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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

12. 3. 2016 - 13:00

Stachel im System

Notizen zu "Trumbo" und "The Brothers Grimsby", zwei extrem unterschiedlichen Filmen, die von Außerseitern im Mainstream erzählen.

Von einem lähmenden Victim Narrative spricht Bret Easton Ellis immer wieder in seinem hier schon oft empfohlenen Podcast, einer Victim Culture, die die angloamerikanische Popkultur in einer Art Geiselhaft hält. Der Autor, Kulturkommentator und Filmkritiker begibt sich damit auf heikles Terrain. Denn wie kann man es als halbwegs denkender Mensch nicht gutheißen, dass sich beispielsweise das Kino zuletzt so geballt all den Opfern politischer oder religiöser Repression, patriarchalischer Strukturen oder rassistischer Gewalt widmet? Das muss man doch abnicken oder?

Die Polemiken, die Ellis sarkastisch in Richtung entsprechender Filme abfeuert, kommen in seinem Fall aber nicht aus dem Mund eines offensiv reaktionären Talkshow-Hosts. Und sind keinesfalls auch mit den hirntoten Wortspenden rechter Politiker zu verwechseln, die gerne verächtlich das G-Menschen-Wort benutzen.

Worum es dem Intellektuellen Bret Easton Ellis sinngemäß geht: Das (schein-)liberale Hollywood produziert Filme, meint er, die es einem allzu leicht machen, sich schweren Opfer-Themen zu nähern. Filme, die bewusst Ambivalenzen und Komplexitäten aussparen, um trotz ihrer verstörenden Inhalte geliebt, gesehen, konsumiert und mit Oscars ausgezeichnet zu werden.

Ellis erwähnt "Room" beispielsweise, einen Film, der ein grausiges Kidnapping-Drama von Fritzl'schen Ausmaßen zu einem Überlebens-Märchen kondensiert, das man ohne bleibende Albträume konsumieren kann. Oder er kritisiert beinhart den ebenfalls Oscar-gekrönten Journalisten-Thriller "Spotlight", dessen kreuzbrave Machart den Dimensionen des Inhalts (sexueller Missbrauch durch katholische Priester) seiner Meinung nach nicht gerecht wird.

Trumbo

Constantin

Kommunistenhatz in Hollywood

Man muss den bissigen Standpunkt von Bret Easton Ellis nicht vollständig teilen, um seinen kritischen Ansatz zu verstehen. "Trumbo", noch so ein Lieblingsfilm des aufgeklärten Hollywood, der jetzt bei uns anläuft, stürzt sich jedenfalls auch auf ein heikles Thema und handelt es in Form eines ganz und gar altmodischen Streifens ab, der eher an Fernsehfilmformate erinnert.

Jay Roach, weitgehend als Komödienspezialist bekannt ("Austin Powers"), schildert den wahren Fall des Dalton Trumbo, der in den 40er-Jahren zu den bestbezahlten Drehbuchautoren Hollywoods gehört. Kollidiert sein linkes politisches Engagement zunächst nicht mit seinem erfolgreichen Berufsleben, ändert sich das mit dem Kalten Krieg. Für Mitglieder oder Sympathisanten der kommunistischen Partei Amerikas beginnt ein eisiger Wind zu wehen.

Als sich Trumbo (Bryan Cranston) weigert, vor dem berüchtigten Komittee für unamerikanische Umtriebe auszusagen, landet er auf der "Hollywood Blacklist" und die Studios beginnen ihn zu boykottieren. Die antikommunistische Kampagne, angeführt von der giftsprühenden Klatschkolumnistin Hedda Hopper (Helen Mirren) und unterstützt von Republikanern wie John Wayne, führt bald zum Arbeitsverbot für die denunzierten Linken und schließlich zu Gefängnisaufenthalten.

Trumbo

Constantin

"Trumbo"

Grandiose Darsteller und biedere Biopic-Konventionen

Schon wieder einer dieser Filme, in denen Hollywood sich selbst und die eigene Vergangenheit anekdotisch feiert, denkt man am Anfang von "Trumbo". Der nostalgische Tonfall ändert sich zwar mit dem Feldzug gegen die kommunistischen Künstler, hinter der Scheinidylle der Traumfabrik, die damals glorreiche Filmidyllen produziert, tun sich klaffende Abgründe auf. Wirklich dringlich und aufwühlend wirkt die Hexenjagd, die auch manche Verfolgte in den Selbstmord trieb, aber nie in der Version von Jay Roach.

Es ist Bryan Cranston, der als Dalton Trumbo durch diesen Film und die stürmischen Zeiten navigiert. Der "Breaking-Bad"-Star reißt auf sympathische Weise die Story an sich. Den besessenen Nonstop-Schreiber, der seine Skripts am liebsten in der Badewanne verfasst, porträtiert er als Menschenfreund abseits des ideologischen Fanatismus und trotz diverser Streitereien als liebevollen Familienvater. Die unterhaltsame Performance des Hauptdarstellers lenkt oft von den biederen Biopic-Konventionen ab, denen der Film folgt.

Es sind, wie auch schon bei den erwähnten Oscar-Darlings "Room" und "Spotlight", überhaupt die Schauspieler, die sich über die berechenbare Inszenierung erheben. Der grandiose John Goodman brilliert als B-Movie-Produzent, der Dalton Trumbo geheim Drehbücher schreiben lässt. Louis C.K., der König der Tragikomödie, hat einen schönen Auftritt als krebskranker Kommunistenfreund der Hauptfigur. Leinwand-Ikonen wie Kirk Douglas oder Otto Preminger werden so köstlich personifiziert, dass man an "Hail, Caesar!" denken muss, in dem die Coen-Brüder das seinerzeitige Hollywood delirös parodieren.

Trumbo

Constantin

"Trumbo"

Maximale Vulgarität und Untergriffigkeit

"Trumbo", meinte ein Freund von mir, hätte ein Drehbuch von Dalton Trumbo gebraucht, um wirklich mitreißend zu sein. Von diesem gänzlich unkontroversen, gediegenen Film über die kontroverseste Epoche Hollywoods jetzt einen Bogen zu einem Werk zu spannen, das sich um maximale Vulgarität und Untergriffigkeit bemüht, ist natürlich eine gewagte Sache. Aber Sacha Baron Cohen, um dessen neuesten Streich "The Brothers Grimsby" es sich handelt, hat durchaus etwas mit Dalton Trumbo gemeinsam. Auch der britische Starkomiker sieht sich als subversiver Stachel mitten im gefälligen Mainstream.

Seine ideologischen Spuren verwischt der Schöpfer solcher ikonisch-idiotischer Figuren wie Ali G., Brüno oder Borat dabei aber stets geschickt. Cohen teilt heftigste spöttische Faustwatschen in alle Richtungen aus, zieht die politische Korrektheit gnadenlos durch den Kakao, wobei dumpfe Konservative und rückschrittliche Hinterwäldler schon noch heftiger einstecken müssen. Mit "Der Spion und sein Bruder", so der deutsche Titel, wendet sich der Meister der schlüpfrigen Hardcore-Satire aber einem vermeintlich harmlosen Genre zu: der Spionage-Komödie.

Mit der realen britischen Stadt Grimsby sollte man das gleichnamige Kaff, in dem die Fäden dieses Films zusammenlaufen, nicht verwechseln. Das fiktive provinzielle Wasteland, freundschaftlich mit Tschernobyl verbandelt, ist der Heimatort von Nobby Butcher, einem arbeitslosen Vater von 11 Kindern. Der durchgeknallte Fußball-Fan wird von Sacha Baron Cohen als watschelnde Proll-Karikatur gespielt, hinter dessen debil grinsender Oberfläche aber ein goldenes Herz ruht.

The Brothers Grimsby

Sony

"The Brothers Grimsby"

Tabubruch-Spektakel mit Klassenkampf-Finale

Unser Working-Class-Antiheld, der wie eine derangierte Version von Oasis' Liam Gallagher aussieht, ist aber nur ein Star dieses Films. Den Kontrapart gibt sein lange verschollener Bruder, der nicht unterschiedlicher sein könnte: slick, durchtrainiert und offensichtlich in behüteten Kreisen aufgewachsen. Vor allem ist Sebastian Butcher (Mark Strong) aber Topagent des MI6, der weltweit Feinde des britischen Empire jagt und exekutiert. Als Nobby zufällig seinen Bruder nach all den Jahren wieder trifft, vermasselt er gleich dessen brenzligste Mission und bald sind die ungleichen Geschwister zusammen auf der Flucht vor Terroristen, Polizisten und dem eigenen Geheimdienst.

Die zentrale Frage, die Liebhaber der Sacha Baron Cohen'schen Saubarteleien spätestens an diesem Punkt stellen werden: Ist der Maestro angepasster geworden? Die Antwort ist ein dick unterstrichenes Nein.

Der berüchtigte Prankster bewegt sich diesmal zwar in einem klassischen Genre-Terrain und manchmal drosselt das Übermaß an Actionszenen (Regisseur Louis Letterier kommt von der "Transporter"-Reihe) den Schenkelklopf-Faktor. Aber feinsinnige Geister sollten in jedem Fall in Deckung gehen und sich lieber der nächsten Toskana-Komödie aus dem Arthouse-Sektor zuwenden. Hier wird mit derbsten Pointen scharfgeschossen.

The Brothers Grimsby

Sony

"The Brothers Grimsby"

Dabei schockt und amüsiert "The Brothers Grimsby" nicht bloß als Tabubruch-Spektakel, in dem Elefantensperma spritzt, Inzestwitze und Fäkal-Zoten auf den Zuschauer herabhageln und ein rabenschwarzer Umgang mit Gewalt solche Pseudoprovokationen wie "Deadpool" verblassen lässt. Dieser Frontalangriff auf den guten Geschmack entpuppt sich letztlich auch als Manifest gegen Snobismus und Upperclass-Werte. Spätestens wenn der Scum aus Grimsby zur Attacke gegen die kapitalistische Elite bläst, Donald Trump inklusive, lässt Sasha Baron Cohen glaubwürdig den Klassenkämpfer raushängen. Und das hätte wohl Dalton Trumbo ausgesprochen gut gefallen.