Erstellt am: 9. 3. 2016 - 09:00 Uhr
George Martin (1926-2016)
I read the news today, oh boy. George ist tot. Jener George, der in Paul McCartneys Anekdoten so oft gemeint war, wenn man sich dachte: Was, das hat Harrison getan/gesagt? Nein, der George war's. Insgesamt betrachtet wohl (kontrovers) der einflussreichere der beiden Georges.

Capitol Records
Voran eine Entschuldigung: Ich bin gerade dabei, mich aus dem von Wind und Wetter gebeutelten Kent auf eine tagelange Fahrt nach Wien zu machen, habe also nur ein paar Momente Zeit für ein paar erste Gedanken, aber wo sie in den BBC-Nachrichten schon so Enten loslassen, wie dass George Martin „de facto die Mehrspuraufnahme erfunden“ hätte, halten wir besser kurz ein paar Wahrheiten fest:
Nicht nur, dass George Martin verstand, wozu die Beatles im Stande waren, während andere - wie berühmterweise Dick Rowe von Decca (der bei Weitem nicht der Depp war, als den die Popgeschichte ihn karikiert) - ihre Talente übersahen.
Sein Zusammentreffen mit der Band war zunächst einmal deshalb so ein großer Glücksfall, weil er über das Format hinauszudenken wusste. Als musiktheoretisch geschulter Alleskönner warf er auf dem Fließband jene Arrangements aus, die den formal ungebildeten Beatles bald ihre Beethoven-Vergleiche einbringen sollten.
Das ist der Luxus, jemand im Studio zu haben, der beim Hören der Roh-Version von "Yesterday" die Frage "Warum nicht mit einem Streichquartett?" zu stellen und selbst zu beantworten weiß.
Er schaffte es aber auch, sich in eine LSD-Fantasie wie „Strawberry Fields“ hinein zu versetzen, ohne sich dabei selbst an den Popstar-Lifestyle der Zeit anzubiedern.
George Martin wurde nicht zum Drogenwrack wie Phil Spector. Er blieb straight.
Und einen offenherzigen straight guy als Editor im Studio zu haben, der die Essenz der Drogen-Träume ausfilterte und in Nachtschichten deren verstiegenere orchestrale Auswüchse verwirklichte – nicht ohne Rückgriff auf das eine oder andere „klassische“ Klischee - , das war unbezahlbar.
Noch ein Glücksfall war Martins Schulung im collagen-haften Arbeiten mit dramatischen Sound-Effekten als Produzent von Comedy-Platten von innovativen Komikern wie Spike Milligan und Peter Sellers. Als die Beatles Sgt. Pepper mit Sounds aus dem EMI-Archiv würzten, wusste Martin ganz genau, welcher laughter track wo zu finden war.
Und als Paul McCartney die Idee hatte, in den Mix von The Void (Tomorrow Never Knows) Tape Loops live einzufliegen, traf ihn das nicht unvorbereitet.
George Martin gab den Beatles Technicolor.
Und nicht alles, was er tat, war richtig: Er verstand zum Beispiel das Konzept von Stereo nicht und mixte die Zutaten radikal links oder rechts, anstatt ein gefächertes Klangbild im Raum zu bauen.
Ein Problem, an dem die Stereo-Ausgaben der Beatles heute noch leiden.
Mit dem "Yellow Submarine Soundtrack" aus den späten Neunzigern und dem jüngsten Remix des "#1"-Albums wurde das in Bruchstücken korrigiert, die Remasters der LPs bis Sgt. Pepper klingen aber immer noch wesentlich besser im Mono Mix, auf den Martin sich seinerzeit als dominantes Format konzentrierte (es zahlt sich aus, die Original-Mono-LPs oder die vergriffene Mono-Box aufzutreiben).
Zu seinen weniger bekannten großen Verdiensten gehört auch, dass er eine meiner Lieblings-Sixties-Bands, die Nord-Londoner Mod-Surf-Soul-Combo The Action unter Vertrag nahm und produzierte.
Was wiederum neben seiner Arbeit mit den Beatles die vielleicht bewundernswerteste von George Martins Qualitäten demonstriert:
Als altvorderer Ex-Marine-Offizier trat er diesen ungeschliffenen Working Class-Bands ohne den damals erwarteten Snobismus gegenüber.
Er hörte ihnen zu und schaute nicht auf sie herab.
Und das – verbunden mit dem gesunden Selbstbewusstsein der Beatles – ermöglichte erst die Transformation des Pop vom unbedeutenden Zweig der Entertainment-Industrie zu einem explosiven Selbstermächtigungsinstrument des jungen Pöbels.

APA/AFP/NIURKA BARROSO
Egal, ob Sir George Martin dieser Aspekt überhaupt bewusst war, seine Offenheit gegenüber diesen vier Rüpeln aus dem Norden riss ein Fenster des kulturellen Egalitarismus auf. Wenngleich nur für kurze Zeit.