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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

14. 3. 2016 - 18:41

Statistischer Unsinn

50 Prozent der Asylwerber würden angezeigt, hat es in einer Schlagzeile in der "Presse" geheißen. Diese Rechnung geht aber nicht auf.

Statistischer Unsinn Cover

Springer Verlag

Statistiken sind mächtig.

Statistiken sind Instrumente der Informationsgesellschaft.

Statistiken formen unser Bild der Welt da draußen und liefern objektive Entscheidungskriterien.

"Wenn sie richtig gerechnet sind", ergänzt Statistikprofessor Andreas Quatember.

Quatember forscht u. a. im Bereich Stichprobentheorie und wird demnächst von der Österreichischen Statistischen Gesellschaft für sein Buch "Statistischer Unsinn: Wenn Medien an der Prozenthürde scheitern" ausgezeichnet.

Ich rufe ihn an, um Klarheit über den "Presse"-Artikel "Jeder zweite Asylwerber wird angezeigt" vom 8. März 2016 zu bekommen.

Darin wird eine einfache Prozentrechnung angestellt: die Anzahl der angezeigten Asylwerber dividiert durch die Anzahl der Asylwerber insgesamt.

Die erste Zahl - die der angezeigten Asylwerber innerhalb eines Jahres - findet sich in der Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums.

Die Vergleichszahl aber, die Zahl der Asylwerber, die innerhalb eines Jahres in Österreich leben, gibt es so nicht.

Der Autor des "Presse"-Artikels, Andreas Wetz, behilft sich damit, stattdessen die Zahl der Asylwerber in der Grundversorgung zum Stichtag 1. Jänner des jeweiligen Jahres als 100-Prozent-Grundwert zu nehmen. Aus diesem Grundwert will er im Vergleich mit der absoluten Zahl angezeigter Asylwerber einen Prozentsatz ermitteln.

Professor Andreas Quatember dazu: "Da hat man irrtümlich geglaubt, wenn man sich am Stichtag 1. 1. die Anzahl der Asylwerber anschaut, dann ist das die Vergleichszahl. Aber das ist sie eben nicht. Es gibt diese Zahl nicht, die die eigentlich haben wollen: den Anteil der Angezeigten unter den Asylwerbern im Laufe eines Jahres."

"Der Nenner, der dafür notwendig ist, also die Anzahl der Asylwerber, die während eines ganzen Jahres da sind und nicht an einem Stichtag, die müsste man irgendwie kriegen. Wenn man die nicht kriegt, dann kann man nicht ersatzweise einen Unsinn machen."

Wetz versteht die Kritik an seiner Methode, die er selbst auch "nicht wissenschaftlich" nennt. Er hält aber grundsätzlich daran fest: "Wenn man diese Bezugsgröße (Stichtagsmenge von Asylwerbern in der Grundversorgung, Anm.) mit anderen Daten vergleicht - wie viele Asylverfahren in einem Jahr abgeschlossen, wie viele in einem Jahr gestellt werden - dann ergibt sich im mehrjährigen Blickwinkel, dass die Zahl der Personen, die an einem Stichtag ausgewiesen werden, doch eine gewisse Aussagekraft über die Zahl der Personen, die sich als Asylwerber im Land befinden, ergibt".

Quatember räumt ein, dass Fehler überall passieren könnten. Problematisch sei, dass diese in solchen Fällen möglicherweise von Hunderttausenden Personen diskutiert würden, ohne dass diese wüssten, dass es sich hier um Fehler handelt.

Für ihn gibt es drei mögliche Gründe für die falsche Prozentrechnung in dem Artikel: Unachtsamkeit, Unverständnis oder aber Absicht. "Keines von den drei Dingen ist der Fall", sagt Wetz, "das war schlicht und ergreifend der Versuch, ein soziales Phänomen zu erklären."