Erstellt am: 16. 3. 2016 - 15:18 Uhr
Wohin bewegt sich die Musik?
Das Lied "Habibi" des bulgarischen Popfolksängers Azis wurde in eine Liste der New York Times gewählt, zum Thema "25 Songs, die uns sagen, wohin sich die Musik bewegt".
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Bisher wurde kein einziger bulgarischer Popsänger von so einem prestigträchigen amerikanischen Blatt auch nur erwähnt. Neben dem "King of Popfolk" befinden sich in der Auswahl Lieder von weltbekannten zeitgenössischen Popidolen wie Justin Bieber, Rihanna oder Kendrick Lamar.
Bulgarien hatte bisher einige weltbekannte Opernsänger, doch der Popfolk ist all das, was die Oper nicht ist. Der Popfolk oder "Tschalga" ist eine Mischung aus türkischen, serbischen, griechischen, bulgarischen und Roma-Motiven, vermischt mit MTV-Popmusik. Um dazu zu tanzen, muss man nur die Augen schließen und wild mit den Hüften wackeln.
Wer ist eigentlich dieser Azis? Geboren wurde er 1978 als Vassil Bojanov im Frauengefängnis Sliwen. Laut seinen Angaben war seine Mutter dort inhaftiert, weil sie Kleider aus dem Westen geschmuggelt haben soll. Azis wächst in Sofia und im naheliegenden Städtchen Kostinbrod auf, er geht nur bis zur fünften Klasse zur Schule. Danach emigriert seine Familie nach Deutschland.
CC BY-SA 4.0 Andacozgur via Wikicommons
Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien wird Azis etwa ab 2001 zum Star. Dazu verhilft ihm nicht nur seine hohe Stimme, sondern auch sein "skandalöses" Image. Er tritt in Frauenkleidern auf und präsentiert sich in Beziehungen mit unterschiedlichen Männern, die auch zu Stars werden, weil seine Berühmtheit auf sie abfärbt. Als Höhepunkt "heiratet" er 2006 im Nationalstadion in Sofia einen muskulösen jungen Mann. In Bulgarien sind homosexuelle Ehen offiziell nicht erlaubt, doch die "Hochzeit" von Azis wurde zum Event des Jahres.
All das ist erstaunlich, da die bulgarische Gesellschaft von einer tiefen Abneigung gegenüber Homosexualität geprägt ist. In einem Land, wo alle bekennenderweise Roma und Schwule hassen, wurde ein Roma-Transvestit zum größten Popstar. Azis ist auch in anderen Balkanländern berühmt, deren Gesellschaften ebenfalls nicht als besonders tolerant gelten. Am merkwürdigsten ist aber, dass Azis auch in Russland und im arabischen Raum ein Star ist, wo Homosexualität schlicht illegal ist.
Nun hat Azis sein Dragqueen-Image hinter sich gelassen. Er zeigt sich mit dichtem schwarzen Bart und zeigt seine Muskeln. Sein ehemaliger Partner erzählt in Zeitungsinterviews, dass die "Hochzeit" ein sorgfältig organisierter PR-Trick war.
facebook.com/Azis-Original
Das Lied von Azis in den Charts der New York Times heißt "Habibi" und ist in der besten Popfolktradition geschmiedet. Im Text geht es um Liebe und Schmerz. Eigentlich sind alle Lieder in diesem Genre ziemlich ähnlich. Genau wie die Lieder von Justin Bieber. Allerdings kann man nicht leugnen, dass Azis besser singen kann als Bieber. Justin Bieber hat hunderte Millionen Fans weltweit und sein Vermögen muss auch beachtlich sein. Azis hat ein Einkommen von 1 Million bulgarischer Leva im Jahr deklariert, was kein anderer Sänger in Bulgarien nachweisen kann.
Genau wie bei Justin Bieber ist bei ihm die Musik eigentlich nebensächlich. Da bleibt die Frage: Wohin bewegt sich die Musik überhaupt?