Erstellt am: 4. 3. 2016 - 17:16 Uhr
Sie sind Helden
Ruben Neugebauer, der Sprecher von Sea-Watch, empfängt am Donnerstag eine Handvoll Journalisten zur Pressekonferenz an der Spree. Neben ihm Sebastian Jünemann von CADUS, ebenfalls eine private Initative. CADUS hat sich für die Seenotrettung in der Ägäis mit den Leuten von Sea-Watch zusammengetan und übernimmt dort in Zukunft hauptsächlich logistische Aufgaben.
Christian Lehner
Geladen wurde zur Taufe eines neuen Rettungsbootes. "Wir werden nicht lange brauchen", sagt Neugebauer fast schüchtern zum Einsatzleiter der Polizei, die nur der Ordnung halber anwesend ist. Die geplante Wasserung des neuen Bootes an der Spree wurde gestrichen. Nach dem Zeremoniell geht es sofort auf die Autobahn in Richtung Lesbos. Dort wird jede Hilfe dringend benötigt.
Merkel macht die Seegrenzen dicht
Das Sea-Watch-Projekt startete im vergangenen Jahr mit einem starken Auftritt des Gründers Harald Höppner in der Talk-Show von Günther Jauch. Was mit einem ehemaligen Fischkutter begann, hat sich mittlerweile zu einer kleinen, aber schlagkräftigen Seenotrettungsorganisation entwickelt, die täglich vor Lampedusa und Lesbos Menschenleben rettet.
"Allein in Griechenland haben wir seit November an die 1800 Flüchtende aus dem Wasser gefischt oder ihre Boote sicher zum Festland begleitet", so Neugebauer.
Johanna Jaufer im Gespräch mit dem Schiffsarzt der MS Seawatch
Sea-Watch
Die Situation vor Ort wird aber immer schwieriger. Nicht nur, weil der Zustrom an Menschen anhält, die vor Krieg und Not fliehen. Es ist auch die zunehmend restriktive Abschottungspolitik der EU und ihrer Partner, die das Leben der Menschen auf See gefährdet, so die Aktivisten von Sea-Watch. "Seit die türkische Küstenwache strenger kontrolliert, wagen sich viele Flüchtlinge nur noch in der Nacht auf die Schlauchboote. Das erschwert die Rettung um ein Vielfaches. Erst vorgestern haben wir 80 Menschen in der Dunkelheit geborgen. Es wird immer riskanter", so Neugebauer. Zudem habe es derzeit den Anschein, dass die EU-Kommission an einem Verbot der zivilen Seenotrettung arbeite. Seit kurzem müssen Sea-Watch und Co. jede einzelne ihrer Rettungsaktionen mit den Behörden abstimmen. Das kostet viel Zeit. Dabei entscheiden oft wenige Minuten über die Rettung der in Seenot Geratenen.
Kriegsschiffe und Schlauchboote
Und nun entsendet die Nato Kriegsschiffe in die Ägäis - auch auf Drängen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der offizielle Auftrag lautet Schlepperbekämpfung und Unterstützung der türkischen Küstenwache. Die Aktivisten von Sea-Watch vermuten jedoch, dass der Einsatz in Wahrheit der Abschreckung diene und die Flüchtlinge durch Abdrängungsmanöver von der Überfahrt abgehalten werden sollen.
Sea-Watch
Leben auf See retten - Veronika Weidinger über die Gründung von Sea-Watch.
"Was die NATO da macht, ist in Wahrheit ein Konjunkturprogramm für das Schlepperwesen", so Neugebauer. "Die Flüchtenden, die sich vorher noch allein auf den Weg gemacht haben, sind jetzt erst recht auf die Schlepper angewiesen. Sie werden auf gefährlichere Routen ausweichen. Viele landen schon jetzt an den Steilküsten. Das ist tötlich."
Sea-Watch reagiert auf die neue Situation mit der Entsendung eines weiteren Rettungsbootes, das nun vor uns auf einem Hänger liegt und auf seine Taufe wartet. Während im Hintergrund Touristen vor den verbliebenen Mauerstücken der "Eastside Gallery" Selfies machen, erklärt CADUS-Projektleiter Sebastian Jünemann die Vorteile des über Spenden finanzierten Schlauchflitzers. "Das Boot verfügt über einen Propeller freien Antrieb und ist sehr schnell. Das ist wichtig. Gerade jetzt, wo das Wasser kalt ist und vor allem Kinder nicht lange durchhalten".
Sea-Watch
Der Ort der Taufe wurde bewusst gewählt: "Wir möchten daran erinnern, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass auch hier in Berlin eine tödliche Grenze verlief. Damals waren die Fliehenden noch herzlich willkommen. Nun brennen die Flüchtlingsunterkünfte und Europa spricht zunehmend von Obergrenzen."
Die Taufe
Mit etwas Verspätung trifft der Taufpate am Spree-Ufer ein. Es ist der syrische Filmemacher Firas Alshater, der jüngst mit einem Youtube-Clip für etwas Entkrampfung in der Flüchtlingsdiksussion sorgte. "Bitte kein Loch in den Rumpf schlagen", witzelt Sebastian Jünemann, bevor die Sektflasche gegen den Bug des Schnellbootes kracht. Alshater freut sich über die selbstlose Hilfe der deutschen Privatinitative, "aber ohne Solidarität mit den Menschen in Syrien, also ohne Bekämpfung der Fluchtursachen", wird das Leid nicht zu lösen sein.
Christian Lehner
Obwohl die Stimmung bei der Taufe ausgelassen ist, wirkt Ruben Neugebauer niedergeschlagen. Er weiß, dass die selbstlose Rettungsarbeit von Sea-Watch und anderer Hilfsroganisationen nur Symptonbekämpfung ist und dass es wesentlich einfachere Wege gäbe, Menschenleben zu retten. "Die Fähre von Ayvalik in der Türkei nach Lesbos in Griechenland kostet umgerechnet 5 Euro. Man kann das Schlepperwesen nur mit legalen Einreisemöglichkeiten bekämpfen", sagt er. Doch von so einer Lösung scheint eine sich zunehmend orbanisierende EU weiter entfernt denn je.
Woran uns die Nachwelt messen wird
Das Rettungsboot wurde übrigens nach einem dänischen Ehepaar auf den Namen "H.E. Thompsen" getauft. Die Thompsens retteten während der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg Tausende Juden. Sie ermöglichten ihnen die Flucht auf Fischkuttern ins sichere Schweden. Wie bei den Thompsens geht es auch bei Sea-Watch primär um die Rettung von Menschenleben - ein Umstand, der in der aktuellen Diskussion um Obergrenzen, Quoten und kulturelle Unvereinbarkeiten immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Und doch werden wir von der Nachwelt genau daran gemessen werden. Verzeiht mir also bitte die Verwendung des abgeschmackten Begriffs, aber diese Sea-Watch-Leute (und alle anderen guten Menschen der Direkthilfe) sind die Helden unserer Zeit.