Erstellt am: 20. 3. 2016 - 14:30 Uhr
Eine kleine Horizonterweiterung
Jesse Peretz
Hans Platzgumer ist der Hansdampf in allen Musikgassen.
In Innsbruck verfällt er bereits in seiner Jugend der Musik und spielt in verschiedenen Punkbands, um dann am Konservatorium Gitarre zu studieren und in Folge dessen Elektroakustik in Wien. Bei der Aufnahmeprüfung zur Royal Academy in London, wo er eigentlich Komposition studieren will, fällt er durch.
Von Wien nach Berlin zieht er weiter nach New York, um mit der Band H.P. Zinker laut und stark Musik zu machen.
Zurück in Europa spielt er einerseits bei den Goldenen Zitronen mit, widmet sich aber auch mehr der elektronischen Musik und interdisziplinären Projekten. "Queen of Japan", "Shinto", "hp.stonji" oder "Convertible" tragen seinen Namen. 2015 präsentiert er beim Donaufestival in Krems sein Soloalbum "Miniaturen".
Hinzu kommen massig Kompositionen im Theaterbereich und für Hörspiele.
Schreiben
Hans Platzgumer hat nicht nur Musik für das Theater geschrieben, sondern auch Stücke und Hörspiele. Und mehrere Romane wie "Expedition", "Weiß", "Der Elefantenfuß" und "Korridorwelt". Derzeit führt er mit seinem letzten Roman "Am Rand" die ORF-Bestsellerliste an.
"Am Rand" spielt mit Zufällen. An diese glaubt er auch, "obwohl es sie natürlich nicht gibt."
Wortlaut 2016
Hans Platzgumer ist heuer auch Juror bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
Ohne zu zögern hat er dafür zugesagt; schließlich seien seine verschiedenen Juryteilnahmen immer auch interessant und bereichernd gewesen.
Kurzgeschichten liest er gern, wobei er einen direkten Einstieg in eine Situation bevorzugt. Weiters muss eine gute Kurzgeschichte eine kleine Horizonterweiterung schaffen. "Als Leser muss sie mich irgendwo hin führen. Das muss auch keine wirkliche Handlung sein oder vielleicht auch nicht richtig abgeschlossen sein. Aber ich muss, wenn ich sie fertig gelesen habe, irgendwie die Welt anders sehen."
FM4 Gästezimmer
Eine Horizonterweiterung bietet Hans Platzgumer auch im Gästezimmer, in dem er einige seiner Lieblingsnummern spielt und dazu auch einiges erzählt.
Midlake: Van Occupanther
FM4 Gästezimmer
Bands und Musiker*innen spielen ihre Lieblingslieder bzw. Lieder, die sie geprägt haben. Mehr
Midlakes aus Texas ist eine Band, die mir von allen Bands in den ganzen Nullerjahren eigentlich am besten gefallen hat, weil sie auch diesen Geist von den früheren Jahrzehnten irgendwie wunderschön mitgenommen haben und gleichzeitig doch ganz tolle Musik machen. Vor allem auf dem Album "The Trials of Van Occupanther" von 2006. Mich begeistert dabei wirklich, wie die so ganz zart und weich völlig selbstverständlich miteinander spielen - das ergibt eine große Komposition. "Van Occupanther" ist eine Ballade und es geht durch gefühlte 200 Strophen, bis dann endlich dieser letzte große Refrain kommt. Also das Stück ist nicht besonders lang - bitte unbedingt durchhören und auf die letzten 30 Sekunden warten - da wird's dann nochmal ganz, ganz groß.
Gonjasufi: She Gone
Gonjasufi, eine Band aus Kalifornien, haben 2010 auf meinem Lieblingslabel Warp die großartige Platte "A sufi and a killer" herausgebracht. Vor einigen Jahren bin ich zu einem Konzert von denen gegangen und das war wirklich das beste Popkonzert - oder wie immer man ihre bizarre Musikmischung auch nennen will. Denn da kommt wirklich alles rein: Hip-Hop, aber auch Dub und dann aber auch wieder Pop und Folk und Rock. Alles wird gemischt und es ist wirklich die grandioseste Liveband, die ich je gesehen habe. Mit offenem Mund bin ich dagestanden und habe gedacht "Das gibt’s gar nicht."
Ich verehre die Band wirklich für das, was sie machen. Die Schwierigkeit hatte ich nur, dass die ganz kurze Stücke haben und jedes Stück ist in einem völlig anderen Genre. Ich hab jetzt das eingängigste und vielleicht kommerziellste ausgewählt: "She gone".
Doris Monteiro: Maita
Ein brasilianisches Stück darf nicht fehlen, denn das gehört zu meinem Leben absolut dazu. Immer wenn ich mich irgendwie ein bisschen melancholisch oder schwer fühle, dann müssen immer die Brasilianer mit ihrer wunderbar leichten Musik herhalten und mit dieser selbstverständlichen riesigen Virtuosität, wie da Musik gemacht worden ist - vor allem in den 70er Jahren - noch dazu unter der Militärdiktatur - hat sich diese MPB (Música Popular Brasileira) entwickelt und hat ein ganz eigenes unfassbar faszinierendes musikalisches Universum für mich geschaffen. Allen voran natürlich Chico Buarque, den ich eigentlich immer spiele. Heute habe ich etwas von einer, die schon vorher bekannt war, ausgewählt. Eine Sängerin namens Doris Monteiro. Aus ihrem Album 1976 eines meiner absoluten immer Lieblingsstücke. Wenn ich mal schlecht drauf bin oder einen blöden Ohrwurm im Ohr hab, dann muss ich schnell Maita auflegen und dann ist das Leben wieder okay.
Tshetsha Boys: Nwa Pfundla
Die Tshetsha Boys aus Südafrika sind für mich eine wahnsinnig spannende musikalische Angelegenheit. Es ist ja in unserem jetzigen, doch musikalisch etwas eintönigen Jahrhundert wenig spannende neue, gerade auch elektronische Musik passiert. Und ich freue mich immer, wenn ich den Blick nach Afrika richten kann, wo die teilweise mit den einfachsten, krudesten und verrücktesten elektronischen Mitteln plötzlich ganz neue und ganz rohe visionäre Musik gemacht haben. Ich bin dieser Shangan-Elektromusik sehr verfallen, die diese traditionellen Shanganmusiken mit Samplern und Drummaschines und so nachstellt. Das begeistert mich deswegen so unfassbar, weil ich es nicht verstehe. Ich verstehe natürlich den Gesang und den Text überhaupt nicht, aber ich verstehe eigentlich auch nicht, wie sie dieses Stück machen. Weil das sind immer verschiedene Samples und Beats, die dann irgendwie auseinander laufen, alles eiert und man kommt eigentlich nicht wirklich dahinter, was es ist oder was daran falsch ist. Aber was immer daran falsch ist – es ist genau richtig!
Hier die Spielliste vom Gästezimmer von Hans Platzgumer:
Midlake | Van Occupanther |
Gonjasufi | She Gone |
Doris Monteiro | Maita |
Tshetsha Boys | Nwa Pfundla |
Johnny Cash | The Mercy Seat |
The Zombies | Care Of Cell 44 |
Funkadelic | You Scared The Lovin Outta Me |
Nick Drake | River Man |
Allfälliges über Hans Platzgumer …
Nachdem "FALLEN" das Thema von Wortlaut ist, beantwortet der Juror Allfälliges.
Er fällt nicht gerne auf, Beifall ist ihm sehr unwichtig und seinen letzten guten Einfall hatte er zu dem aktuellen Roman, an dem er gerade schreibt.
Wenn er vom Fallen träumt, erinnert er sich an das Erdbeben, das er in L.A. miterlebte - damals sei das Haus den Hang hinuntergefallen.
Lästig fallen ihm schnelle knappe Antworten, leicht hingegen ein offenes, langes Gespräch zu führen. Richtig fallen lassen kann er sich beim Musizieren oder beim Schreiben. Und der schönste Wasserfall ist im Bregenzerwald. Da sei er auch schon oft beim Baden nackt drunter gestanden.
Hans Platzgumer wohnt übrigens seit Jahren in Lochau am Bodensee. Weil das aber kaum wer kennt, gibt er lieber Bregenz als Wohnort an.
Gerhard Klocker