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18. 3. 2016 - 06:00

Digitale Zäune

Wie kommt es in autoritären Regimen zu Netzsperren? Maximilian Schubert von der Dachorganisation der österreichischen Internetwirtschaft im Interview.

Wenn ich etwa in den Nachrichten sehe, dass in Ankara eine Autobombe hochgeht, und auf Twitter User beobachten, dass man aus der Türkei plötzlich nichts mehr liest: Was ist dann passiert?

In Österreich gibt es Netzsperren im Falle von Urheberrechtsverletzungen. Maximilian Schubert von der Dachorganisation der hiesigen Provider (ISPA) wünscht sich eine Abschaffung der Netzsperren "oder doch zumindest ein gesetzliches Verfahren für eine verpflichtende gerichtliche Prüfung, um so für Transparenz und den Schutz der Meinungsfreiheit im Netz zu sorgen".

Das Internet ist eigentlich so gebaut, dass es möglichst schwer ist, es auszubremsen. Österreich ist, was Netzsperren angeht, ganz weit von der Türkei entfernt. Natürlich gibt es auch in Österreich Tendenzen zu sagen, es solle Inhalte geben, auf die die Menschen nicht zugreifen können. Es gibt aber einen riesengroßen Unterschied zwischen Österreich und der Türkei: dass das Internet in Österreich wirklich "in privater Hand" ist - es sind eine Reihe unabhängiger Firmen, die Zugang zum Internet gewähren. Und es gibt keine "staatliche Stelle", wo die Daten "vorbei müssen" oder die einen "Kill Switch" hätte für das Internet. Dadurch wäre es in Österreich sehr schwer, etwa Social Media Dienste zu blockieren.

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Also dezentralisiert und nicht ein großer Hub, über den "einer" verfügen kann.

Genau. Es gibt totalitäre Staaten, in die gibt es sozusagen nur einen "Eingangspunkt", und wenn die Institution oder Person, die dort sitzt, befindet, dass eine Website nicht mehr angesurft werden soll, dann kann man sie auf normalem Wege nicht mehr erreichen. Nach Österreich führt aber nicht "eine Datenautobahn", sondern unzählige. Die alle dicht zu machen, wäre aus heutiger Sicht sehr schwer vorstellbar.

Gäbe es innerhalb unseres rechtsstaatlichen Rahmens überhaupt eine "Handhabe" dafür?

Nach herrschendem Recht wäre eine derartige Zensur von Facebook oder dergleichen faktisch nicht möglich. Was man aber dazusagen muss: Die Stimmung ist nach den Anschlägen von Paris in einigen europäischen Staaten schon in die Richtung gegangen, "man muss dieses Internet mehr kontrollieren, man muss Terrorismus bekämpfen". Wir sehen darin ein ganz großes Risiko: Weil Unsicherheit und Furcht ausgenützt werden, um Normen zu schaffen, die anschließend potentiell dazu genützt werden können, um nicht nur Terror abzuwehren oder welche noch so hehren Ziele zu verfolgen, sondern auch, um die eigene Bevölkerung von Informationen fernzuhalten oder das Internet schlichtweg zu zensieren.

Um noch einmal auf die Türkei zurückzukommen: Wie sind die rechtlichen Rahmenbedingungen ausgestaltet, sodass entsprechende Sperren so schnell erlassen werden können?

Ganz grundsätzlich kann man das Internet nicht "über Nacht" kontrollieren. Das ist ein Projekt, das man über längere Zeit strukturiert verfolgen muss. Man braucht die Mitarbeit der Provider und man darf nicht vergessen: Selbst wenn die Provider Widerstand leisten, irgendwann werden auch sie mürbe, sich ständig auf neue Verfahren einzulassen. Dahingehend nehme ich an, dass der entsprechende Prozess in der Türkei schon wesentlich länger andauert. Das rechtliche Rahmenumfeld ist dabei ein kleiner Mosaikstein. Viel wichtiger ist, dass der Staat kontinuierlich auf die Provider zugeht und sie so lange unter Druck setzt, bis sie beginnen, kleine Zugeständnisse zu machen. Kein Provider wird sagen, "ja, von heute auf morgen werde ich das und das nicht mehr tun". Es beginnt damit, dass Provider sagen, "ja, gut, ich werde Websiten mit urheberrechtsverletzenden Inhalten sperren". Und sobald diese Sperrinfrastruktur einmal errichtet ist, sind es dann nur noch eine Reihe kleiner Schritte, bis wir dort sind wo wir nicht hin wollen und zwar, dass wirklich Websiten zensiert werden, um NutzerInnen Informationen vorzuenthalten.

Um sich den Zugang zu den jeweiligen Seiten in so einer Situation "erhalten", muss man dann komplizierte Workarounds bemühen?

Es gibt mehrere Arten von Websperren. Die reichen von relativ simpel bis kaum umgehbar. Die einfachsten sind die sog. DNS-Sperren. Da wird die URL nicht aufgelöst in eine IP-Adresse, sondern die Nutzer bekommen eine Fehlermeldung. Dann gibt es IP-Sperren: dabei wird der Zugang zu einer bestimmten IP-Adresse verwehrt. Darüberhinaus gibt es noch Sperren, die wirklich schauen: wohin will eine Kommunikation - bzw. Systeme, die versuchen, auch die Umgehung mittels VPN zu unterbinden. Ein VPN -Kanal ("Virtual Private Network") wird aufgebaut, um sich etwa von außen mit einem Firmennetzwerk zu verbinden, aber es wird sehr oft auch etwa in totalitären Staaten von JournalistInnen oder NGOs verwendet, um einen sicheren Tunnel ins Ausland zu bekommen, und auf diesem Weg auf Social-Media-Plattformen zuzugreifen. Hier sehen wir, dass versucht wird, Leuten die Nutzung von VPN zu erschweren, damit man nicht mehr aus einem Land "hinauskommt". Beispiel Türkei: hier war Youtube lange gesperrt, aber jeder wußte, wie man diese DNS-Sperre umgeht. Je mehr Druck der Staat in so einer Sache ausübt, desto schwieriger wird es, die Sperren zu umgehen - prinzipiell können Sperren immer umgangen werden. Es kommt nur irgendwann an einen Punkt, wo der Staat zur "Totalüberwachung" übergeht, und dann hilft es nur noch relativ wenig, dass ich hinauskomme, wenn der Staat sowieso sieht, was ich tue. Das ist der Punkt, den man mit allen Mitteln verhindern muss.

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Betreffend den Ablauf: Wenn ich all die skizzierten Sperren umsetzen möchte und alle entsprechend auf Linie gebracht sind: wie schnell geht das dann?

Wenn wirklich einmal alle Provider so lange Druck ausgesetzt worden sind, dass sie kooperieren, kann man beginnen, eine sogenannte "Sperrinfrastruktur" zu errichten. Das ist quasi eine Verteiler-Liste, darauf finden sich dann Domain-Namen, IP-Adressen, die an alle Provider ausgespielt werden. Die haben den Zugang dann für ihre KundInnen zu unterbinden. Was dabei das große Problem ist, siehe Großbritannien: der Provider selbst sieht gar nicht mehr, welche Websites er sperren muss, weil er diese Information verschlüsselt in sein System bekommt, diese Sperren in seinem System gesetzt werden und er eigentlich nichts dagegen machen kann. Das einzige, was der Provider mitbekommt ist, wenn z.B. einE NutzerIn kommt und sagt, "hey, wieso kann ich nicht auf mein XYZ-Konto zugreifen!?" oder "wieso wird Amazon blockiert?". Dann kommt man drauf: Irgendwer hat ein Nirvana-Album als illegal geflaggt und daraufhin wurde der Zugang gesperrt. Dieses System ist in der Regel extrem intransparent.

Kann man sich dagegen rechtlich zur Wehr setzen?

Auf der europäischen Ebene sehen wir das Bild derzeit mit gemischten Gefühlen: Weil die Europäische Kommission gerade dabei ist, eine Counter-Terrorism-Richtlinie auf den Weg zu bringen, worin genau Netzsperren als eine Möglichkeit genannt sind, um gegen Terrorismus vorzugehen. In diesem Fall ist die EU leider (vor allem durch Frankreich) getrieben, und arbeitet gerade an einem Regelwerk, das wir ablehnen, weil es leider doch auch in Richtung Sperren geht.