Erstellt am: 10. 3. 2016 - 17:19 Uhr
Heimisches Kino hat keinen Ort
Diagonale - Festival des österreichischen Films, 8. bis 13. März 2016, Graz
FM4 berichtet während der Diagonale täglich on air und online.
Eine Homebase Spezial widmet sich der #Diagonale16 am 10. März.
U.a. wird dabei auch das Thema "Flucht auf der Diagonale" behandelt.
Alles zur Diagonale auch auf orf.at/diagonale16.
Grenzen spielen dieser Tage leider eine zentrale Rolle. Umso erfreulicher, dass sich die frisch gebackenen Intendanten der Diagonale, Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, auf die Fahnen schreiben, diese Grenzen innerhalb des Festivalprogramms zu sprengen. Eine Österreich-Fahne kann man zwar irgendwie auch im neuen Logo verorten, aber eben aufgesplittet. Nicht ganz ohne Hintergedanken. Speziell innerhalb des "Festivals des österreichischen Films" ist es essentiell zu hinterfragen, was diese Marke "Österreich" eigentlich bedeutet. Da könne man schnell in plumpe, nationale Fahrwasser geraten, so die Intendanten. Aber das Festivalprogramm werde sich nicht ausschließlich zwischen Boden- und Neusiedlersee verorten, betonen sie.
Was kann nun ein Festival, das sich auf das heimische Filmschaffen konzentriert, nachhaltig bewirken? Es kann über die Grenzen hinausfühlen, es kann Diversität abbilden, ohne Klischees bedienen zu müssen, es kann MigrantInnen – neue ÖsterreicherInnen – und deren Lebensrealitäten auf eine Weise abbilden, wie es der tagespolitische Medienzirkus niemals auf die Reihe bringen würde. Nicht romantisieren, nicht verteufeln - sondern schlicht als Teil einer verschränkten, also globalisierten Gesellschaft spürbar machen.
Takacs Filmproduktion
Paradies! Paradies! läuft innerhalb der Diagonale am Freitag, 11. März, um 20.30 Uhr, im Schubertkino und am Samstag, 12. März, um 16.00 Uhr, im UCI Annenhof Saal 5.
Kamera im Handgepäck
Wir befinden uns in einem zuckerlrosa Hello-Kitty-Kinderzimmer. Es könnte ein x-beliebiges Kinderzimmer irgendwo in Österreich sein, ist es aber nicht. Tatsächlich befinden wir uns im Irak, genauer gesagt im irakischen Kurdistan. Hierher begleitet die junge Regisseurin Kurdwin Ayub ihren Vater, besucht Verwandte, Onkel und Tante, die kleinen Cousins und die Cousine. Und dank ihrer Videokamera, die sie - so wirkt es - keine Sekunde aus der Hand gibt, nimmt sie uns mit auf die Reise. Kurdwin Ayub lebt, wie auch ihre Eltern, in Wien. Die Verbundenheit zur zweiten Heimat soll aber aufrecht erhalten werden. Speziell Kurdwins Vater ist das ein großes Anliegen, der diese Reise in den Irak vor allem dafür nützt, um nach einer Wohnung zu suchen. Und es ist nicht das erste Mal, dass ihn Kurdwin mit der Kamera begleitet. Das tat sie schon in "Familienurlaub", der 2012 ebenfalls auf der Diagonale zu sehen war.
Warum er sich eine so teure Wohnung hier kaufen wolle, obwohl er in Österreich lebe, fragt Kurdwin ihren Vater einmal, während die beiden von einer Maklerin herumgeführt werden. Eine Wohnung sei eine Investition, antwortet er. "Wenn es in Österreich einmal regnet, kann ich herkommen", sagt er etwas später, als sie wieder im Auto sitzen. Draußen regnet es. Wohnen könnten sie auch immer bei den Verwandten. Eine eigene Wohnung hat hier aber eine spezielle Funktion: Wurzeln schlagen in der einstigen Heimat. Auch wenn man nicht da ist, die Wohnung ist es dann zumindest.
Takacs Filmproduktion
Zwischen IS und deutschem Schlager
Bei all den Erlebnissen, die der Film bietet, ist es die Unaufgeregtheit, mit der alles passiert, die Paradies! Paradies! so faszinierend und kurzweilig macht. Der Krieg ist gegenwärtig, wird aber nicht mystifiziert. Einmal werden Kurdwin und ihr Vater, ein Arzt, der großen Respekt der lokalen kurdischen Streitkräfte genießt, in eine Gefahrenzone mitgenommen. In der Ferne sind IS-Stützpunkte auszumachen, über die Funkgeräte können sie IS-Kommandos abhören. Gleichzeitig herrscht eine gewisse Ruhe. Die kurdischen Soldaten stehen in Gruppen zusammen, posieren, lassen sich gemeinsam mit dem Arzt fotografieren, stets Zeige- und Mittelfinger zum Friedenszeichen gespreizt. Dazwischen Kurdwin Ayub mit ihrer Kamera.
In einer anderen Szene steht dann Kurdwins kleiner Cousin vor einem Beamer im Kinderzimmer und wackelt mit dem Po zu "Du hast den schönsten Arsch der Welt" von Alex C. Plötzlich könnte diese Szene wieder genau so in Österreich stattfinden. Dieses Nebeneinander lässt die Grenzen verschwimmen, rückt Kurdistan näher an uns heran. Ebenso, wie es auch der Kauf einer Wohnung für Kurdwins Vater näher rücken lassen würde. Am Ende hören wir eine arabische Version von "Paradise City" (vom ägyptischen Musiker Bosla) - hier ist das Paradies. Und das Hier kann überall sein.
Es ist dieser Spirit, der sich auch außerhalb von Paradies! Paradies! quer durchs Diagonale-Programm zieht.
Golden Girls Film
Stiere werden zu Diplomaten
Korida läuft am Donnerstag, 10. März, 18.00 Uhr, UCI Annenhof Saal 6 und am Sonntag, 13. März, 16.30 Uhr, UCI Annenhof Saal 6.
Ortswechsel: Stipe trägt ein Chicago-Bulls-Kapperl. Stipe ist auch Stierzüchter, aus Österreich in seine Heimat Bosnien zurückgekehrt, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Und er brennt für den traditionellen bosnischen Stierkampf - die Korida. Einer von vielen. Es sind Menschen wie Stipe, denen Regisseur Sinisa Vidovic nachspürt, um den Stellenwert dieses Events auf die Leinwand übersetzen zu können. Dafür kehrt der in Kroatien geborene und in Österreich lebendende Regisseur Vidovic zwanzig Jahre nach Kriegsende zurück in die Heimat. Die Korida, bei der eben nicht Stier auf Torero, sondern Stier auf Stier stoßen, scheint eine einende Wirkung auf die differente Nachkriegsgesellschaft Bosnien-Herzegowinas zu haben; SerbInnen, KroatInnen und MuslimInnen näher zueinander zu rücken. Aufeinanderprallende Bullenköpfe hebeln nationale Konzepte aus, werden zu Vermittlern.
Die Liste an Filmen auf der diesjährigen Diagonale, die das Phänomen Heimat verhandeln, kann man noch lange fortführen. Der Titel "Zuhause ist kein Ort" bringt es griffig auf den Punkt. Und dieses ständige Hinterfragen von Begriffen der Ein- und Abgrenzung ist besonders in Zeiten des verstärkten realpolitischen Grenzenziehens essentiell.