Erstellt am: 16. 3. 2016 - 12:13 Uhr
Es ist nicht mehr, als da geschrieben steht
Drastische Bilder, hat Maria Lassnig eine Bilderserie genannt, auf der sie etwa nackt zu sehen ist, eine Pistole gegen die eigene Schläfe, eine Pistole in Richtung Betrachterin und Betrachter gerichtet. Drastisch deswegen, weil die Bilder eindeutig sind, nicht mehr dahinter steckt als das Offensichtliche. Genau so verhält es sich mit "Der Jonas-Komplex". Wenn der S. Fischer Verlag also ankündigt, es gehe hier um die entscheidenden Fragen im Leben, wie etwa Wer will ich sein?, stimmt das nicht. Hier geht es um einen Buben, der eine räudige Kindheit in der Weststeiermark verbringt, um einen devastierten Schriftsteller und um Jonas, der zum Südpol muss, weil Marie das so will.
Verstecken spielen
S.Fischer Verlage
Marie will eine existentielle Erfahrung machen. Eine Expedition zum Südpol, unbegleitet, allein mit Jonas, auf Schiern und mit einem Schlitten. Jonas ist skeptisch und ziert sich. Aber irgendwann, rund um die Seite 500 brechen die beiden dann doch endlich auf. Davor hat sich Jonas von seinem Anwalt Tanaka sehr oft auf der Welt verstecken lassen. Das masochistische Spiel funktioniert so: Jonas wird in Tiefschlaf versetzt, irgendwohin verfrachtet, wacht dort auf und muss schauen, wie er wieder weg kommt.
Es gibt Redundanzen, im Text und in der Sprache, aber das stört nicht unbedingt, sondern führt eher dazu, dass sich all das sehr leicht liest. Man muss wenig nachdenken, ständig wird neue Handlung produziert und man zieht sich das rein wie eine Serie: fiebrig auf den nächsten Effekt wartend.
In entrückter Skurrilität liest sich jene Erzählebene, die von Jonas´ räudiger Kindheit in der Weststeiermark handelt. Geprägt von einer saufenden Tante, dem Schachspiel, dem Verlust fast aller Bezugspersonen und einem übermäßigen Konsum von Milchbrot, erinnert dieser Jonas entfernt an den dicken Buben aus "Wie man leben soll". Er hat Großes vor, weiß aber nicht, wie er es erreichen soll.
Im Rausch verschwinden
In keinem ersichtlichen Zusammenhang mit dem Milchbrot-verdrückenden, weststeirischen Buben, der sich als Erwachsener in der Welt verstecken lässt, steht die Ich-Erzählung des Schriftstellers, einer Fortführung (oder sollte man es angesichts der Exzesse eher Zersetzung nennen?) des Figurenspiels aus "Das bin doch ich".
Mit diese Ich-Erzählung erwischt uns Thomas Glavinic auf der Ebene der Skandal-Lust: ein Schriftsteller, der kokst und sauft und versucht, Frauen flach zu legen. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich das im Kreis dreht.
"Ach Mist, ich kann es nicht beschreiben", schreibt Thomas Glavinic über "diese Mädchen", die schön und geheimnisvoll sind (weil sie Beine haben oder ein um den Körper geschwungenes Tuch oder eine knielange Strickjacke) und die einem zuflüstern: "Das hier, das ist es, hier liegen alle Antworten verborgen."
Doch dem "Jonas-Komplex" gelingt es nicht, die großen Antworten zu bergen.
Es ist eigentlich eine 700-seitige Verhöhnung von existentieller Suche, Todesangst und Todessehnsucht, des Sich-Einschreibens in die Welt, doch der Text scheint es ernst zu meinen. Das ist als Lektüre kurzweilig, es gibt aber keine Aussage, die über das Beschriebene hinausgeht.