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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

9. 3. 2016 - 18:02

Kampfläufer ums Glück

Juli Zeh hat einen bedrohten Vogel im Balzkleid auf das Cover ihres neuen Romans gesetzt. Ihr "Unterleuten" führt aufs Land und zugleich mitten in die Gegenwart.

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Aufs Land, gerade mal eine Autostunde von Berlin entfernt, begibt man sich mit Juli Zehs neuem Roman. „Unterleuten“ führt in ein fiktives Dorf in Brandenburg und rollt all die Fragen der Gegenwart auf, die einen umtreiben.

Dabei ist es allen voran der Kampfläufer, ein schützenswerter Vogel, der als Schutzschild gegen Windradinvestoren herhalten sollte. Als großer Gesellschaftsroman angekündigt, überrascht Juli Zeh einmal mehr mit dieser Geschichte, die ein groß angelegter Zugriff auf 700 Seiten ist.

Das Cover zu Juli Zehs Roman ziert ein Vogel: der "Kampfläufer" mit außergewöhnlich flauschigen Federkranz um den Kragen

Random House

Der Roman "Unterleuten" von Juli Zeh ist diese Woche bei Luchterhand erschienen.

"Dörfer wie Unterleuten hatten die DDR überlebt und wussten, wie man sich den Staat vom Leibe hielt. Die Unterleutner lösten Probleme auf ihre Weise. Sie lösten sie unter sich."

"Unterleuten" ist jedoch nie Satire, rutscht nie ab ins Lächerliche. "Unterleuten" ist ein höchst amüsantes Buch. Auf jeder Seite findet sich Zehs kluger Humor, der Menschen ernst nimmt, dennoch die Banalitäten von Verhaltensweisen pointiert beschreibt und Maxime veranschaulicht.

"Vor einigen Wochen hatte Kron seine Enkelin im Kindergarten abgeholt und zufällig mitgehört, wie die Betreuerin einer jungen Mutter erklärte, dass die 'Bastelkompetenzen' ihres kleinen Sohnes leider nicht der Norm entsprächen. Es war nur Krönchens strahlenden Augen zu verdanken gewesen, dass Kron nicht handgreiflich geworden war."

Zehs Roman lebt von den tollen Charakterisierungen ihrer Hauptfiguren, derer es diesmal ein Dutzend gibt. Die Verteilung der Sympathien ist eine heikle Frage: Auf wen setzt man als LeserIn in diesem Geschehen? Die einen zieht die Sehnsucht nach Naturidyllen in die Provinz, die anderen wiederum haben es nicht weggeschafft. Den Überblick zu wahren, ist hingegen keine Herausforderung. Von der Perspektive eines Protagonisten zieht sich die Handlung weiter zum nächsten, wird durch die allwissende Erzählstimme wieder ein Stück in einen anderen Fokus gesetzt. Zehs offenkundige Lieblingsstreitthemen - Selbstoptimierung, die Verhandlung von Freiheit und politischen Systemen - spiegeln sich in den Lebensmodellen. Wie weit lässt sich die Wirklichkeit zugunsten eigener Vorteile in den Köpfen anderer verschieben?

Die Erzählmeisterin Zeh vermag etwa mit einer Seite klarzumachen, wie sich Verrat anfühlen muss. Arne Seidler, der Bürgermeister, war in der DDR Veterinäringenieur gewesen, in der BRD fand seine Ausbildung keine Anerkennung. "Er hatte genug Tiere in den Tod begleitet, um zu wissen, wie es aussah, wenn ein Wesen kämpfte. Barbara kämpfte nicht. Es war, als hätte ihr die untergehende DDR ein Loch in den Kopf gebohrt, durch das sich ihre Seele geräuschlos davonstahl." Wenige Wochen nach dem Tod der Frau erfährt Seidler durch einen Zufallsfund von der Stasi-Tätigkeit der geliebten Frau. Wie klar Juli Zeh ihre ProtragonistInnen agieren lässt, rührt und unterhält.

Ein Knäuel, das Wirklichkeit bildet

Juli Zeh

Thomas Müller

Juli Zeh lebt selbst in Brandenburg

Es sind die Geschichten, Geheimnisse und Gerüchte, die in "Unterleuten" ein verzweigtes System geschaffen haben, das sich aus Schulden und Versäumnissen von Jahrzehnten speist. Bald haben auch die frisch aus Berlin zugezogenen Paare eine Rechnung mit ihren vermeintlich Nächsten offen. Als ein Investor für Windenergie vor der gesammelten Gemeinde keine Alternative zulässt, beginnt ein Interessenskampf. Nichts weniger steht auf dem Spiel als das jeweils eigene Glück.

Beim Lesen stellt sich eine Vorahnung ein, dass es inmitten der ruhigen Landschaft zum Eklat kommen könnte. Dass nicht nur die ohnehin in ihrer Zahl dezimierten Schnepfenvögel in ihrer Existenz bedroht sind. Seite um Seite will man wissen, was da eigentlich abgeht und wie strategisch weit hier gedacht wird. "'Der eine denkt sich was bei dem, was er tut. Jemand anderer unterstellt ihm ein völlig anderes Motiv und der Dritte denkt nochmal was darüber. So entsteht ein wahnsinniges Knäuel und das ist hinterher die Wirklichkeit", sagte Zeh kürzlich dazu. "Und das zu häkeln, hat mir irrsinnig Spaß gemacht!"