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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 3. 2016 - 17:31

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 09-03-16.

Serien als topaktuelle Polit-Parabeln: "Show Me a Hero" erklärt die Flüchtlingspolitik-Krise, "Akte X" entzaubert Verschwörungs-Theoretiker.

#flüchtlingspolitikkrise #serie #politischesbewusstsein

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Fiktionale Meisterleistungen entstehen immer dann, wenn neben einer konkreten Erzählung eines differenziert beleuchteten Themas auch noch eine darüber hinausgehende Meta-Ebene wirkt und eine größere Geschichte zu erzählen vermag. Wenn etwa eine HBO-Mini-Serie über eine Housing-Krise in New York die europäische Flüchtlings-Situation auf den Punkt bringt; oder der Hort der Verschwörungstheorie den Missbrauch dieses Fragestellungs-Tools dekonstruiert.

Show Me a Hero: lauwarmer Rassismus, eiskalt serviert

Gestern die ersten drei Teile der sechsteiligen, hier von Philipp L'heritier grandios beschriebenen HBO-MiniSerie Show Me A Hero aus 2015 gesehen. Zwischendurch immer wieder kurze Schauer - nicht so sehr wegen der eigentlichen Geschichte (da liegt der Filter der Patina über dieser fast dreißig Jahre alten, realen Begebenheit), sondern wegen der parabelhaften Bezüge zum Hier und Jetzt.

Der Sechsstünder erzählt von den Folgen der Weigerung der Stadt Yonkers (die an die New Yorker Bronx anschließt), vom US-Bundesgericht angeordnete Sozialbauten zu errichten. Die Befürchtung der Mehrheit der 200.000 Bewohner, dass acht dezentrale, über das Stadtgebiet verteilte Wohneinheiten für Einkommensschwache (sprich Minderheiten, in erster Linie Schwarze) die angestammte Stadt-Struktur (weiße Mittelklasse) destabilisieren würden, war stärker als die finanzielle Strafandrohung, die mittels des Schachbrett/Reiskorn-Schmähs innerhalb weniger Tage zum Bankrott der Stadt geführt hätte. Selbst als der titelgebende Nicht-Held (der 28-jährige Bürgermeister Nick Wasicsko) die Durchführung (mehr aus Pragmatik denn aus Überzeugung) endlich durchsetzt, schlägt dem Projekt und allen, die nicht strikt dagegen sind, der Hass und der Widerstand eines mittlerweile alles niederkreischenden Mobs entgegen.

Das alles hat David Simon (Schöpfer der besten Serie aller Zeiten) in fast dokumentarischer Wucht in Szene gesetzt: der lauwarme, von ihnen selber kaum erkannte oder verleugnete Rassismus der Bürger wird in aller Eiseskälte serviert. Und gleicht damit der Dynamik unseres europapolitischen Alltags aufs Haar.

Da ist zunächst einmal die Weigerung, ein Höchstgerichtsurteil anzuerkennen, ein Menschenrecht zuzugestehen. Die durch nichts außer long-distance-Vorurteile und Propaganda begründet ist, die so unterschwellig daherkommen, dass es in der oberflächlichen Analyse gar nicht auffällt und so auch keinen Raum für mögliche Selbstreflexion öffnet - weil die Grundhaltung ab einem gewissen Zeitpunkt einbetoniert ist, weil die Protestbewegung sich rigoros einbunkert. Und das wiewohl die (baulichen) Maßnahmen budgetiert/budgetierbar sind, und die angedachte soziale Durchmengung letztlich allen Vorteile (auch finanzielle, mittel- und langfristig sowieso) bringen. Vor allem auch für die Ökonomie der Stadt/von Europa.

Argumente zählen innerhalb einer Stimmung, die sich aus sich selber heraus unendlich aufgeheizt hat, aber genau nichts. Die lokalen/nationalen Politiker sind öffentlichkeitswirksam bereit sich ins eigene Fleisch zu schneiden und brechen Abkommen, auf deren Basis sie sich eigentlich legitimieren, nur um der Stimmungslage zu genügen. Der Fall Yonkers zeigt in extremis dass die Verantwortlichen eher ihren Untergang in Kauf nehmen, als sich einer (in beiden Fällen unvermeidlichen) Neuverteilung zu stellen, sei es auch nur gedanklich. Die Drastik, mit der sich die public housing-Gegner weigern einen Kompromiss auch nur in Erwägung zu ziehen, gleicht dem aktuellen Zustand der europäischen Gesellschaften wie ein eineiiger Zwilling.

Es gibt nur einen Unterschied.
Im Gegensatz zu Yonkers, wo der Bürgermeister zwar tapfer, aber letztlich positionslos agiert und wie ein Schilfrohr im Wind schwankt (bzw. zu spät aufwacht und deshalb scheitert), verfügt im Sturm der europäischen Krise der Flüchtlingspolitik wenigstens Deutschland (und letztlich eigentlich auch nur der Kern der Regierung Merkel) über eine konstruktive, lösungsorientierte Haltung, die mehr als nur nationalstaatliche Interessen mitdenkt. Und die notfalls (besser: sogar sehr wahrscheinlich) alleine durchführen wird - wie Gerald Knaus, Leiter der "European Stability Initiative" hier unaufgeregt ausführt.

Alle anderen bunkern sich in der Kälte ihres lauwarmen, selbstgefälligen Rassismus und Isolationismus ein, ohne Aussicht auf Chance oder Lösung. 1987 in Yonkers wie 2016 in Europa.

Akte X: Monsterjagd, die zum Zerplatzen einlädt

Kurz vor dem Selbstmord von Wasicsko im Herbst 1993 starten die X-Files ihre Revolution von einerseits dem, was eine Fernseh-Serie sein und andererseits dem, was kritisches Nachhaken beim Vorverdacht jeglicher Vertuschung bedeuten kann; und bildete letztlich die amerikanische Vorahnung von 9-11 ab.

Nun sind Scully und Mulder für eine zehnte (kurze, auch nur sechsteilige) Staffel zurück und die Produzenten nutzen das nicht, um den alten Mythos franchisefördernd aufzublähen, sondern um den zwischenzeitlichen Missbrauch, der mit dem rastlosen verschwörungsaufdeckenden Mulder-Ansatz seitdem getrieben wurde, aufzublatteln. Die aktuellen Akte-X-Folgen (donnerstags im ORF, dienstags auf pro7) räumen mit der eigenen alten Naivität auf und halten den Instrumentalisierern einen Spiegel vor, der zum basiliskgleichen Zerplatzen einlädt.

Am wunderbarsten in Folge 3, die Mulder & Scully Meet the Were-Monster heißt. Das Monster ist letztlich keines, sondern die alptraumhafte Vorstellung einer Groß-Echse davon, wie es sich anfühlt ein Mensch sein zu müssen - die poetisch bestmögliche Beschreibung eines Aliens, auch des irdischen, in dessen Beschreibung der Welt wir uns wiederfinden könnten, wenn wir wollten. Der wirkliche serial killer ist ein mit milizartigen Aufgaben selbstbetrauter Tierfänger; also auch wieder der Mob, der diese Erkenntnis abblockt und der sich seines Rassismus gar nicht bewusst sein will.

Auch hier liegt die Brillanz nicht nur in der ironisch-gebrochenen Selbstreferenzialität eines sich selber infrage stellenden Denksystems, sondern auch in der parabelhaften Übertragbarkeit, in der Allgemeingültigkeit des Gleichnisses und vor allem in einer darüber dann möglichen augenöffnenden, tagesaktuellen Kommentierung.