Erstellt am: 12. 3. 2016 - 11:33 Uhr
Ein Hoch auf die Handkamera
Diagonale - Festival des österreichischen Films, 8. bis 13. März 2016, Graz
FM4 berichtet während der Diagonale täglich on air und online unter fm4.orf.at/diagonale.
Die Homebase Spezialsendung zur #Diagonale16 vom 10. März gibt es 7 Tage zum Nachhören.
Alles zur Diagonale auch auf orf.at/diagonale16.
"Die schießen dir nicht in den Kopf?" - "Nein, die schießen dir ins Gehirn".
Kurdwin Ayub unterhält sich mit einem jugendlichen Cousin über den sogenannten Islamischen Staat. Sie sitzen in einer Wohnung in Erbil in Kurdistan. Kurdistan sei ein "nicht genau begrenztes Gebiet in Vorderasien" hat jemand auf die Wikipedia-Seite geschrieben. Nach Kurdwin Ayubs Dokulangfilm-Debüt "Paradies! Paradies!" beginnt man sich für Kurdistan zu interessieren.
Takacs Filmproduktion
Dabei beginnt "Paradies! Paradies!" für Unwissende so harmlos und leicht. Wie in einigen ihrer Kurzfilme tritt Kurdwin Ayub vor die Kamera. Sie präsentiert Blusen und "gute Jäckchen", zu denen sie unterwegs Jeans tragen wird müssen. Leider sind die meisten ihrer Blusen durchsichtig. An den Schmäh der 26jährigen Filmemacherin und Performance-Künstlerin Ayub Kurdwin kommt so schnell keiner heran, denkt man, aber dann tritt ihr Vater ins Bild.
Die Kurdwins reisen in das Land, aus dem sie 1991 geflohen sind, aber von "Irak" spricht niemand. Kurdistan ist das Land der Sehnsucht geworden. Also sucht der Vater seinen Pass und begibt sich mit der Tochter auf die Reise. Die Mission ihres Aufbruchs: Wohnungssuche in Arbil.
Takacs Filmproduktion
"Wenn mein Vater und ich vor der Kamera sind, inszenieren wir uns gerne. Auch gern lustig", erklärt Kurdwin nach der Premiere. Vor dem Filmstart forderte sie das Publikum auf, sich lachen zu trauen. Im Kinderzimmer bei den Verwandten in Arbil machen Buben und Mädchen "Disco". Entzückend und lustig sind die Szenen. Die Zerrissenheit der Familien zwischen hier und Ländern des Exils, das für manche Mitglieder schon lange Heimat ist, ist Thema ohne großes Aufheben. Plötzlich und unvorhergesehen probiert der Vater Tarnjacken an und ist umringt von Peshmerga. Mit Blick auf das Land kommt schließlich ein Wassertank in Sichtweite, dort sei der sogenannte IS stationiert. Jene Menschen also, die einem nicht ins Gesicht, sondern ins Gehirn schießen.
"Paradies! Paradies" ist der bislang lustigste Film dieser Diagonale, bis einem die Tragik der Komik klar wird. Dann ist es ein ziemlich super Film, der noch mehr Fragen aufwirft und nebenbei ein kluges Statement zum Informationsgehalt von Bildern setzt. Kurdwin Ayub hat die Doku mit Handkamera selbst gefilmt. Manche Regieanweisung kam vom Papa.
Takacs Filmproduktion
History of Now
"It's very brave for you to walk on cobblestone". - "I am brave." - "If need be I'll carry you." - "I'll let you know".
Der bislang absurdeste Dialog ist in "History of Now" von Nadiv Molcho zu hören. Ein junges Paart spaziert durch das nächtliche Wien, sie in Schuhen mit hohen Absätzen - nein, das ist definitiv keine Fan Fiction zu "Before Sunrise". Sie lebt, er inszeniert sich als Romantiker. Die Bilder sind vielfach vom Gegenlicht der Sonne weich, nach wenigen Minuten ist klar, dass die Plattitüden nicht als Persiflage von Rom-Coms beabsichtigt sind. Schnell geht einmal zu viel die Sonne auf, noch dazu in Marrakesch, wo abseits der marokkanischen Riads für TouristInnen diverse Geschichten zu fänden wären.
Konrad Tho Fiedler
Die Drehbuchpreise, sind vergeben
Riesen Freude: Elisabeth Scharang gewinnt für ihren Spielfilm "Jack" den Thomas Pluch Drehbuchpreis. Herzlichste Gratulation! Am Freitagnachmittag spricht Elisabeth Scharang mit dem Filmemacher Wilhelm Hengstler im HDA über ihre Annäherung und wieder Distanzierung zur Figur des Jack Unterweger. Bei den ersten Publikumsfragen wird klar: Wenn nicht jeder, so doch sehr viele in diesem Land, haben eine Meinung zu Jack Unterweger.
Clara Stern erhält den Carl-Mayer-Drehbuchpreis für das Treatment zu "Training", der Förderpreis geht an Franziska Pflaum und Roman Gielke für das Treatment zu "Schneegestöber". Und der biennal verliehene Preis der Dor Film für Drehbuchentwicklung geht an Mo Harawe für "Nach Mogadischu“".
Diagonale/Pelekanos
"Es ist viel zu viel!" - "Ja. Aber es kann nicht genug Programm sein! Ein tatsächlicher sechster Festivaltag wäre gut, aber es ist alles eine Finanzierungsfrage."
Nicht erst spätnachts setzt das Bedauern ein, mit vier Filmen pro Festivaltag doch längst nicht so viel sehen zu können, wie man wollte! Die Entscheidung, zwischen einem Gespräch im Rahmenprogramm oder dem nächsten Film. Die Entscheidung - wie gestern Abend - zwischen drei zur selben Zeit laufenden Premieren. Und wieder das Wissen, dass nur wenige Filme einen Kinostart hierzulande haben werden und damit nur bei der Diagonale zu sehen sind. Noch ein Grund mehr, dieses Wochenende in Graz am Festival des österreichischen Films teilzunehmen.