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Esther Csapo

Moderiert FM4 Connected und manchmal die Charts

22. 3. 2016 - 08:17

"Ich bereue, Mutter geworden zu sein"

Mütter sind per Definitionem glücklich. Gehen in ihrer Mutterrolle auf. Was aber, wenn man das Mutterwerden bereut? Damit beschäftigen sich aktuell zwei Bücher.

"Ich liebe mein Kind über alles. Das hat nichts mit der Liebe zu meiner Kleinen zu tun, dass ich meine Mutterschaft bereue", erzählt Sarah Fischer im FM4-Interview. Für sie sind es die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Erwartungen an Frauen, wenn sie Mama werden, die sie unglücklich machen. Deswegen hat die Journalistin das Buch "Die Mutterglücklüge" geschrieben.

Mutter und Baby

CC BY 2.0 Danielle & Lilliyan Flickr via Wikicommons

Generisches Bild von Mutterglück, aber was, wenn das nicht so aussieht? CC BY 2.0 Danielle & Lilliyan Flickr via Wikicommons

Die Hashtag-Debatte

Ähnlich wie Sarah Fischer geht es scheinbar mehreren Frauen in Deutschland. Vor einem Jahr haben sie unter dem Hashtag #regrettingmotherhood ihre Erfahrungen und ihren Frust mit der (Internet)-Welt geteilt. Und dafür Häme und Hass geerntet, mussten sich Egoismus und Selbstmitleid vorwerfen lassen.

Losgetreten hat die Diskussion um die bereuenden Mütter im deutschen Sprachraum die Journalistin Esther Göbel. Sie hat in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über eine israelische Studie veröffentlicht. In dieser Studie gaben 23 Frauen an, dass sie, wenn sie die Zeit zurückdrehen, und sich mit ihrem heutigen Wissen noch einmal für oder gegen Kinder entscheiden könnten, sich nicht wieder für Kinder entscheiden würden.

Buchcover "Die Falsche Wahl" - rosa mit Schrift

Droemer

"Die falsche Wahl - Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen" ist im Droemer Verlag erschienen

Göbels Artikel hat große Aufregung verursacht: hunderttausende Klicks innerhalb weniger Tage und besagter Trend-Hashtag #regrettingmotherhood. In ihrem Buch "Die falsche Wahl" geht Esther Göbel der Frage nach, warum das Thema so emotional diskutiert wurde und wird. Sie reist nach Israel, spricht mit Müttern in Deutschland und geht dem Mythos des Mutter- und Elternglücks nach. Irmi Wutscher hat Esther Göbels Buch gelesen und fasst drei zentrale Thesen zusammen:

  • Vereinbarkeit ist ein Problem, aber es geht nicht nur darum

Viele BeobachterInnen sehen in der "Bereuende Mütter"-Debatte eine extremere Form der Vereinbarkeitsdebatte. Also dass Frauen mit Kindern die Ansprüche, Arbeit und Familie und Beziehung unter einen Hut zu bekommen, gar nicht schaffen können. Und ja, darum geht es in dieser Diskussion auch, stellt Esther Göbel fest, aber es kommt auch ein normativer Aspekt dazu. Soll heißen: Frauen kämpfen nicht nur gegen die realen Verhältnisse an sondern auch gegen ein irreales Mutterbild.

  • Bereuen ist ein individuelles Gefühl - entsteht aber aus einem gesamtgesellschaftlichen Kontext

23 Frauen sind es in der Ausgangsstudie, die ihre Mutterschaft bereuen. Den Frauen, die ihre Gedanken auf Twitter teilen, wurde vorgeworfen, sie machten ein individuelles Gefühl zum Politikum. Aber es geht bei der Debatte nicht um persönliche Probleme einzelner Frauen mit ihren Kindern, sagt Esther Göbel. Sondern es wird eine Norm hinterfragt. Und das ist scheinbar unerhört, wenn man die Wut und die Aggression ansieht, die diese Diskussion hervorgerufen hat. Was für eine Norm?

  • Der Muttermythos in Deutschland is alive and kicking

Esther Göbel berichtet von jungen Müttern die sich als Rabenmutter bezeichnen, wenn sie beim Abendessen das Babyfon im Nebenzimmer vergessen haben. Und von Frauen, die sich als Mütter permanent bewertet und beobachtet fühlen, ob sie alles richtig machen.

Von verschiedenen Seiten dröselt Esther Göbel das in Deutschland noch immer herrschende Mutterbild auf: Historisch natürlich, Rousseau und seine Idee von der natürlichen Mütterlichkeit. Die Nazis und ihr Mutterkreuz haben etwas damit zu tun. Dann ab den Siebziger Jahren die Psychologisierung der Mutter-Kind-Beziehung, die Bindungsforschung, die - wie Göbel an einer anderen Stelle notiert - die Väter vollkommen außer Acht lässt. Die Frauenemanzipation, die Frauen nicht weniger sondern mehr Aufgaben aufbürdet.

"[…] Die innere und äußere Erwartungshaltung an die die vermeintlich perfekte Mutter hat sich nicht verändert. Noch immer schwebt das Bild der aufopferungsvollen weiblichen Fürsorgeperson durch den Raum, die am besten weiß, was gut fürs Kind ist."

Nicht glückselig

In Esther Göbels Buch "Die falsche Wahl" kommen Mütter zu Wort, die ihre Mutterschaft bereuen - allerdings anonym und unter falschem Namen. Eine der wenigen, die sich mit ihrem Klarnamen traut, über bereute Mutterschaft zu sprechen, ist die Journalistin Sarah Fischer, die das Buch "Die Mutterglücklüge" geschrieben hat.

LudwigVerlag

Sie sagt im Interview: "Es ist unwahrscheinlich schlimm, diese Gefühle zu haben und ich würde alles geben, dass bei mir das nicht der Fall ist, dass ich in der Mutterrolle aufgehe, wie die meisten Mütter auch, und glückselig bin."

Sie habe sehr lange mit sich gerungen, die Gefühle auch nicht zulassen wollen. Erst durch den Austausch mit anderen Müttern habe sie festgestellt, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein ist.

Das Wort "bereuen" ist hart. Das ist Sarah Fischer klar. Trotzdem möchte sie ehrlich sein können. Auch ihrer Tochter gegenüber, der sie das Buch gewidmet hat.

"Was sagt das über ein Thema aus, dass alle anderen Bücher, die es über das Thema gibt, aus der Beobachter-Position heraus geschrieben sind, fast alle auch anonym. Neulich habe ich auch eine Sendung gesehen, wo zwei Mütter berichtet haben und sich von Schauspielerinnen nachstellen haben lassen. Die hatten sogar noch Perücken auf und verzerrte Stimmen, weil sie so Angst hatten, erkannt zu werden. Da frage ich mich, in welchem Land wir eigentlich leben, dass man darüber nicht reden kann, ohne aufs Übelste beschossen zu werden."

Väter haben es leichter

Väter hätten es ein bisschen leichter, konstatiert Fischer. Allein am Spielplatz: Ein Vater mit einem Handy in der Hand wird als vielbeschäftigter Mann wahrgenommen, der trotz Arbeit sein Kind zum Spielen begleitet. Eine Mutter in der selben Situation hätte eher mit dem Vorwurf zu kämpfen, ihrem Kind nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken.

"Wir sind schon sehr viel fortschrittlicher als vor 20 Jahren, dass Väter, Ehemänner, Partner viel an Kinderbetreuung, Kindererziehung übernehmen. Und trotzdem ist es so, dass Mütter und Frauen den Großteil der Kindererziehung wuppen: Die Kinderarzt-Termine, zum Kindergarten oder zur Schule bringen, Kindergeburtstage organisieren und Geschenke kaufen. Das hat mit unserem Muttermythos zu tun. Dass gesagt wird, Mütter haben die besseren Fürsorgefähigkeiten. Was nicht stimmt, das ist ein soziales Konstrukt, das vor langer Zeit zur Manifestierung der Geschlechterrollen gebaut wurde."

Damit haben Frauen heutzutage einen wesentlich dickeren Aufgabenkatalog als damals, als Männer für das Einkommen und Mütter für den Haushalt zuständig waren.

Was muss sich ändern?

Was wünscht sich Sarah Fischer? Dass die Politik bessere Rahmenbedingungen schafft, dass Frauen gleich viel verdienen wie Männer und somit nicht automatisch dazu gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, weil der Mann das bessere Einkommen liefert. Und mehr Offenheit und Toleranz.

"Ich habe gemerkt, dass dieser Druck von außen, wenn man eine gesunde, junge Frau ist im Alter von etwa 30-33 Jahren doch da ist. Wir haben da dieses vorgefertigte Weltbild, dass Kinder der Sinn des Lebens sind. Sie sind Zukunft und man ist im Alter nicht allein. Es wird selten akzeptiert, wenn man einen anderen Lebensentwurf hat. Das ist wieder so die andere Seite von Frauen, die sich vielleicht gegen Kinder entscheiden. Die auch übrigens auch aufs Übelste beschossen werden. Das ist auch ein extremes Tabu-Thema. Nicht jede Mutter ist nicht automatisch eine glückliche Mutter, wie es das Mutterbild so vorgibt. Durch den Austausch mit anderen Müttern habe ich bemerkt, es ist an der Zeit, offen und ehrlich darüber zu sprechen."