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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

11. 3. 2016 - 15:54

"Lieber an anständiger Goi als a mieser Jud"

Mit "Der letzte große Trost" legt Stefan Slupetzky eine ebenso berührende wie beeindruckende Familiengeschichte vor. Ein lebensnahes Stück Zeitgeschichte.

In Stefan Slupetzkys Stammbaum vereinen sich Nazis mit Juden. Seine jüdische Mutter überlebte das Dritte Reich mit ihren Eltern in Budapest nur knapp. Sein Vater stammt aus einer ursprünglich polnischen Familie, die sich im Nationalsozialismus sehr hervorgetan und mit einer Chemiefirma wesentlich zur Vergasung Zigtausender Juden beigetragen hat. Die Liebe seiner Eltern zueinander wurde nicht gern gesehen. Während Stefan Slupetzkys Vater umgehend von seiner Nazi-Familie enterbt wurde, meinte sein jüdischer Großvater: "Lieber an anständiger Goi als a mieser Jud."

stefan slupetzky

© Kurt Pinter

Stefan Slupetzky kennt man als Krimiautor der Fälle um den Lemming, ebenso wie als Musiker und Illustrator. 2010 war er Wortlautjuror.

Mehrfach wurde Stefan Slupetzky angetragen, über die Biographie seiner Mutter zu schreiben. Er aber hat sich gefragt, warum er ihre und nicht seine eigene Geschichte erzählen solle.

"Ist es wirklich, weil sie ein wichtigerer Mensch ist, oder ist es, weil sie einfach in eine, sagen wir mal, dramaturgisch reichhaltigere Zeit hineingeboren wurde.
Und ausgehend davon hat mich einfach dieses Spannungsfeld interessiert zwischen den großen, tragischen Geschichten der Kriegsgeneration und diesen vergleichsweise jetzt kleinen, sehr persönlichen Tragödien der zweiten Nachkriegsgeneration."

Persönliche Tragödien gibt es massig in dem Roman "Der letzte große Trost". Komplizierte Beziehungsgeschichten – zu den Eltern ebenso wie zu etlichen Frauen – bestimmen das Leben des Protagonisten Daniel. Sein Alter Ego, erklärt Stefan Slupetzky: "Den hab ich nicht verschont. Da gab es nichts, wo ich gedacht habe, das mag ich jetzt nicht ansprechen, das ist mir peinlich.

buchcover

rowohlt

Stefan Slupetzky: Der letzte große Trost. Rowohlt Verlag 2016

So liest man bemerkenswert offen und überzeugend von einem jungen Mann, von seinen Ängsten, Zweifeln und Hoffnungen. Daniel sucht seine Identität und seinen zu früh verstorbenen Vater. Wie er phantasiert auch Daniel über ein Austeigen aus dem Alltag.

"Er hatte früher oft darüber nachgedacht, dass jede Form der Existenz nur einen winzig kleinen Stein im Mosaik der nicht gelebten Möglichkeiten bildete, dass jeder eingeschlagene Weg nur einer unter Myriaden anderer, nie beschrittener Wege war. Sobald man seine Wahl getroffen hatte, schloss man alle anderen Wahlen, die man hätte treffen können, aus. Der Mensch war einem pausenlosen Abschied unterworfen, einem dauernden Verzicht auf nie gekannte Daseinsvarianten."

Lesungen:
14.03. - 19.00 Uhr
Facultas Dombuchhandlung
Stephansplatz 5,
1010 Wien

30.03. - 19.30 Uhr
Wagnersche Universitätsbuchhandlung
Museumstr. 4,
6020 Innsbruck

Auch wenn sich die eigentliche Handlung nur an zwei Tagen abspielt, wird in vielen Rückblenden eine Familiengeschichte über mehrere Generationen gezeichnet, an deren Stammbaum etliche vertrocknete und verfaulte Blätter hängen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen und Tragödien. Der letzte große Trost muss immer wieder neu gesucht werden. Stefan Slupetzky gibt keine Anwort: "Das Angenehme an diesem Buch war, dass ich es überhaupt nicht darauf abgesehen hatte, mir Antworten zu geben. Ich wollte einfach nur Fragen stellen."