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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

16. 3. 2016 - 19:03

My Body the Machine

Dunkle Minimal-Elektronik, Lust, Begehren. Das kanadische Duo Essaie Pas hat beim New Yorker Label DFA ein sehr gutes Album veröffentlicht.

Nicht selten wird die Grabinschrift des durstigen Lebenselixierverkosters und glorreichen Untergehers Charles Bukowski missverstanden: "Don't Try" steht da geschrieben - Bukowski meinte damit aber eben nicht, dass man es erst gar nicht erst zu probieren brauche, weil das Leben ja ohnehin sinnlos sei und alles zu nichts führe.

Die Botschaft lautet vielmehr: Nicht probieren und sich nicht abmühen, sondern das Leben auf sich zukommen lassen bzw. einfach machen. Ohne Angst und Zwang, dafür mit Lust und Saft.

Das dunkle, kanadische Elektronikduo Essaie Pas bezieht sich mit seinem Projektnamen auf Bukowskis schöne Lebensweisheit, ist sich der Mehrdeutigkeit der Aussage dabei bewusst und befasst sich so mit dem sinnlichen Greifen und Spüren der Welt, der Ekstase, gar der Obsession, aber eben auch dem Verzweifeln, der Depression, der Kälte. Dazu rumpelt, vibriert, zittert, bleept und schwitzt der Maschinenpark. Synthesizer, Drummachines, kaum mehr, spröde, spartanisch, streng. Essaie Pas feiern die erlösende Bestrafung.

Essaie Pas

Essaie Pas

Pierre Guerrineau, Marie Davidson

Nach einigen EPs, Tapes und Quasi-Alben in minimaler Zirkulation und kaum Öffentlichkeitswirksamkeit ist gerade über die New Yorker Coolinstanz DFA Records das erste, wenn man so will, richtige Album von Essaie Pas erschienen, es trägt den richtigen Titel "Demain est une autre nuit".

Morgen ist also auch noch eine Nacht, eine andere Nacht bzw. auch schon wieder Nacht. Es wird also weiterhin finster bleiben, bekanntlich kann man aber die Nacht auch mit interessanten Aktivitäten zubringen: Im Nachtclub, mit Bewusstseinserweiterung, im Schlafzimmer. "Nuit du Noce" hat eine frühe Platte von Essaie Pas geheißen, verweist also auf die Hochzeitsnacht, und was da gewohnheitsmäßig so getrieben wird, ist seit Jahrhunderten überliefert.

Marie Davidson und Pierre Guerineau sind die beiden Menschen hinter Essaie Pas, sie teilen Studio und Bett, ihre Lieblingsfarbe, kleidungs- wie auratechnisch, heißt dann doch so: Schwarz. Wovon das Album "Demain est une autre nuit" handelt, kann vornehmlich körperlich, emotional, intuitiv erfahren werden.

Was bei Essaie Pas, in den Texten, wenn es denn welche gibt, gesagt wird, ist oft im wörtlichen Sinne kaum zu entschlüsseln, selbst wenn man des Französischen mächtig ist: Oft sind die Vocals hier bloßes weiteres Klangmaterial, ein Hauchen, ein Seufzen, ein monotoner Murmelsingsang, wie durch hundert Wände Nebel aus der Nachbarwohnung in ein sicherlich sehr altes Mikrofon entsendet.

Marie Davidson und Pierre Guerineau wechseln sich in ihren verschwörerischen Mantras ab, es sind verheißungsvolle Zaubersprüche in fremden Zungen, von Entrücktheit, Selbstisolation, kühler Distanziertheit ebenso bewohnt wie von Ekstase, Leidenschaft, Sex.

Essaie Pas Cover

DFA

"Demain est une autre nuit" von Essaie Pas ist über DFA Records erschienen.

Nicht selten sind die Stücke auf "Demain est une autre nuit" weitestgehend instrumental gehalten, von ein paar Stimm-Einsprengseln da und dort oder unerwartet auftauchenden Strophen-Fragmenten abgesehen - wenn aber gesungen wird, dann darf es wiederum im Kontrast zur sonstigen Geheimnishuberei dann ein, zwei, drei Mal auf dieser Platte doch klar und knapp sein: "Lights Out" nennt sich ein Stück, viel mehr als diese Zeile gibt es in dem Song dann im Sinne der Drastik auch nicht zu hören. "RETOX" heißt ein anderer Song und fordert so zur neuerlichen Rauschzuführung auf - welcher Art auch immer.

Diese mit gerade einmal 35 Minuten Spielzeit auch quantitativ schlank angerichtete Platte schleicht, gleitet, marschiert und poltert mit genau gemessenen, mal eleganten, mal forschen Bewegungen durch die Geschichte der elektronischen und semi-elektronischen Musik, ohne Not zum Overload oder zum Protzen: Dunkler Ambient, die No-Wave-Schrottplatz-Elektronik von Suicide, Horrofilmsoundtrack.

Kosmischer Krautrock, Industrial, EBM. Der Lack- und Leder-Synthpop der frühen Depeche Mode oder Human League, todessehnsüchtige Italo-Disco, Prototechno und gar Quasi-Acid. In den acht Stücken von "Demain est une autre nuit" entwerfen Essaie Pas ein klinisches und vor Begehren pulsierendes, retrofuturistisches Szenario. Sie führen Körper und Fleisch, Gefühl, Maschine, sterile Mechanik, Automatismus zusammen. Zum Glück geht bald schon die Sonne unter.