Erstellt am: 8. 3. 2016 - 06:00 Uhr
Bohrmaschinen
Am internationalen Frauen(kampf)tag gibt’s ums Eck ein Glaserl Sekt gratis "für die Ladies" und im Club eine Rose für die, die dem Türsteher das Codewort "High Heels" zuflüstern. Cousin Franzl legt uns auf Facebook nahe, dass "internationaler Frauentag" früher "Waschtag" hieß und überall tippen Menschen "internationaler frauentag wiki" in sehr kleine Telefontastaturen.
Anna Kohlweis
Ich kann mich an eine einzige Unterrichtseinheit erinnern, in der ich in der Schule nicht hauptsächlich über weiße Männer lernte: Frauen in der Kunstgeschichte. Eine einzige Unterrichtseinheit.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das Wort "Feminismus" zum ersten mal hörte. Vielleicht in Stammtischwitzen, bei denen Männer über "Emanzen" lachten.
FM4 zum Frauentag
Junger Feminismus, Geschlechterrollen in Fernsehserien, Frauen auf der Flucht und viel mehr: FM4 befasst sich am Internationalen Weltfrauentag on air und online mit verschiedenen Themen rund um das Thema Feminismus und Gleichstellung der Geschlechter.
Wegen der Namensähnlichkeit stellte ich mir "Emanzen" wie "Amazonen" vor und beide ein bisschen wie Freundinnen meiner Oma, die laut redeten, hart arbeiteten, oft in unterbezahlten Pflegeberufen tätig waren und deren fester Händedruck mich als introvertiertes Kind mit Berührungsängsten immer erschaudern ließ. Sie waren der Schnittpunkt zwischen Angst und Respekt und einem leisen Verdacht, dass es vermutlich sie waren, die heimlich die Welt zusammenhielten.
Ich wollte damals kein Mädchen sein, weil außer Ronja Räubertochter alle meine Helden Jungs waren und ich in meinen Berufswünschen (Zirkusdirektor, Ritter, Tigerdompteur) noch nie eine Frau gesehen hatte. Mädchensein war uncool wenn man kein Interesse am Prinzessinnenimage hatte und als prä-Internet Kleinstadtkind nicht über den Prinzessinnentellerrand hinaussah. Irgendetwas in mir wollte sich an den wenigen weiblichen Charakteren im Nachmittagsfernsehen festhalten, rutschte aber an ihrer Eindimensionalität ab.
Als Teenager schien der Begriff "Frau" dann nicht nur mindestens eine Schuhgröße zu groß, sondern eher wie ein falsches Modell. Die Frauenbewegung war ein mir unbekanntes Kapitel der Geschichte und im Internet musste ich tief graben, um Musik von Frauen zu finden, die sagte, was ich in die Welt hinausbrüllen wollte.
Und so gerne ich immer alles alleine und ohne Vorgaben aus dem Nichts erschaffen wollte, so war's dann doch klar, dass man nicht leben kann, was man nicht schon als Lebensmöglichkeit gesehen hatte.
Kurz nach der Jahrtausendwende fand ich dann unter anderem Ani Difranco, da fing dann der Begriff "Frau" langsam an, Sinn zu machen. I am 32 flavors and then some. Und: Why can't all decent men and women call themselves feminists? Out of respect for those who fought for this.
Damals war das riesengroß.
Ich habe gelernt, dass Feminismus keine Liste von Regeln und kein Verein ist, sondern eine Diskussion über Gleichberechtigung in der Welt, in der wir leben möchten. Eine Welt, in der wir nie aufhören zu lernen, und in der wir uns alle mit unserem Glauben an Gleichberechtigung über die Jahre verändern. Wir lernen, als weiße Feministinnen mal die Klappe zu halten, um den PoC unter den Feministinnen mehr, viel mehr Platz zu geben. Wir lernen, Transfrauen mehr, viel mehr Platz zu geben. Weil es darum geht, dass wir alle die selben Chancen im Leben haben. Feministisches kritisches Denken hört ja beim Hinterfragen einer Männerwelt nicht auf. Wenn wir schon dabei sind, können wir auch gerne in unserem eurozentrischen Weltbild herumstochern. Fantastisch! Alles untertunneln! Alles gemeinsam untergraben! Löcher in diesen Käse bohren! Holt die Schaufeln!
Anna Kohlweis
Für mich wurde das Wort "Feminismus" ein Ankerpunkt für sehr weitläufige Diskussionen. Ich habe gelernt, dass es einfacher ist über diese Welt zu reden, wenn man sich Vokabular schafft. Ich habe auch gelernt, dass selbst wenn ich behaupten würde, keine Feministin zu sein, FeministInnen für meine Rechte kämpfen würden.
Dieser Frauenkampftag ist sowieso immer, was wir uns daraus machen. Feminismus ist, was wir uns daraus machen. Beides ablehnen, weil Leute, die man nicht mag, Teil davon sind, ist doch Unfug. Mensch sein heißt doch immer, mit der gesammelten Absurdität seiner selbst und allen anderen konfrontiert zu werden. Klar kenne ich FeministInnen, die ich nicht mag. Deswegen versuche ich ja auch eine zu sein, die manche mögen.
Ich wünsche mir, dass man sich an diesem Tag und allen anderen an die Frauen erinnert, die unnachgiebig für unsere jetzt selbstverständlichen Rechte kämpften; an sie und all die anderen wichtigen Frauen in der Geschichte dieser Welt, die den meisten von uns auf unserem Bildungsweg verschwiegen werden. Ich wünsche mir eine Welt, in der diese Ungerechtigkeit jungen Männern genauso oft auffällt wie jungen Frauen.
FM4 Auf Laut
Mein Feminismus - Was sind die aktuell wichtigen feministischen Fragen und Herausforderungen aus ihrer Sicht? Am Dienstag, den 8. März, von 21 bis 22 Uhr auf FM4 und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.
- Mitdiskutieren unter 0800 226 996
Ich erinnere mich an Gespräche, in denen Freunden langsam Dinge klar wurden, die Freundinnen nicht nur schon lange klar, sondern Teil unserer Identität geworden waren: eine spezielle Wut im Bauch, Wachsamkeit zum Selbstschutz, die Tatsache, dass wir alle oft "ich bin in einer Beziehung" als Fluchtmöglichkeit benutzten, weil ein Mann kein "nein" von einer Frau akzeptierte, sondern nur die Besitztümer anderer Männer. Eine endlose Liste solcher alltäglicher übler Details als Rattenschwanz einer ebenso endlosen Liste, die bei Lohnunterschieden anfängt und bei körperlicher Gewalt noch lange nicht aufhört.
Und so oft danach ein erschrockenes: "Mir war das nicht bewusst. Ich muss mehr zuhören. Ich muss was sagen, wenn andere Männer scheiße reden. Scheiße."
Ja.
Es ist doch alles ein Prozess. Wir machen Fehler und lernen. Es ist alles sehr komplex. Aber es ist auch alles unser aller Problem.
Problemlösung macht viel Arbeit. Arbeit, die spannend und revolutionär, traurig und lustig, wütendmachend und manchmal unglaublich frustrierend ist. Manchmal mag ich einfach nicht mehr. Dann stelle ich mir aus irgendeinem Grund vor, wie ein Haufen Suffragetten auf irgendeiner Wolke sitzt und Party macht. Und dann geht’s meistens wieder. Fröhliches Weiterbohren!
Anna Kohlweis