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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

14. 3. 2016 - 17:08

Ihr seid immer nur dagegen

Erwachsenwerden mit und im Punk: "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens", der Debütroman von Schorsch Kamerun.

Ausbrechen und aufbegehren, dagegensein, gegen das blöde System, das blöde Scheißsystem! Die Faust strecken, die Ketten sprengen und andere Ketten bilden. Darum muss es in einer jeden ordentlichen, unordentlichen und wilden Jugend zumindest in irgendeinem Maße gehen.

Schorsch Kamerun, Hamburger Theatermann, Hörspielautor, Sänger und Schimpfer und Keifer der großen Experimental-Punkband Die Goldenen Zitronen, Solomusiker und Allroundkünstler, hat einen Roman geschrieben, der genau davon handelt: Vom jugendlichen Bedürfnis, Widerstand zu leisten, nicht ins Förmchen zu passen, sich die eigene Identität als kompliziert selbst zu designen.

Aber auch davon, dass sich im Laufe der Jahre die Dinge, die Wahrnehmungen, Positionen - man merkt es kaum - verschieben und umgestalten können. Ohne dass man jetzt gleich milde oder schwach geworden oder gar übergelaufen wäre.

„Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ heißt ein schöner Kalenderblattspruch, „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ heißt ein Song auf Schorsch Kameruns windschiefem Solo-Album „Warum Ändern Schlief“ aus dem Jahr 1996, „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ heißt Kameruns Roman.



Nun ist das Buch zwar also ein Roman, gleichzeitig aber auch eine wohl nur wenig verschleierte und chiffrierte, literarisch aufgeladene Quasi-Autobiografie des Autors selbst. Kamerun stammt ursprünglich aus der nordisch duftenden Kleinststadt Timmendorfer Strand, seine Hauptfigur Horsti aus dem erfundenen Bimmelsdorfer Strand, auch die Geburtsdaten der beiden Männer dürften sich nicht groß unterscheiden.

Schorsch Kameruns, wie man so sagt, bürgerlicher Name ist Thomas Sehl, Figur Horsti wird sich im Buch schon sehr bald – Selbstbestimmung und Neuerfindung müssen sein – den Punknamen TommI (anfänglich immer mit großem „I“!) oder auch Tommi from Germany oder bloß Tommi geben – weil ihm nicht so etwas Schrilles wie seinen Kumpels Doktor Onkel, Cat the Cat oder Nerv R. eingefallen ist.

„Schreien! Brüllen! Auch schon vor dem Trinken. Immer wieder. Einfach aus einer Ahnung heraus. Horsti und seine Freund hatten kaum eine Vorstellung davon, was das sein könnte: Anarchie.“

„Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ zeichnet den Werdegang und das Weiterdriften von Horsti/Tommi von dessen Teenageralter in den mittleren 70ern bis in die Gegenwart nach und klappert so auch Stationen ab, die sich ganz ähnlich in der Biografie Schorsch Kameruns wiederfinden dürften. In der Provinz hecken Tommi und seine Gang schon früh eher harmlose Streiche aus, Verstörungsmanöver, um die eigene Andersartigkeit und Sperrigkeit herauszuarbeiten und zu unterstreichen.

Schorsch Kamerun

Christop Voy

Schorsch Kamerun

Wozu - das weiß man noch nicht so genau, man weiß aber irgendwie, dass man muss. In den Schulen und Institutionen sitzen noch vom Krieg übrig gebliebene Alt-Nazis, überall beißen der Biedersinn und zweckgebundenes Regelwerk.

„Freiwillig nichts können. Nichts wollen. Nichts werden. Das war es, was erfolgreich nervte, sich schlecht einfangen ließ von den Gegnern. Und mit diesem neu entwickelten GAR NICHTS dann auch noch frech und selbstbewusst auftreten. Sich austoben in selbst gewählter Dystopie und darin einen großen Wert behaupten.“

Man schmiert also Slogans an Wände, setzt irritierende Falschmeldungen in die Welt, die in so einem kleinem Städtchen schon auch mal für leise Aufregung sorgen können, und befasst sich mit Fanzines, die beispielsweise „Die Spitze des Scheißberges“ heißen. Man nimmt Drogen und macht Musik. Anti-Musik. Musik kann alles. „Gekonnt“ sollte jedoch als Künstler im besten Falle nicht allzu virtuos werden.

„Viele von ihnen starteten in einer Band. Das waren freie Treffen mit Getränken. Und meist simpelsten Instrumenten. Wer gar nichts spielen konnte oder keine Dinge zum Draufschlagen mitbrachte, wurde Sänger.“

SChorsch Kamerun Cover

Ullstein

"Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" von Schorsch Kamerun erscheint bei Ullstein.

Irgendwann wird man dann aber doch irgendwie erwachsen, man zieht in die Großstadt, die in diesem Falle Hamburg heißt. Projekte, Installationen, Performance, Anti-Kunst, Theater, die schleichende Ankunft in den Außenzonen der Hochkultur. Und irgendwann hat man dann sogar mit seiner ätzenden Schrott-Musik so etwas wie Erfolg. Dabei hat man das doch alles gar nicht gewollt. Verwertbar werden.

"Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" ist, wie es im Buch selbst heißt, "extra nicht so lustig". Wie der Romanheld im zunehmenden Alter sträubt sich auch Autor Schorsch Kamerun gegen den ständigen Originalitäts- und Überhöhungszwang. Die Ironie ist zu Ende ironisiert, „Schrägsein“ ist das Normale, Subkultur zur geilen Marke geworden.

Die Erzählweise in „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ ist vielmehr trocken, bericht-haft, Dialog gibt es kaum, hier soll es nicht altbekannt überfabuliert anekdotisch spritzen. Ein lakonischer, aber nicht resignativer Blick auf ein Leben voller Haltung, Posen, Meinungen, Ideen, Unideen, Verwirrungen und Widersprüche. Das vage Gefühl, dass eventuell die Nostalgie auch nicht mehr so toll glänzt wie früher.

"Nicht alle schafften einen starken Abflug. In Tommis Freundeskreis fanden sich einige, die früh, manche auch erst sehr viel später, real kaputtgingen. Oder sogar ganz aufgaben, sich das Leben nahmen. Aus Schuld und Scham, aus Verlorenheit und nicht nachlassendem Alleinseinschmerz. Diesen widmeten Tommi später ein Lied."