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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

7. 3. 2016 - 17:26

Hilflos an der Grenze

Idomeni - Mehr als 14.000 Flüchtlinge warten unter schockierenden Bedingungen auf eine Weiterreise an der griechisch-mazedonischen Grenze. Die Balkanroute sei jetzt geschlossen, soll es in einer vorbereiteten Gipfelerklärung heißen.

Omar steht aufgeregt vor dem Grenzübergang in Idomeni, zusammen mit anderen syrischen Flüchtlingen. Der 40-jährige Zahnarzt aus Aleppo ist gerade aus einem Lager in der Nähe zur Grenze gekommen, um die Situation einzuschätzen. Auf dem schlammigen Boden sitzen erschöpft Mütter mit ihren Babys in den Armen. Es rührt sich nichts. Es ist 10 Uhr morgens und bis jetzt konnten nur einige Flüchtlinge die Grenze überqueren. Omar ist verzweifelt: "Wir haben keine Information zum Stand der Dinge. Wir sind verwirrt. Wir wissen nicht was wir machen sollen", sagt er. Am Wochenende haben die mazedonischen Grenzbehörden die Einreiseregeln weiter verschärft. Es werden nur noch Schutzsuchende durchgelassen, die aus Kriegsgebieten kommen. Mazedonien begründet die Einschränkungen mit dem Verhalten seiner nördlichen Nachbarn, die ähnlich verfahren würden, so Medienberichte.

Grenzübergang Idomeni

APA/AFP/Louisa Gouliamaki

Omar hat einen Mann aus Damaskus getroffen, der gerade an der Grenze zurückgeschickt wurde. Neben ihm ein junger Familienvater in einen Rollstuhl, der ebenfalls mit seinen Kindern abgewiesen wurde. "Wir rennen alle vor Bomben, vor Kriegsflugzeugen weg. Europa hätte vor einem Monat sagen sollen, dass wir in Syrien bleiben sollen. Dass es den Europäern egal ist, was mit uns passiert." Schutzsuchende werden von den Grenzbeamten in Mazedonien oft gedemütigt, berichten Helfer vor Ort.

Ein paar Meter von der Grenze entfernt versucht Taisir auf einem Feld einen Platz zu finden, um ein kleines Zelt für seine Familie aufzubauen. Der 47-jährige Mann hat in Dresden studiert und gearbeitet. Er ist im Jahr 2006 nach Aleppo zurückgekehrt und hat dort einen Schuhladen eröffnet. Nun ist alles Geschichte. Er hat versucht mit seiner Familie in Nachbarländer Syriens zu fliehen. Libanon und Jordanien. Doch nirgendswo wurden sie aufgenommen, sagt er. Taisir will jetzt seine Familie in Sicherheit bringen. "Nur nach Deutschland. In Österreich will ich mich keine Minute aufhalten", sagt er hinsichtlich der aktuellen Haltung Österreichs in der Flüchtlingsfrage. Neben ihm steht eine lange Schlange von Flüchtlingen, die schon seit Stunden auf ein Sandwich warten. Das Lager in Idomeni war eigentlich für 2.000 Personen ausgelegt, die sich hier vor der Grenzüberquerung kurzfristig aufhalten sollten. Seitdem die Balkanroute quasi dicht gemacht wurde, harren über 14.000 Schutzsuchende in Idomeni aus - in der Hoffnung durchzukommen. Unter den Flüchtlingen sind etwa 4.000 Kinder. Viele sind schon seit mehr als zwei Wochen im Lager.

Flüchtlinge schlafen bei niedrigen Temperaturen unter freiem Himmel, Kinder laufen barfuß in Urinschlamm herum, manche haben sichtbare Verletzungen von den tagelangen Strapazen. Die Sanitäranlagen reichen nicht aus, die Lebensmittel auch nicht. Immer wieder starten Aktivisten und internationale Hilfsorganisationen Spendenaufrufe, um warme Mahlzeiten, Zelte und saubere Kleidung zu organisieren. Die Situation ist besonders für Kinder gefährlich. Am Montag wurde ein 13-Jähriger aus Syrien schwer verletzt, als er auf ein Kabel an einem stehengebliebenen Zug stürzte und einen Stromschlag erlitt.

Gefährliche Situation speziell für Kinder

Taisir macht sich große Sorgen um seine Familie: "Wenn ich allein wäre, würde ich irgendwo schlafen. Aber die Kinder - das ist das Problem. Jetzt regnet es, was passiert mit den Kindern?", will er wissen. Vor dem Zelt der ΝGO "Ärzte ohne Grenzen" warten mehrere Menschen, darunter Mütter mit ihren kranken Kindern. Ein Krankenwagen holt ein Baby mit schweren Atemproblemen ab.
Christian Reynders, stellvertretender Koordinator der Organisation, betont, wie gefährlich die Situation insbesondere für die Kinder sei. Einer der vielen Gründe seien die improvisierten Feuer, die die Menschen entzünden, um sich zu wärmen. "Oft verbrennen sie Plastikabfall, was sehr toxisch ist. Jeden Tag haben wir Fälle von Kindern mit Atemproblemen. Auch Neugeborene müssen wir oft mit Sauerstoff versorgen oder ins Krankenhaus schicken", sagt Reynders.
Am Sonntag hatte die griechische Regierung angekündigt, bis Ende der Woche 15 weitere Hotspots mit Kapazitäten für rund 17.400 Personen einzurichten.

Grenzübergang Idomeni

APA/AFP/Louisa Gouliamaki

Formulierungs-Hickhack

Beobachter schließen nicht aus, dass die Flüchtlinge in den kommenden Tagen von der Polizei aus Idomeni in die neuen Lager gebracht werden. "Auch wenn keine Polizeioperationen stattfinden, werden sie bald aufgeben", sagt ein griechischer Polizist, der anonym bleiben will. "Wenn die Balkanroute schließt, werden alle Hilfsorganisationen ihre Strukturen von hier wegverlegen und dann werden die nirgendwo mehr Hilfe bekommen", fügt er hinzu. In Brüssel, wo gerade der EU-Sondergipfel stattfindet, spielt man mit den Wörtern. Im Abschlussdokument will Kanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker nach Angaben von Diplomaten die Bezeichnung "Balkanroute geschlossen" nicht so konkret formuliert haben.

"Die Grenze ist geschlossen", sagte schon vor ein paar Tagen der stellvertretende Migrationsminister Giannis Mouzalas ganz klar und wies darauf hin, dass mehrere tausend Flüchtlinge in Griechenland stecken bleiben würden. Zu Beginn hatte man mit 50.000 Flüchtlingen gerechnet, jetzt geht man sogar von bis zu 150.000 aus.

Laut Angaben des UN-Flüchtlingsrats sind mehr als 90 Prozent aller Menschen, die von der Türkei aus mit Booten nach Griechenland kommen, Flüchtlinge aus Kriegsregionen. Am heutigen EU-Sondergipfel strebt der griechische Premierminister Alexis Tsipras eine rasche Umsiedlung der Flüchtlinge in die EU an. Beobachter warnen davor, dass die Grenzschließung Griechenland das bereits instabile Krisenland weiterhin destabilisieren werde.

Omar, der Zahnarzt aus Aleppo hält nicht viel von dem Umsiedlungsprogramm. Er fürchtet, dass er dann nicht in sein Zielland Deutschland komme und dass der Prozess sehr lange dauern werde. "Wir hoffen, dass sich eine andere Route für uns öffnet. Durch Albanien, oder Bulgarien", sagt Omar. "Nichts ist wichtiger als die Sicherheit meiner Kinder. Nur in Deutschland können wir in Sicherheit leben."

Grenzübergang Idomeni

APA/AFP/Louisa Gouliamaki

Offener Brief aus Griechenland

Wiens aktuelle Haltung in der Flüchtlingsfrage wird von in Griechenland lebenden und arbeitenden Österreichern scharf kritisiert. Mit einem offenen Brief appellieren sie an die Vernunft und Mitverantwortung Österreichs in der Organisation des Flüchtlingsstroms. "Wir appellieren an die Vernunft, nichts unversucht zu lassen, Europa vor kurzsichtigem Neo-Nationalismus zu schützen. Österreich sollte angesichts seiner geschichtlichen Vergangenheit, insbesondere auf dem Balkan, alles tun, um in diesen schwierigen Zeiten eine besonnene, tragfähige, weitblickende und vor allem eine auf den Ideen der Aufklärung und Menschlichkeit basierende Politik durchzusetzen", schreiben sie unter anderem in ihrem Appell.