Erstellt am: 16. 3. 2016 - 10:51 Uhr
Back to the Retrofuture
Wäre Science Fiction zu Gast in einer Fünfziger Jahre Gameshow und würde um ein typisches Geräusch gebeten, es würde wohl einem Theremin-Klang anstimmen. Genau so ein Sound - für immer verbunden mit Raumschiffen vor Sternenhintergrund - eröffnet auch die deutsch-österreichische Koproduktion "Die Mobilisierung der Träume - Dreams Rewired", begleitet von einer fordernden, kleinen Melodie, die an klassische Klavierbegleitung von Stummfilmen erinnert.
amour fou
Auf der Sound- und Assoziationsebene trifft also ein Raumschiff auf einen Stummfilm und das, noch bevor der Film so richtig losgegangen ist. Schwarz-weißes Filmmaterial ruckelt über die Leinwand: Menschenmassen auf einem Schiff, weiße Oberarme winken und drehen sich in wabernden Sechsecken, wie durch ein Kaleidoskop beobachtet. Ausfransungen und weiße Flecken sind nicht Hipster-Schick, sondern verweisen auf das Alter des Filmmaterials. Das stammt aus einem Zeitraum zwischen 1890 und 1930. Und dann ertönt Tilda Swintons Stimme und holt Raumschiff- und Stummfilmassoziation und das jahrhundertalte Bildmaterial ins Jetzt: Our time is a time of total connection, distance etheral, the future is transparent.
amour fou
Doch "Dreams Rewired" setzt hier nicht zu einer angstgefütterten Litanei über die Gefahren der Vernetzung an, über die hungrigen Augen von big brother. Das hier ist auch keine reaktionär-nostalgische Keule, die sich die gute, alte Zeit wieder herbeiwünscht, als wir nicht alle offenherzig und freiwillig früher als privat empfundene Dinge in die Welt posaunen und posten. Wenn Swinton weiterspricht now it's what's happening at the end of a line, at the end of a wire ... to be is to be connected sehen wir, wie Drähte verflochten und Kabel verlegt werden. Riesige, schwere Kabel.
Die Worte, die zunächst so klar nur aufs Jetzt verwiesen haben, sie beschreiben genauso gut den Siegeszug des Telefons oder a new electric intimacy, wie es im Film lyrisch heißt. Ein Aha-Effekt macht Plopp im eigenen Kopf und dann nimmt einen dieser betörende Essayfilm mit auf eine wundersame Reise. Ähnlich muss sich Alice gefühlt haben, als sie dem Kaninchen durchs Kaninchenloch ins Wunderland gefolgt ist.
amour fou
"Dreams Rewired" erzählt die Geschichte der Medien, der Technologien und wie sie die Art und Weise beeinflusst haben, wie die Menschheit sich selbst sieht (und inszeniert). Wie das, was man sich damals erträumt hat, heute zum Alltag gehört, wie das, was einst als Science Fiction bezeichnet wurde, sich in Normalität verwandelt hat. 200 verschiedene Filme - Newsreels, erste Langfilme, die Dokumentation wissenschaftlicher Experimente, Music Hall Slapstick - wurden von Manu Luksch, Martin Reinhardt und Thomas Tode zu einem hypnotischen Trip verarbeitet, der die Zukunft, die man sich in der Vergangenheit erträumt hat, als unsere Gegenwart zeigt.
Telefon, Radio, Kino, das alles waren mal nur Ideen, Experimente, schließlich aufregende Attraktionen, die gezähmt werden mussten. Es braucht eine Genehmigung fürs Radio und Benimmregeln fürs Kino. Jede Erfindung macht die Welt ein bisschen kleiner und die Möglichkeiten größer. Euphorisch breitet sich Retrofuturismus auf der Leinwand aus, man träumt von Technologien, die für jeden nutzbar sind, vom Beenden von Kriegen. Im Gegensatz zu vielen anderen Dokumentationen nimmt "Dreams Rewired" seine Materialien ernst, niemals wird hier belächelt, niemals wird der Blick zurück abschätzig.
Amour fou
Der Film beschwört auch das Kino als gemeinsames und einendes Erlebnis, das seit jeher unser Bedürfnis nach Geschichten stillt. Kino als soziales Medium, in dem man streitet, diskutiert, angesichts der Stars in Ohnmacht fällt. Kaum konnte man die echte Welt auf Zelluloid bannen, begannen Regisseure ganz und gar unwirkliche Welten für die Leinwand zu erschaffen. No, not real life, more than real, larger than life. Die Visionen von Erfindern und Künstlern, sie werden in "Dreams Rewired" besungen.
So ganz nebenbei lenkt der Film auch wieder die Aufmerksamkeit auf Frauen in der Geschichte der Medien. Mit der Telefonie entstehen Arbeitsplätze für Frauen, Männer seien schlichtweg zu ungeduldig - und zu unhöflich. Man erfährt von Lilian Gilbreth, einer Psychologin und Ingenieurin, deren Forschungen und Entwicklungen von effizienten Arbeitsabläufen revolutionär für die Industrie sind. Und statt nur von Sergej Eisenstein zu erzählen, rückt diese rastlose Fahrt durch die Geschichte eine Regisseurin ins Rampenlicht. Alice Guy. (An der Stelle seien gleich die Cinema Sessions im Wiener Metrokino empfohlen, die sich demnächst dieser Pionierin widmen). She turns on the grammophone in the world's first playback studio. For the record: Alice Guy the first director of narrative films. Die Verwendung des Wortes record verweist einerseits auf das Grammophon und zeigt andererseits, wie sehr all die Erfindungen Eingang in die Sprache gefunden haben. Das ist nur eines von unzähligen Beispielen für die Schönheit dieses Texts von Mukul Patel. Der Sog von "Dreams Rewired" er entsteht nicht bloß durch die Bilder, es ist vor allem die Sprache, der einen in den Bann zieht.
amour fou
"Die Mobilisierung der Träume - Dreams rewired" läuft bereits in den österreichischen Kinos
Die große Stärke von Dreams Rewired ist unter anderem die Auslassung, die verwendeten Filmausschnitte nicht mittels Einblendung genauer zu verorten, sondern sie einfach Teil dieses Erzählflusses werden zu lassen. Das hier ist keine Lektion in Geschichte, das hier ist eine wohltemperierte Versuchsanordnung, das Jetzt in längst vergangenen Träumen und Visionen zu verorten. Bild und Text verweben sich zu einer Karussellfahrt durch die Zeit. Danach ist man ein bisschen schwindelig, würde aber am liebsten noch einmal fahren.