Erstellt am: 11. 3. 2016 - 10:50 Uhr
Not to go bananas
High Heels und Hoden
Diagonale - Festival des österreichischen Films, 8. bis 13. März 2016, Graz
FM4 berichtet während der Diagonale täglich on air und online unter fm4.orf.at/diagonale.
Die Homebase Spezialsendung zur #Diagonale16 vom 10. März gibt es 7 Tage zum Nachhören.
Alles zur Diagonale auch auf orf.at/diagonale16.
In der Vormittagsvorstellung schwingt die Künstlergruppe Gelitin munter ihre Penisse. „Art is the counter concept of capitalism“, erklärt einer der Künstler im Off, denn Kunst muss weder effizient noch effektiv sein. Und der Galerist Leo König vermittelt, was die Performances von Gelitin ausmacht: Plötzlich gleite man entlang nackter, geölter Körper, ohne das groß geplant zu haben. Dann wiederum installiert die Gruppe einen Balkon am Turm 1 des World Trade Centers (vor 11.9.2001), aber König kann sich nicht erinnern, zu sehr war gefeiert worden. Angela Christlieb porträtiert Gelitin kurzweilig, indem sie andere von ihnen erzählen lässt. In kurzen Momenten ist man Zuschauer der Zuschauer einer Vernissage, eine gute Doppelung. Wäre alles im Leben auf Effizienz ausgerichtet, würden wir verrückt, so Gelitin: If everything is efficient, you go banana.
Angela Christlieb hatte von Gelitin eine Kiste voll Hunderter Stunden Material bekommen. "Leute filmen, wir kriegen die Tapes und haben nie Zeit, das anuzuschauen", erklärt Florian Reither von Gelitin beim Publikumsgespräch.
Maria Zieglböck
Apropos New York, New York
1998 drehte Jörg Kalt in New York, zwischen Chinatown und Little Italy. Jetzt hat Nina Kusturica den Film fertiggestellt: ein entzückendes Porträt der „Shops Around the Corner“.
Und apropos Kunst und Markt
Wie man mit einer Gemäldefälschung einer Stiftung zu Aufschwung verhilft, führt "WINWIN" vor. Unter anderem. Der zweite Film der European Film Conspiracy und Regisseur Daniel Hoesl operiert mit euphemistischen Verhandlungsphrasen Neoliberaler und ist weniger Satire als gehofft. Vielmehr ist der Film eine allegorische Erzählung "über die Egozentrik und Aggressivität der modernen Welt", genau davon schreibt Juli Zeh in ihrem aktuellen Roman. Windräder sind in beiden Arbeiten Heilsversprechen für marode Kommunenkassen. Effektivität ist hier die Maxime.
Gerald Kerkletz
Stefan Grissemann hat die Moderation und begrüßt "den eigenwilligen Daniel Hoesl" und dieser wiederum bedankt sich, dass sich das Publikum mit "Winwin" für einen "halbwegs ungewöhnlichen Film" entschieden hat. Stellenweise macht Winwin sehr Spaß. Moderats "Bad Kingdom" ist die Schlussnummer und die wird wenig später Arash T. Riahi im HDA auflegen, bald danach Kavinskys "Nightcrawl". An den Wänden hängen Fotos österreichischer FilmemacherInnen, sie haben einander in Porträts in Szene gesetzt.
Radio FM4
Nightcrawl
"So wie da ist es immer in Graz", erklären Resanita einer Wiener Freundin. In Graz ist man inzwischen durchaus selbstironisch, wir freuen uns von Festival zu Festival vor und wenn schon endlich mal was los ist, immer mitten ins Gewühl, ums mit Element of Crime zu sagen, die zuletzt recht viele Stoffbeutel in der Stadt abgesetzt haben. Im Innenhof zwischen Kunsthaus und HDA drängen sich die Menschen, während die Spätvorstellungen in den Kinos laufen.
Groosproduktion / David Lindinger
Wer vorgestern Nacht "Endzeit" versäumt hat oder gar nicht in Graz sein kann oder will: Die sieben Folgen kann man online anschauen: "Endzeit" ist eine Webserie von Anna und Jan Gross.
Intensives Kino
Innovatives Kino ist intensives Kino. Die AnrainerInnen schauten neugierig beim Fenster heraus, bei der Kurzfilmwanderung war wie nachmittags beim Kurzfilmprogramm Rainer Kohlbergers "not even nothing can be free of ghosts" zu sehen und in einem Innenhof inmitten von Wohngebäuden dröhnte der Sound noch imposanter als im Kino. Ohrenflackern. Was das jetzt gewesen wäre, wollte ein Hausbewohner wissen.
Filme, die regelrecht körperlich etwas mit einem anstellen - dass man sich über sein Balkongeländer beugt und Fremde befragt oder einfach nur den Blick senkt, weil die projizierten Bilder derart hell pulsieren auf der Leinwand - finden sich unter dem Label "Innovatives Kino".
Sixpackfilm
Auf dem Pullover, den Lukas Marxt trägt, jongliert ein Bugs-Bunny-ähnlicher Hase mit Bällen. "Wunderschön und ruhig gelegen" amüsiert mit (Kunst-)Nebel auf einem idyllischen Hügel und bot Anlass für grandiose Publikumsfragen jenseits des Vorstellbaren. War es Absicht, dass das Flugzeug über das Motiv geflogen ist, als gedreht wurde? Antwort: "Das Flugzeug ist drübergeflogen zu dem Zeitpunkt, wo wir gefilmt haben". Kurzzusammenfassung des Films in Form einer Publikumsmeldung: "Ok, jetzt wird es zugenebelt. Ja, jetzt wird es zugenebelt. Und dann das überraschende Ende. War das Ende beabsichtigt?"
Es kann einem bei der Diagonale passieren, dass man im falschen Kino und in einem anderen Film als geplant sitzt. Aber Zufall und Willkür der heimischen FilmemacherInnen halten sich definitiv in Grenzen.
Die Liebe und die Kunst verhandeln
Ganz anders kann es einem bei "Die Geträumten" werden. Da sehnen sich zwei Menschen über Jahre nacheinander, greifen einander an und das Ganze spielt sich überwiegend in schriftlicher Form ab. Was ist davon darstellbar? Ruth Beckermann hat wunderbare Dokumentarfilme gemacht, jetzt inszeniert sie den Briefwechsel der AutorInnen Ingeborg Bachmann/Paul Celan.
Die Liebe der beiden währte länger als die immer wieder in Erinnerung gerufenen glücklichen gemeinsamen Sommermonate; Kränkungen und darauf folgendes Schweigen, um dann zu schreiben, währten nicht weniger lang.
Ruth Beckermann
In diese heftige Geschichte zieht Anja F. Plaschg das Publikum so richtig hinein. Mit dem Schauspieler Laurence Rupp liest sie ausgewählte Briefe in der Kulisse des Wiener Funkhauses ein. Hat man die Rauchpausen der beiden hinter sich gelassen,bannt einen das Drama Bachmann/Celan. Wer sich erwartet, mehr über Anja F. Plaschg aka Soap&Skin zu erfahren, abonniert besser ihren Instagram-Account. Plaschg trägt diesen Film, er ist ohne sie undenkbar. Sie macht, dass man in dieses Drama Bachmann/Celan kippt, das immense Spannung birgt und in dem Kunst wie Liebe verhandelt wird.
Guten Abend, Herr Whistleblower!
Nur ein sehr geringer Datensatz wäre die Korrespondenz Bachmann/Celan für den US-amerikanischen Geheimdienst NSA. Gestern Abend war Bill Binney zu Gast in Graz, der Mann gilt als Whistleblower und ist einer jener Männer, die der Oberösterreicher Friedrich Moser für seine Doku "A Good American" getroffen hat. Nach "Citizenfour" eine weitere Begegnung mit diesem Mann auf der Leinwand, die morgen Samstag noch einmal auf der Diagonale zu sehen ist.