück, die ebenfalls nur am Anfang der Militärkampagne flächendeckend gezeigt worden waren.
Die Analyse auf ORF.at
Der russische Präsident Wladimir Putin hat vor allem eines geschafft, nämlich sich selbst als geopolitischer Akteur wieder ins Spiel zu bringen.
Nach der Liveausstrahlung von Putins Ankündigung in RT nahmen die Berichte zeitweilig den Charakter einer Verkaufsshow für Jagdjets, Bomber und andere Waffen an. Während im russischsprachigen Rossija 24 die heimkehrenden Piloten noch am Mittwoch gefeiert wurden, war das Thema "Abzug" in RT da längst aus dem Nachrichtenblock gerutscht. Ein Quervergleich der Berichte in RT und Rossija 24 mit Meldungen der gleichfalls staatlichen Nachrichtenagentur TASS zeigt, wie die zentrale Filterung der Nachrichten in den russischen Staatsmedien funktioniert.
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Rossija 24
Wie die Berichterstattung auseinandergeht
Aktuell dazu auf FM4
Englischsprachiger Bericht über den Start der Syriengespräche in Genf und den Verhandlungsansatz des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura.
Montag und Dienstag wurden die Bilder als Verkaufsshow genützt, sowohl Rossija 24 wie auch RT blenden seit Monaten regelmäßig technische Factsheets mit maximalen Flughöhen, Geschwindigkeit und Bewaffnung zu Aufnahmen russischer Kampfjets und Bomber ein. Interessant ist dabei, dass die Berichterstattung dieser beiden staatlichen Kanäle auseinandergeht. In den Bildsequenzen von RT tauchen Waffen, aber auch Präsident Putin immer nur über sehr kurze Zeitspannen auf, in denen intensiv berichtet wird. Dann verschwindet beides wieder fast völlig von der Bildfläche. In die "heavy Rotation"-Schleifen, das Stakkato der Trailer, nimmt RT Sequenzen mit Putin oder Kampfjets offenbar prinzipiell nicht auf.
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RT
Anfang Februar verschwand der Syrien-Krieg zwischendurch aus den RT-News, dafür dominierten Neonazis, Kindesmissbrauch und sexuelle Belästigung von Europäerinnen das Nachrichtengeschehen.
RT-Berichte über den Syrienkrieg erfolgen nun wieder stets aus der Perspektive des Nicht-Involviertseins, als wären die Reporter nicht Angestellte desselben Staats, dessen Bomber vor Ort in Syrien 900 Kampfeinsätze geflogen waren. Bereits am Mittwoch dominierte nicht mehr Syrien, sondern das brutale Vorgehen der türkischen Streitkräfte gegen die Kurden im Südosten der Türkei den Nachrichtenblock von RT. Am Donnerstag erschien Putin wieder in der offiziellen Abschlusszeremonie zum Syrieneinsatz der Luftwaffe und mit ihm kamen Bilder von den Flugzeugen zurück. Im Bericht hieß es nebenbei, die Luftwaffe habe in Syrien auch Tests mit neuen Waffen durchgeführt.
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Rossija 24
Zwei Staatsbesuche, nur ein Bericht
Während der Abzug am Dienstag lief, traf der marokkanische Königs Mohammed zu Staatsbesuch bei Putin ein. RT und Rossija 24 brachten Bildberichte über den Staatsbesuch, bei dem neben einem zivilen Investitionsabkommen auch Verträge über eine strategische Allianz abgeschlossen wurden.Wie das Wording der TASS-Meldung über "gegenseitigen Schutz geheimer Daten im militärischen und technisch-militärischem Gebiet" jedoch verrät, wurde ein Begleitvertrag zu einer nicht erwähnten Lieferung neuer Waffensysteme abgeschlossen. Es handelt sich um ein sogenanntes "Non Disclosure Agreement", das die Weitergabe technischer Details der Lieferung an Dritte untersagt, wobei in diesem Fall recht klar ist, wer da Verkäufer und wer Kunde ist.
Russland musste eingreifen, weil die USA in Syrien völlig plan- und erfolglos agieren - dieses Narrativ wurde zu Beginn der russischen Luftangriffe im Oktober ausgegeben.
Was weder RT noch Rossija 24 berichteten war gleich der zweite Staatsbesuch in Moskau binnen zweier Tage. Nach König Mohammed dem Sechsten von Marokko empfing Wladimir Putin den Staatspräsidenten von Israel, Reuben Rivlin. Das berichtete nur die Nachrichtenagentur TASS und da auch nur sehr allgemein über "zahlreiche offene Fragen" zwischen den beiden Staaten. Die Fragen selbst thematisierten vor allem israelische Medien, nämlich die Sorgen Israels über stärkeren Einfluss der Hisbollah und des Iran in Syrien, sowie den geplanten Verkauf moderner russischer SS-300 Luftabwehrsysteme an den Iran.
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RT
Die Türkei wird 5,9 Milliarden Dollar für neue Waffen ausgeben, der Iran 8 Milliarden, Saudi-Arabien deckte sich in den letzten drei Monaten um Hunderte Millionen mit Waffen ein. Der Waffenhandel boomt im Nahen Osten.
230 neue Jets, 158 Helikopter 2015
Die russiche Waffenproduktion läuft nämlich auf vollen Touren. Am Freitag hatte TASS die Zahlen der 2015 neu in den Dienst der russischen Luftwaffe gestellten Gerätschaften gemeldet. Demnach wurden "mehr als 230 neue und reparierte Jets" und "158 Helikopter, 191 Radaranlagen, vier große Luftabwehrsysteme vom Typ SS-400 und neun Trägerraketen bzw. Satelliten" angeschafft. Letztere wurden benötigt, weil 2015 auch mit "sieben Trägerraketen acht militärische Flugkörper" verschossen wurden.
Während über das von Russland in Syrien eingesetzte Luftwaffengerät viele Details bekannt sind, ist es noch immer rästelhaft, wie eine so enorme Truppenbewegung bis zum Schluss geheim gehalten werden konnten. So wachen zum Beispiel die "National Geospatial Intelligence Agency" und das "National Reconnaissance Office" der USA mit den Argusaugen der Spionagesatelliten über die Krisenzonen im Nahen Osten. Obendrein wimmelt es rund um Syrien von NATO-Radars, Schiffen und Flugzeugen zur elektronischen Funkaufklärung, die jede größere Abweichung vom regulären Funkbetrieb aller in Syrien aktiven Streitkräfte registrieren.
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RT
Planung von ziemlich langer Hand
Laut Wikipedia gehören neben RT und Rossija 24 auch die Nachrichtenagenur Ria Novosti, fünf landesweite TV-Kanäle und Radios, sowie 80 regionale TV-Sender zur All-Russia State Television and Radio Broadcasting Company VGRTK.
Es ist zwar nicht bekannt, ob und wann der militärisch-elektronische Komplex der USA über den bevorstehenden Abzug Bescheid wusste, es wurde jedenfalls nichts unternommen, um diesen medial-militärischen Coup zu konterkarieren. Es spricht sehr viel dafür, dass dieser Abzug von ziemlich langer Hand vorbereitet wurde. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe am Montag fiel nämlich nicht nur mit dem Start der Syrien-Verhandlungen in Genf am Montag, sondern auch mit dem Jahrestag des zivilen Aufstands in Syrien zusammen, der im März 2011 begonnen hatte und bald in einen Bürgerkrieg umgeschlagen war. Mit dem nunmehrigen Blitzabzug der russischen Steitkräfte brachte sich Putin nicht nur als geopolitischer Akteur ins Spiel zurück, sondern schaffte es auch, die gegnerischen Dienste und Politiker des Westens zu düpieren.
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Rossija 24
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Der Besuch von Staatspräsident Reuben Rivlin am Mittwoch und jener von König Mohammed tags davor, sowie der Tass-Bericht über Neuanschaffungen der Luftwaffe.
Während Putin im internationalen Nachrichtenkanal RT stets blitzartig und selten angekündigt auftaucht, um ebensoschnell wieder zu verschwinden, ist er im russischsprachigen Nachrichtenkanal Rossija 24, der zum selben Staatsmedienkomplex gehört, fast flächendeckend präsent. Dort ist Putin kaum selbst im Bild, sondern seine Anweisungen, die als Überschriften über den Bildberichten permanent rotieren. Die standardisierte gelbe "Titelzeile" in Rossija 24 ist wenigstens derzeit ausschließlich für Putins Anweisungen reserviert. Die Aussage ist klar: Was immer vom politischen Geschehen im Inland gezeigt wird, das passiert auf Anweisung des Präsidenten.
Fazit und Ausblick
Weitgehend unbemerkt blieben die gemeinsamen Manöver Russlands mit 50.000 Mann Bodentruppen an der Grenze zu Afghanistan, die parallel dazu liefen. Am Donnerstag Nachmittag gab die kurdische Administration in Nordsyrien bekannt, man habe sich mit den arabischen Bewohnern des von den Kurden "Rojava" genannten Nordteil Syriens auf ein "föderales System" geeinigt, das man auch für das gesamte Land vorschlage. Genau das will die Türkei mit aller Macht verhindern, aber auch das mit der Türkei verfeindete Assad-Regime. Ohne eine rasche Einigung in Genf sind damit ganz neue Konflikte, die mit Waffen ausgetragen werden, gewissermaßen programmiert.